1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Der Polizist nickte verstehend, die Empfangsdame hingegen war verwirrt.
»Warum hat die Tochter den Abdeckstift nicht einfach für beides verwendet – für ihre eigenen Pickel und fürs Polieren der väterlichen Glatze?«
»Weil Madeleine die Pickel brauchte, um jung zu wirken«, erklärte die Witwe Appelhoff. »Deswegen auch die Jugendzeitschrift, das leidige Kaugummikauen, das ganze Teenie-Getue… Im entscheidenden Moment musste man ihr schließlich abkaufen, dass sie minderjährig sei. Sonst würden sich erwachsene Männer, die sich auf ein Techtelmechtel mit ihr einließen, nicht von dem vermeintlichen Vater erpressen lassen.«
»Der Vater dieser Frau hier ist also nur ein Vermeintlicher?«, mischte sich nun die Dame mit der perlenbestickten Clutch ein.
»In Wahrheit werden sie etwa im gleichen Alter sein«, vermutete der Kommissar. »Ein Gaunerpärchen, dass Vater und Tochter spielt, um mit dem Vorwurf ›Verführung Minderjähriger‹ irgendwelchen Dummköpfen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Nicht wahr?«
Der angesprochene Schmidt gab nur einen brummenden Laut von sich.
»Wir sagen nichts ohne unseren Anwalt«, sagte Madeleine.
»Sehr gut«, lobte Kommissar Hövelmeyer, »der wird sicher auch Ihren echten Namen und das wahre Alter kennen. Rufen Sie ihn am besten gleich an!«
Die junge Gaunerin fühlte sich ertappt und ließ den Kopf hängen. Peer Hövelmeyer aber runzelte die Stirn und fragte:
»Frau Appelhoff, vorhin sprachen Sie von drei Dingen, die unsere Betrüger entlarven würden. Rasierer und Abdeckstift sind aber nur zwei. Worum handelt es sich denn bei dem dritten Indiz?«
»Oh, das ist zugegebenermaßen nur zu begreifen, wenn man sich mit der Jugend auskennt«, antwortete die Witwe Appelhoff. »Sehen Sie, Madeleine sprach immer wieder von Falladas Roman und trug ihn stets bei sich, um über die leidige Schullektüre klagen zu können – ganz dem Klischee des faulen Schülers entsprechend. Nun weiß ich aber dank eines Gesprächs mit unserer Lehrerin im Ort, dass ›Kleiner Mann – was nun?‹ schon in Klasse 9 gelesen wird und nicht erst in einem Deutsch-Leistungskurs.«
Sie drehte sich zu Madeleine.
»Das war vielleicht vor zehn Jahren der Fall, als Sie wirklich noch zur Schule gingen, wie?«
Madeleine fauchte:
»Sie blöde Kuh!«
»Das klingt nach einem Geständnis«, sagte die Witwe Appelhoff lakonisch und der Kommissar pflichtete ihr bei.
Noch am selben Abend wurden Herr Schmidt und Madeleine abgeführt. Sie verzichteten darauf, ihren Anwalt einzuschalten (sie hatten nämlich gar keinen) und hielten es für klüger, ein Geständnis abzulegen. Dabei betonten sie, dass die beiden Betrugsversuche die einzigen ihrer Art gewesen seien. In der Jugendherberge probierten sie zunächst aus, ob ihre falschen Identitäten glaubwürdig erschienen, und erst im teuren Seebad-Hotel wollten sie finanziell groß abräumen. Der Vorfall mit Mattis Schubiak sei lediglich eine Generalprobe gewesen und mit einem Selbstmordversuch seinerseits hätten sie nicht gerechnet.
Kommissar Hövelmeyer hörte sich alles geduldig an, protokollierte fleißig und kommentierte nichts davon. Es war schließlich Sache des Gerichts, während des kommenden Verfahrens zu entscheiden, was mit dem Gaunerpaar geschehen sollte.
Zufrieden, die Unruhestifter entlarvt zu haben, kehrte die Witwe Appelhoff nach Friedershagen zurück. Gemeinsam mit Peer Hövelmeyer verdeutlichte sie dem Komitee des Heibideu (denn Herr Bunsen und Frau Staudt waren tatsächlich unbescholtene Repräsentanten des Vereins), in welch neuem Licht die unschönen Szenen rund um Familie Schmidts Abreise erschienen. Sogleich behandelten Herr Bunsen und Frau Staudt die Herbergsmutter mit ausgesuchter Freundlichkeit, drückten ihr Mitgefühl aus und versicherten, dass die Bewilligung des Mitgliedsantrags nur noch reine Formsache war.
Als die Witwe Appelhoff das vernommen hatte, wusste sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie verabschiedete sich, stieg auf ihr Fahrrad und fuhr nach Hause.
