Die beiden Mütter hatten sich aufgrund chronischen Geldmangels zusammengetan und ausgemacht, dass Louise sich beim Orynok-Versand teure Elektronikgeräte bestellen sollte: Smartphones, Kameras und dergleichen. Während Sylvia mittels ihrer weiblichen Reize die Aufmerksamkeit des Postboten fesselte und der absichtlich freigelassene Rex (dessen Zwingertür mitnichten kaputt war) andere Passanten vom Spaziergang auf dem Mühlenweg abhielt, konnte Louise ihr Paket aus dem Beiwagen stehlen und sich später darüber empören, dass es nicht geliefert worden sei. Eine Beschwerde bei Orynok sorgte dafür, dass ihre Ausgaben zurückerstattet wurden. Sie versteckte das Paket im Garten, wo Sylvia es schnell fand und den Inhalt im Internet versteigerte.
»Den Gewinn haben sie sich schwesterlich geteilt«, sagte die Witwe Appelhoff, »und ganz plötzlich konnten ihre Kinder ein ähnlich teures Smartphone besitzen wie Sven Kruse.«
»Das Gespräch der Kinder über ihre Geschenke hat Sie wohl auf die Spur gebracht?«, fragte Bert Meyer und tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab.
»In der Tat war es ein Anhaltspunkt, der mich zum Nachdenken brachte«, erwiderte seine Gastgeberin. »Ihr plötzlicher Sinneswandel erschrak mich, waren die Kinder noch am Vortag betont bescheiden gewesen. Des Weiteren wunderte ich mich, warum beide Mütter ihren Willy beziehungsweise ihre Liliane ausgerechnet über die Mittagszeit zu mir schickten.«
»Weil das der Zeitraum für Malte Johns Postroute war«, erkannte Gerlinde.
»Die heimliche Affäre zwischen Sylvia und ihm konnte als Erklärung für Lilianes Arbeitszeiten gelten, aber für Willy gab es keinen Grund, mittags nicht bei seiner Mutter zu sein«, berichtete die Witwe Appelhoff weiter. »Als eines der Kinder dann noch von surfenden Mamas im Internet sprach, ahnte ich, was mit den gestohlenen Waren passiert sein musste.«
»Und Sie ahnten richtig«, lobte Bert Meyer und begann, von seinem bescheidenen Beitrag zu erzählen, der zur Entlarvung der beiden Täterinnen geführt hatte. »Mein Anhaltspunkt waren eben jene Geschehnisse im Internet. Ich bemerkte, dass die Elektronikartikel, welche bei uns bestellt wurden und dann angeblich verloren gingen, kurze Zeit später bei einer Online-Auktions-Plattform angeboten wurden.«
»Hätte man da nicht gleich eingreifen können?«, fragte Frau Cocolos.
»Leider nein«, entgegnete Meyer. »Der Anbieter vermied es, den Käufer seiner Waren die Option der Selbstabholung wählen zu lassen. Als Frau Schnederpelz sich zum zweiten Mal über nicht gelieferte Bestellungen beschwerte, wurden wir bei Orynok hellhörig. Kaum sahen wir das Produkt woanders im Privatangebot, kauften wir es selbst. Leider war der Absender so schlau, seine Adresse unleserlich anzugeben. Aber der Poststempel zeigte uns, dass die Gegend, wohin das Produkt ursprünglich gehen sollte, und jene, von wo es nun illegal verschickt worden ist, die gleiche war. Darum kam ich her und sah mich in Ruhe um. Aber man konnte Frau Schnederpelz nie dabei erwischen, dass sie ein Paket stahl.«
»Wegen Rex«, nickte Gerlinde.
»Ebenso wenig schien die Nachbarin involviert, weil sie ja nie in Kontakt mit Louise Schnederpelz trat«, fuhr Bert Meyer fort. »Es war wie verhext!«
»Gerade das interessiert mich sehr«, sagte Gerlinde. »Wie in aller Welt konnte Louise Schnederpelz wissen, dass Malte Johns Moped gerade unbeaufsichtigt auf der Straße stand, wenn Sylvia ihr gar nicht Bescheid gab?«
»Aber den gab sie ihr doch«, lächelte die Witwe Appelhoff.
