1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 »Bitte wer?«
Die Witwe Appelhoff wollte auflachen, brachte aber nur unschönes Röcheln zustande.
»Herr Pompadour, dieser fremde Herr, der seit Längerem in Friedershagen herumspaziert. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt, aber er trägt sein Haar recht altmodisch, daher hab ich ihn so getauft.«
»Er muss ja großen Eindruck auf Sie gemacht haben, wenn er aus allen Urlaubern derart heraussticht.«
»Seiner Kleidung nach zu urteilen, ist er sehr wohlhabend. Mich würde es nicht wundern, wenn es sich um einen Geschäftsmann handelt, der in unseren Ort investieren will. Vielleicht in ein Hotel? Das hieße Platz für mehr Urlauber, und mehr Urlauber würden mehr Arbeitsplätze bedeuten. Mehr Arbeitsplätze wiederum brächten mehr Einwohner…«
»…und mehr Einwohner heißt, mehr Patienten für Sie. Wittere ich das durch meine verschnupfte Nase richtig?«
»Keine bösen Unterstellungen bitte«, wehrte Kröger ab. »Ich denke dabei nur an mein hohes Alter, an das Sie mich vorhin freundlicherweise erinnerten. Es braucht bald einen würdigen Nachfolger für meine Praxis, aber wer sollte in unser schläfriges Nest kommen wollen, solange hier nichts los ist?«
Da musste ihm die Witwe Appelhoff recht geben. Nachdem sie versprochen hatte, sich zu schonen, verließ sie das Sprechzimmer und wartete, bis Schwester Floriane ihr den Schein für die Apotheke ausgestellt hatte.
»Was sagt er?«, fragte Udo neugierig.
»Sommergrippe«, antwortete die Witwe Appelhoff niedergeschlagen.
»Hm«, machte der Fischer und wollte sie mit einem Wortspiel aufmuntern. »Hättest wohl lieber eine Groppe statt einer Grippe, wie?«
Er lachte laut über seinen eigenen Spaß. Seine Gesprächspartnerin lachte nicht, denn sie hatte bereits viele Fischwitze von Udo gehört und fand sie alle gleichermaßen unlustig.
»Dabei wollte ich diese Woche so viel erledigen. Flyer verteilen, meinen Garten in Ordnung bringen…«
Sie benieste ihre Enttäuschung dreimal.
»Gibt es keinen, der Ihnen hilft?«, fragte Schwester Floriane, während der Drucker lärmte.
»Gerlinde kann ich den Garten nicht aufhalsen«, antwortete die Witwe, »die hat mit dem Kochen genug zu tun. Mein Bruder Jörg kann allenfalls mit dem Schlauch die Beete wässern, aber sonst…«
»Engagiere dir doch einen Gärtner auf Zeit«, schlug Udo vor, den Blick auf die Sprechzimmertür gerichtet, denn er war der Nächste und wartete darauf, endlich aufgerufen zu werden. »Als ich Kind war, haben die Altvorderen uns immer in ihre Arbeiten eingespannt, sobald Ferien waren. Und es sind ja zurzeit Sommerferien, oder nicht?«
»Aber in den Ferien sollen sich die Kinder doch von der Schule ausruhen und in den Urlaub fahren«, widersprach die Witwe Appelhoff. »Im Sommerlager neue Freunde finden, im Familienausflug die Heimat kennenlernen – hatschi!«
»Ich muss unserem Fischer recht geben«, unterbrach sie Schwester Floriane. »Sechs Wochen sind doch viel zu lang, um sie nur mit Sommerlager oder Ausflügen zu füllen. Ich habe meine Annika zu Eggelings Strandkorbfabrik geschickt, für einen Ferienjob. Da kriegt sie mal praktische Dinge gezeigt, die sie auf der Schulbank nicht lernt, und kann ihr Taschengeld aufbessern. Hier ist Ihr Rezept!«
Sie reichte der Patientin ein bedrucktes Blatt Papier und schnatterte weiter.
»Sie könnten ebenfalls Kinder beschäftigen, wo Sie sowieso gern Ihr Vermögen in die Jugend investieren! Bei Ihnen sind sie gut aufgehoben und keiner kann sie zu Dingen verführen, für die sie noch zu jung sind. In den Ferien ist es ja viel schwerer für die Eltern, auf ihre Kinder aufzupassen.«
Die Witwe Appelhoff wunderte sich über die Anspielung der Arzthelferin.
»Wie kommen Sie darauf, dass den Kinder etwas geschehen könnte?«, fragte sie. »Bisher blieb unser Friedershagen von sowas verschont.«
»Ich meine ja keine Friedershagener«, antwortete Schwester Floriane, »sondern die diesjährigen Touristen. Die kommen mir mitunter sehr sonderbar vor. Jedenfalls einer von ihnen.«
Sie erzählte von einem fremden Herrn in schicker Garderobe und altmodischer Frisur, der immer nur zu Fuß unterwegs sei und verdächtig oft vor Hauseingängen stehen bleibe.
