1 ...8 9 10 12 13 14 ...28 „Was sehr gut zu einem Racheakt in Dealerkreisen passen würde“, warf Schwertfeger ein und ließ seinen Freund kopfschüttelnd weiterberichten.
„Du erinnerst dich richtig. In den ersten Ermittlungsansätzen sah es tatsächlich so aus, als habe er mit Drogen gehandelt, denn auf dem Anzug des Toten fanden wir Tabak und Ascheteilchen von Marihuana, außerdem einige Jointstummel am Tatort.“
Brauser trank sein Glas leer und ließ sich dann nachschenken. Eine Weile blieb es still im Raum. Die Dunkelheit, die draußen vor den Fenstern eine undurchdringliche Wand gebildet hatte, schien hereinzudrängen und das Licht der Schreibtischlampe aufzusaugen.
„Es hat tatsächlich alles für einen Mord im Milieu gesprochen. Das Auto, der Parkplatz, das Rauschgift und vor allem die Todesart, die stark an eine Hinrichtung erinnerte. Wir ließen den Wagen von Drogenspürhunden durchsuchen, aber die fanden keine weiteren Indizien und dann kam ja auch die Wende aus der Rechtsmedizin in München: Getötet hatten Klaus Wallenstein nicht die Schüsse, er war bereits Stunden vorher an einer Luftembolie in der rechten Herzkammer gestorben. Ihn Stunden nach seinem Tod noch zu erschießen, machte natürlich überhaupt keinen Sinn, es sei denn, der Täter war sich nicht sicher, ob Wallenstein überhaupt tot war, und wollte ihn mit dieser Ungewissheit nicht auf dem Parkplatz zurücklassen. Aber passte das zu unserer Theorie, dass es sich um Rache handelte? Die Einstichstelle befand sich in der linken Armbeuge. Der Tod trat gegen Mitternacht ein und auf dem Parkplatz war es dunkel. Kann man bei den schlechten Lichtverhältnissen eine Vene punktieren? Wir haben den Parkplatz überwacht und festgestellt, dass er um diese Zeit durchaus noch frequentiert wird. Das Risiko, entdeckt zu werden, war groß. Also suchten wir Zeugen. Tatsächlich meldeten sich einige und in einem Punkt deckten sich ihre Aussagen: Keiner hatte am späten Abend des 16. August einen silbergrauen Mercedes auf dem Parkplatz beobachtet.
Daraufhin ließ ich von der KTU das gesamte Auto noch einmal auseinandernehmen und das war ein Aufwand, der belohnt wurde. Wir fanden schwarze chemische Fasern, wie von billigem Satin auf beiden Sitzen und auch auf dem Hemd des Toten. Und es wird noch besser: Abriebspuren vom Strick an der Kopfstütze des Beifahrersitzes. Wallenstein war also auf dem Beifahrersitz festgebunden und dann erst auf den Fahrersitz gesetzt und dort erschossen worden. Der Befund der Rechtsmedizin brachte endgültig den Beweis. Er war angeschnallt, aber sein Kopf nicht mehr mit dem Strick fixiert, als ihn die Schüsse trafen.“
„Sonst wäre am Strick ja sicher auch Blut gefunden worden.“
„Nicht unbedingt, denn da er ja schon Stunden tot war, bluteten seine Wunden auch nicht mehr.“ Brauser war, erregt von seiner Zusammenfassung, immer weiter nach vorn gerutscht und lehnte sich jetzt, da alle Fakten auf dem Tisch lagen, wieder etwas entspannter zurück. „Sechs Wochen gute Arbeit und doch sind wir noch immer nicht wirklich weiter gekommen. Wir haben die Waffe nicht. Wissen nicht, wo Wallenstein starb, geschweige denn, wo er sich vor seinem Tod aufgehalten hat. Das Gesicht lässt sich durch die Schüsse nicht rekonstruieren und die Familie besitzt nur alte Fotos von ihm, auf denen ihn wohl selbst dann niemand mehr erkennen würde, wenn er ihn erst kürzlich gesehen hätte. Wir haben seinen Bruder befragt. Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis. Wallenstein war Geschäftsmann, handelte angeblich mit Systemküchen. Vielleicht war das ja nicht alles und vielleicht stand er jemandem im Weg und musste deshalb sterben. Seiner Sekretärin hat er nicht gesagt, wo er hinwollte, und im Auto fanden wir keinen Terminkalender. Ob er Gepäck dabei hatte, konnte die Ehefrau nicht sagen. Geschäftlich schien er nicht unterwegs zu sein, das haben wir überprüft. Was also wollte er hier?“, fragte sich der Kommissar zum wiederholten Male selbst.