»Wie denn? Sie sprachen nie miteinander, telefonierten nicht…«
»Nicht per Handy oder Festnetz«, gab die Witwe Appelhoff zu, »aber dank des Schnurtelefons ihrer Kinder konnten sie in einen Kontakt treten, den keine Polizei der Welt überwachen oder zurückverfolgen könnte. Ich stelle es mir so vor: Sobald Sylvia den Rex bellen hörte, wusste sie, der Postbote kommt. Sie geht in Lilianes Zimmer, nimmt die Blechbüchse und gibt ihrer Nachbarin Bescheid. Louise lässt den Hund frei, um den Mühlenweg für Passanten unsicher zu machen. Sylvia selbst läuft an die Haustür und verführt den Liebhaber. Zeit genug für Louise, den Beiwagen nach ihrem Paket zu durchsuchen, es an sich zu nehmen und rechtzeitig zu verstecken, bevor das Pärchen von seinem Stelldichein zurückkehrt, Sylvia nach dem Hund pfeift und Malte John seine Tour fortsetzt.«
»Das ist wirklich einfallsreich«, gab Gerlinde zu.
»Und der Grund, warum beide Kinder mittags nicht im Haus sein durften«, fügte die Witwe Appelhoff hinzu.
»Nur unser Postbote tut mir leid«, seufzte Frau Cocolos. »Hoffentlich ist er über den Ausgang der betrügerischen Affäre nicht allzu betrübt.«
Die Witwe Appelhoff teilte ihr Mitgefühl nicht. Zum einen wohnte Malte John ein gesunder Optimismus inne, der ihn noch nie lange an einem Rückschlag hatte verzweifeln lassen. Zum anderen gehörte er zu jenen gut aussehenden Männern, nach denen sich die Frauen gerne umdrehten. Man durfte darauf vertrauen, dass unter ihnen irgendwann die Richtige sein würde.
Kinderstimmen ertönten. Sven, Liliane und Willy kamen gerade mit einer Schubkarre um die Ecke und waren über und über mit Gartendreck bedeckt. Sie machten keinerlei Anstalten, sich zu waschen, denn sie waren stolz auf die Wahrzeichen ihrer harten Arbeit.
»So, wie ihr ausseht, habt ihr eine kühle Limonade verdient«, sagte Gerlinde.
»Und Kuchen«, fügte die Witwe Appelhoff hinzu und reichte den dreien die Platte mit den übrig gebliebenen Stücken. »Esst euch satt! Genug geschuftet für heute.«
»Aber erst Hände waschen«, befahl Gerlinde in einem Ton, dem die Kinder nicht widersprechen wollten.
»Was passiert mit den Kindern dieser verbrecherischen Mütter?« wollte Frau Cocolos wissen, als die kleinen Gartengehilfen sich entfernt hatten. »Sie wirken ja nicht sehr betroffen.«
»Um Willy mache ich mir keine Sorgen«, antwortete die Witwe Appelhoff. »Er findet sicherlich Halt bei seinem Vater. Seine Mutter wird zwar bestraft werden müssen, aber ihr Betrug wiegt nicht so schwer wie der körperliche Angriff Frau Hartung-Protts.«
»Hätte mich mit dem Fleischhammer beinahe geklopft wie ein Schnitzel«, erschauerte Herr Meyer.
»Und das Mädchen?«, fragte Frau Cocolos weiter.
Das würde sich zeigen müssen, gab die Witwe Appelhoff zu.
»Man erzählt sich, eine entfernte Verwandte sei nach Friedershagen gekommen und kümmere sich einstweilen um Sylvias Tochter. Alles Weitere hängt vom Verlauf der Gerichtsverhandlung ab.«
Die trüben Zukunftsaussichten für Liliane drückten die gemütliche Stimmung am Kaffeetisch. Da kam Udo Hofmann, der Fischer, des Wegs, schaute über den Zaun und glaubte angesichts der ernsten Mienen, mit einem seiner Witzchen für gute Laune sorgen zu müssen.
»Na, Frau Appelhoff, wieder ganz gesund? Da bin ich aber heilbuttfroh! Hahaha!«
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.