»Als ob er Ausschau nach jemandem hält«, meinte die Arzthelferin. »Unheimlich, nicht?«
Die Witwe Appelhoff erkannte in Florianes Bericht den gleichen Herrn, von dem Doktor Kröger gesprochen hatte. Sie wunderte sich, auf welch verschiedene Weise die Leute einen Fremden wahrnahmen.
Auf dem Nachhauseweg radelte sie langsamer als sonst die Straße entlang, zum einen aufgrund der krankheitsbedingten Schwäche, zum anderen aus Gründen sorgfältigen Abwägens. Sie überlegte, ob ihr Garten tatsächlich fremden Kindern anvertraut werden könne, ob man denen damit nicht den Sommer verderbe und was Gerlinde und Jörg wohl dazu sagen würden. Am Ende kam sie zu dem Entschluss:
»Ach was, ich mache das! Der lütte Sven Kruse ist pfiffig und hilfsbereit, den könnte man fragen. Vielleicht hat er auch noch ein bis zwei Schulfreunde, die Lust haben mitzumachen. Gerlinde kann ein Auge auf die Kinder werfen und während der Arbeit lernen sie sogar etwas über den Eigenanbau von gesundem Gemüse, was ja auch nicht schaden kann. Und mein Jörg, der olle Brummbär? Der soll sich freuen, dass jemand das Gießen übernimmt.«
Den Sommerhut mit einer Hand auf dem Kopf haltend, bog sie in den Schotterweg ein, der zu ihrem Anwesen führte, und lehnte das Fahrrad unachtsam an die Mauer ihres Backsteinhauses. Drinnen setzte sich die Witwe Appelhoff ans Telefon und wählte die Nummer der Familie Kruse. Die tadelnden Blicke ihrer Köchin konnte sie so lange ignorieren, wie das Gespräch mit Svens Vater andauerte. Nachdem aber alles Wichtige besprochen und der erste Arbeitstag für den Jungen gleich für morgen veranschlagt worden war, musste sie sich fügen und von Gerlinde im Bett füttern lassen.
»Es gibt Hühnerbrühe, was sonst«, sagte die treue Köchin. »Hat zu Kinderzeiten schon geholfen und wirkt auch heute besser als alles, was Ihnen der Kröger verschreiben könnte. Die Medizin geben Sie am besten mir, ich werde sie für Sie einteilen.«
*
Am nächsten Morgen stand nicht nur ein kleiner, eifriger Gärtnergehilfe arbeitsbereit vor dem Appelhoff’schen Backsteinhaus, sondern derer gleich drei. Sven hatte seine Schulfreunde Liliane und Willy mitgebracht. Sie waren nicht im gleichen Alter, kannten sich aber vom allmorgendlichen Weg zur Grundschule und vertrugen sich recht gut, weil sie dieselben Lieblingslehrer hatten. Liliane war mit neun Jahren die Älteste im Trio und war eines jener bedauernswerten Kinder, deren Vorname im völligen Gegensatz zu ihrem Erscheinungsbild stand: Dick von Gestalt und plump in ihren Bewegungen erinnerte sie eher an ein schwerfälliges Riesenbaby als an ein zartes Pflänzchen. Das war einer der Gründe, warum das Mädchen nicht viele Freunde fand und dankbar war, mit Sven und Willy herumhängen zu dürfen. Die Jungen wiederum, jeweils acht und sieben Jahre alt, waren drollige Kerlchen, die sich in Gestalt und Auftreten ähnelten. Willy war zudem mit einem sehr sympathischen Lausbubengrinsen gesegnet, welches ihm bereits jetzt bei allen Lehrerinnen die Tür zur Nachsicht aufschloss, egal wie hartherzig sie sich auch zu geben bemühten.
Die Witwe Appelhoff hatte ihr Bett ans Fenster geschoben und schaute ihnen von oben zu, wie sie in den Beeten Unkraut zupften. Um sich nicht zu Tode zu langweilen, kippte sie das Fenster an und lauschte heimlich den kindlichen Gesprächen. Es stellte sich heraus, dass Willy am meisten Ahnung von Gartenpflanzen hatte und die anderen beiden darin unterwies, welche grünen Halme aus der Erde gezogen und welche dort zu verbleiben hatten. Dass er sich aufgrund seiner dadurch gewonnenen Chefposition die Hände bei Weitem nicht so schmutzig machte wie die anderen zwei, schien weder Liliane noch Sven zu stören. Letzterer bemerkte die ungleiche Arbeitsverteilung ohnehin nicht, war er doch die ganze Zeit über damit beschäftigt, von seinem neuen Smartphone zu schwärmen.
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