Jörg sah kurz von seinen Büchern auf, um sie zu begrüßen.
»Na, wieder zufrieden mit dir und der Welt?«
»Oh ja«, lächelte die Witwe Appelhoff. »Ich habe das Gefühl, den Weg zu einer besseren Bildung unserer Kinder ein bisschen mitgestaltet zu haben.«
»Schön«, war alles, was Jörg dazu sagte. »Gerlinde will in einer halben Stunde das Abendessen servieren. Es gibt Krautroulade.«
Weil Krautroulade zu den Lieblingsspeisen der Witwe Appelhoff gehörte, wurde ihr Lächeln noch ein bisschen breiter. Sie setzte sich zu ihrem Bruder, schaute aus dem offenen Fenster in die freie Natur und atmete die frische Seeluft ein.
Die Witwe Appelhoff hat die Sommergrippe
Schwester Floriane hatte in all ihren Dienstjahren in der hiesigen Arztpraxis schon zahlreiche Varianten von Hustern, Schniefern und Niesern gehört und war dementsprechend Einiges gewöhnt. Das »Hatschie!« aber, das gerade aus dem Sprechzimmer durch die geschlossene Tür bis in den Warteraum dröhnte, hatte es in sich. Nicht nur, dass seine Lautstärke enorm war (die aufhorchenden Patienten vermeinten sogar, einen Widerhall zu spüren), es kam gleich in multipler Ausführung daher. Nicht zwei, nicht drei, sondern ganze acht Hatschies zählte Schwester Floriane.
»Ohaueha«, sagte sie und gab mit diesem Ausruf ihre Flensburger Herkunft preis, »welch ein Niesanfall!«
»Klingt fast wie mein Hasso, wenn er bellt«, witzelte Udo Hofmann.
Er hatte gut reden, denn er besuchte die Praxis nur, um ein harmloses Rezept verlängern zu lassen. Die Witwe Appelhoff hingegen, von der die schallenden Nieser stammten, hatte sich eine heftige Erkältung zugezogen und war schier verzweifelt, denn erstens hasste sie es, krank zu sein, und zweitens war sie es überhaupt nicht gewöhnt.
»Sie sind in den letzten zehn Jahren vielleicht zweimal hier gewesen«, sagte Dr. Kröger zu ihr. »Darauf können Sie sich wahrlich etwas einbilden. Eine sommerliche Erkältung wie diese jetzt ist nichts Schlimmes, kann vorkommen. So kriege ich Sie wenigstens mal zu Gesicht!«
Und er lächelte ihr gutmütig zu. Die Witwe Appelhoff drückte ihr bestes, mit Veilchen besticktes Taschentuch gegen die Nase und sagte mit heiserer Stimme:
»Ich weiß wirklich nicht, wo ich mir den Schnupfen eingefangen habe.«
»Was ich hier sehe, ist mehr als bloß ein Schnupfen, Frau Appelhoff«, entgegnete der Arzt. »Sie haben einen entzündeten Hals, tränende Augen, erhöhte Temperatur… Eine sogenannte Sommergrippe haben Sie sich zugezogen, und das ist auch nicht verwunderlich.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, draußen ist es heiß, der menschliche Körper sollte das genießen und zur Ruhe kommen. Sie aber tingeln in der Weltgeschichte herum, eine Ansprache hier, ein Wohltätigkeitsbasar da, und setzen sich im Zug und in den Bahnhofshallen ständig den vermaledeiten Klimaanlagen aus. Gepaart mit dem Stress, den Sie sich in Ihrem Alter zumuten –«
»Bitte?«
Die Witwe Appelhoff zog die linke Augenbraue empor. Sie verbat es sich, zum alten Eisen gezählt zu werden, und wies Dr. Kröger darauf hin, dass er deutlich älter war als sie.
»Nichtsdestotrotz ist das Immunsystem in unseren Jahrgängen nicht mehr so fit wie früher«, lenkte der Arzt ein. »Sie haben Ihre Erkältung ernst zu nehmen. Bettruhe, viel trinken, für die Halsentzündung empfehle ich Ihnen, mit Salbeitee oder Salzwasser zu gurgeln. Außerdem kriegen sie noch ein Rezept von mir, sollten Kopf- oder Gliederschmerzen dazu kommen. Soziales Engagement muss fürs Erste pausieren.«
»Selbst meine Förderung der Aktion Straßenkinder? Die Flyer wollte ich selbst verteilen, sobald sie per Post eintreffen.«
»Das lassen Sie schön bleiben. Damit würden Sie nur alle Bürger von Friedershagen anstecken und die Touristen obendrein, ganz zu schweigen von Herrn Pompadour. «
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