»Mensch, Peer«, schimpfte der Kommissar, »was zerrst du mich denn weg, wenn gerade der erste Turniertanz losgeht?«
»Die Frau Appelhoff und ich sind einem Erpresser auf der Spur«, erklärte der junge Polizist. »Das müsste dich doch interessieren?«
An der Rezeption angekommen, wollte die Witwe Appelhoff dem Kommissar die Hand schütteln, der aber gab sich reserviert.
»Mein Cousin behauptet, Sie hätten eine Vermutung kriminalistischer Natur?«, fragte er, nicht ohne einer gehörigen Portion Skepsis in der Stimme.
»Oh ja«, antwortete die Witwe Appelhoff. »Es treibt sich ein Mann in diesem Seebad-Hotel herum, der einen Bürger von Friedershagen zu erpressen versucht. Es gibt Hinweise darauf, dass er ein Verbrecher ist.«
»Und welche Hinweise sind das bitte?«, fragte der Kommissar weiter, schaute dabei allerdings über die Schulter zurück zum Kursaal.
»Ich werde sie Ihnen erklären, aber dafür brauche ich die Hilfe der jungen Frau hier.« Sie wandte sich an die Empfangsdame. »Sie stimmen mir doch zu, dass in Ihrem Hotel zurzeit kein Gast mit dem Namen Schmidt beherbergt wird?«
»Ja, das stimmt. Kürzlich erhielten wir zwar einen Anruf für einen Herrn Schmidt…«
»Tut nichts zur Sache. Herr Kommissar, ich werde Ihnen einen Mann zeigen, den Ihr Cousin identifizieren wird. Kommen Sie, Peer. Und Sie bitte auch, meine Dame.«
Die Witwe Appelhoff hakte sich bei dem Polizist ein und flanierte mit ihm durch die Eingangshalle. Sie spähten durch die Fenster des Ballsaals und bald schon zeigten sie auf einen Mann mit Vollbart und Hut, der mit einem jungen Mädchen in der hinteren Reihe saß und dem Turniertanz zusah.
»Das ist der Herr Schmidt, der in der Jugendherberge abstieg«, versicherte Peer Hövelmeyer.
»Das kann aber nicht sein«, widersprach die Empfangsdame, die dem Fingerzeig gemäß in die gleiche Richtung schaute, und ihre Stimme klang nicht mehr so freundlich. »Das ist Herr Müller, er ist mit seiner Tochter heute Vormittag angereist. Ich habe mir doch den Ausweis persönlich zeigen lassen. Schauen Sie nur!«
Sie lief zurück zu ihrem Schalter, nahm das Gästebuch zur Hand und zeigte auf den Eintrag von Herrn Müller. Der Kommissar beäugte ihn schweigend, sah dann von der Empfangsdame zu seinem Cousin, wieder zurück ins Gästebuch und schließlich auf die Witwe Appelhoff.
»Der Mann ist also unter zwei Namen bekannt?«
Die Witwe Appelhoff nickte.
»Verdächtig, nicht wahr? Ich würde mit Ihnen gerne das Zimmer dieses Herrn besuchen und auch das seiner Tochter. Auf dem Weg dorthin erzähle ich Ihnen, was in Friedershagen vorfiel und warum das hier ein Kriminalfall größeren Ausmaßes ist.«
Die Empfangsdame fühlte sich zwar unbehaglich, das Zimmer eines Gastes Fremden zugänglich zu machen; aber da es sich bei eben jenem Gast offensichtlich um einen Schwindler handelte und einer der Fremden Polizeikommissar war, überwand sie sich und gab den Schlüssel heraus.
»Am besten kommen Sie gleich mit«, schlug die Witwe Appelhoff vor. »Wir können einen Mitarbeiter dieses Hotels gut gebrauchen.«
Sie stiegen zu viert die Stufen zu den Hotelzimmern hinauf, während die Kapelle im Saal eine feurige Samba spielte. Herr Schmidt und Madeleine schauten den schnellen Schritten und geschmeidigen Hüftschwüngen der Turnierteilnehmer gebannt zu; demnach brauchte man während der Inspektion ihrer Unterkünfte keine Störung ihrerseits zu befürchten.
Zunächst war das Zimmer des Vaters an der Reihe. Kommissar Hövelmeyer bedeutete den anderen, an der Türschwelle zu warten, während er vorsichtig einen Blick auf den Nachttisch warf, wo diverse Utensilien wie Autoschlüssel, Portemonnaie und Aufladekabel fürs Handy herumlagen. Er klappte das Portemonnaie auf und entdeckte darin zwei Personalausweise. Beide zeigten den gleichen Mann mit Vollbart, nur hieß er auf dem einen Schmidt, auf dem anderen Müller. Der Kommissar schnalzte, zufrieden über diesen Fund, mit der Zunge.