„Was ist mit dem Marihuana?“, warf Schwertfeger ein.
„Der Bruder sagt natürlich, das könne er sich nicht vorstellen, dass er etwas mit Marihuana zu tun hatte, und auch seine Frau war ganz entsetzt, als die Kollegen sie mit dieser Theorie konfrontiert haben. Allerdings konnte sie bisher auch noch nicht schlüssig nachweisen, wo ihr Mann die letzten Tage gewesen ist. Sie ist in der Politik sehr engagiert und, so wie es aussieht, ist jeder seinen eigenen Lebenszielen nachgegangen. Mal ganz ehrlich, Marihuana ist ein Rauschgift für die Jungen, die Ausgeflippten. Leute wie Wallenstein handeln vielleicht damit, aber sie rauchen es nicht.“
„Er hat aber nicht damit gehandelt?“
„Zumindest fanden sich keine Spuren, außer denen auf seiner Kleidung.“
„Vermutlich ist er von Marihuana rauchenden Tätern getötet worden, die vielleicht so zugekifft waren, dass sie gar nicht wussten, dass er bereits tot war, als sie auf ihn schossen.“
„Richtig.“ Brauser nickte.
„Du solltest dich also doch mehr auf die Drogenszene konzentrieren.“
„Welche Drogenszene? Passau ist eine saubere Stadt.“ Brauser grinste über seine eigene Ironie. „Aber mal im Ernst, soll ich jetzt an allen Schulen anfangen zu ermitteln? Von jedem Jugendlichen ab zwölf Fingerabdrücke nehmen lassen?“
„Nein, natürlich nicht“, beruhigte ihn Schwertfeger. „Aber was ist mit dem Parkplatz?“
„Wird überwacht.“
„Und?“
„Nichts! Wir bräuchten mehr Leute, damit wir auch das Umfeld beschatten können, aber bisher sind nur stichpunktartige Überwachungen möglich und vermutlich kommen die Täter auch nicht an den Tatort zurück.“
„Das ist ja ohnehin nur ein dummer Spruch“, bemerkte Schwertfeger. „Das heißt also, wir können nur abwarten?“ „Ich hatte gehofft, dir fällt noch was Besseres ein!“ Brauser grinste. „Eine Sache hab ich noch, ich weiß nur nicht, wie uns das weiterhelfen soll. An Wallensteins Penis wurde Capsaicin gefunden.“ Der Kommissar lächelte zufrieden, denn er war sich sicher, sein Freund hatte keine Ahnung, welches Teufelszeug sich hinter dieser Bezeichnung verbarg.
„Was bitte ist Capsaicin?“
„Chili! Scharfe Chilifrüchte.“
„Du meinst, er hat sich seinen …“, Schwertfeger kratzte sich am Kinn, „mit Chilischoten eingerieben?“
„Na ja, vielleicht hat er ja auch nur beim Essen gekleckert.“ Der Polizist lachte ironisch und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Auf jeden Fall war das eine heiße Sache, zumindest wurde das Gewebe an dieser Stelle ordentlich durchblutet, um die vermeintliche Wärme abzutransportieren, was ja vielleicht der eigentliche Zweck des Ganzen war.“
„Ein Aphrodisiakum also?“
„Ich weiß es nicht. Wenn das Schärfeempfinden nachlässt, wirkt es schmerzlindernd und dämpfend, und es gibt wohl keine Studien darüber, wie lange die Wirkung anhält. Aber vielleicht hatte er ja Erfahrung damit.“
„Also wirklich Berthold, man lernt nie aus!“
„Willst du es probieren?“
„Bist du verrückt? Nein! Aber ich weiß jetzt immerhin, dass du nicht zu krank bist, um zu ermitteln. Also keine weiteren Ausreden! Mach dich an die Arbeit, ich verlasse mich auf dich.“
***
Am nächsten Morgen lag wieder eine zähe, dicke Nebelsuppe über der Stadt. Es war nasskalt und ungemütlich und wer nicht hinausgehen musste, blieb im Haus und schaltete möglichst viele Lichter an, um sich wenigstens die Illusion von Sonnenschein zu gönnen.
Franziska trug an diesem Morgen Stiefel, Tweedrock und einen Wickelpulli aus Mohair unter ihrem Mantel. Sie parkte ihr Auto möglichst nah an der Hauswand und ging dann zügig, die Arme vor dem Körper verschränkt, um die Kälte abzuwehren, die wenigen Stufen bis zum Dienstgebäude hinauf. Für gewöhnlich sehnte sie sich bei so einem Wetter nach ihrem gemütlichen Lesesofa im Wohnzimmer, einem spannenden Buch und einer großen Tasse Tee.
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