»Ist das nicht illegal ohne Durchsuchungsbefehl?«, fragte sein Cousin. »Oder sind Hotelräume eine juristische Grauzone?«
»Es ist Gefahr im Verzug«, erwiderte der Kommissar, »denn wir wollen nicht, dass einer der beiden Ausweise als mögliches Beweisstück für Dokumentenfälschung verloren geht.«
Sein Cousin gab sich mit dieser Erklärung zufrieden und beglückwünschte die Witwe Appelhoff für ihren guten Riecher hinsichtlich dieser kriminalistischen Angelegenheit. Die jedoch wies das Kompliment von sich und sagte:
»Auf die Ausweise kam es mir gar nicht an. Wenn Sie wissen möchten, welches Spiel Vater und Tochter wirklich treiben, müssen Sie sich nur in deren Bädern genauer umsehen. Und vielleicht noch in der Handtasche dieser Madeleine.«
»Die beiden haben zusammen nur ein Badezimmer«, korrigierte die Empfangsdame, »der Vater bestand darauf. Es trennt ihre beiden Zimmer voneinander.«
»Tatsächlich?«, lächelte die Witwe Appelhoff amüsiert. »Na, das passt ja wunderbar ins Konzept.«
Sie ignorierte die Anweisung des Kommissars, durchquerte das Hotelzimmer und öffnete die Tür zum Bad.
»Wie ich es dachte!«, rief sie aus und zeigte auf die Ablage vor dem Spiegelschrank. »Sehen Sie nur! Drei Dinge beweisen eindeutig, dass die beiden nicht sind, was sie zu sein vorgeben.«
Die Vettern Hövelmeyer schauten auf die Kosmetikartikel, die dort aufgereiht waren. Lippenstift, Lidschatten, Ladyshaver, Abdeckstift, Bürste und Nagellackentferner für Madeleine standen neben Handcreme, Brillentuch, Rasierer, Deoroller und Mundspülung für ihren Vater. An beiden Enden lag jeweils eine Zahnbürste, die eine in pink und die andere in blau. Die Tür zum anderen Zimmer stand offen und auf Madeleines Bett lag der Inhalt ihrer Handtasche verstreut: Taschenspiegel, Kaugummi, der Roman »Kleiner Mann – was nun?«, eine grellbunte Jugendzeitschrift, diverse Zettelchen und billiger Schmuck. Der Kommissar konnte mit all dem nichts anfangen und warf der Witwe Appelhoff einen ratlosen Blick zu.
»Männer sind blind«, seufzte sie enttäuscht und wandte sich der Empfangsdame zu. »Sie sehen es?«
»Ja, ich glaube, ich weiß, was Sie meinen«, antwortete die junge Frau, »aber nicht, was es zu bedeuten hat.«
»Das wird sich klären, nachdem Sie unseren Gendarm neu eingekleidet haben. Ich schlage ein Outfit vor, das ihn wie einen Kellner aussehen lässt. Derweil weihe ich den Kommissar in die Geheimnisse weiblicher Kosmetik ein – dann wird er verstehen…«
Unten im historischen Ballsaal hatten die Turniertänzer inzwischen alles getanzt, was zum lateinamerikanischen Programm gehörte. Der Jive war verklungen, hatte aber dem Großteil der Zuschauer derart eingeheizt, dass nun viele Frauen mittleren Alters bei der Eröffnung des zweiten Publikumstanzes ihre Gatten auf die Tanzfläche zogen und beweisen wollten, welch kesse Sohle sie noch aufs Parkett zu legen imstande waren. Herr Schmidt und seine Tochter verzichteten auf das Gedränge und blieben sitzen. Madeleine schaute einem Turniertänzer mit besonders enger Hose hinterher, woraufhin sie sich ein tadelndes »Hm-hm« einfing.
»Lenk die Herren nicht von ihrem Wettbewerb ab, meine Kleine«, mahnte Herr Schmidt.
»Man wird ja nochmal gucken dürfen«, entgegnete Madeleine und fügte gehässig hinzu: »Auf der Tanzfläche sind ja gerade nur wandelnde Leichen unterwegs.«
»Immerhin etwas Lustiges fürs Auge«, meinte Schmidt, nicht minder gehässig, und so scherzten die beiden abfällig über die tanzenden Damen und Herren.
Dies war der richtige Auftritt für Peer Hövelmeyer, der in Fliege, Weste und Schürze neben dem Tisch auftauchte, an einen Stuhl rempelte und stolpernd ein Glas Rotwein von seinem Tablett fallen ließ – direkt auf Madeleines Schoß.
»Oh, pardon!«, rief er aus und nahm eine weiße Serviette. »Lassen Sie mich dieses Malheur bereinigen!«
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