Der übliche Lärm von Stimmen, Druckern und Telefonklingeln drückt auf meine Ohren, als ich mich zu Bellamy, meinem Operator, umdrehe, der hinter seinem Schreibtisch auf mich wartet.
Auf Bellamys rundem Gesicht erscheint ein stolzes Strahlen. »Auftrag erfolgreich ausgeführt? Komm, sag schon, Evodie!«
Ich pflanze mich seufzend auf die Ecke seines Pults. »Ja, alles problemlos gelaufen. Der erste Kontakt ist immer der einfachste.«
»Hat sich ein Erist blicken lassen?« Bellamy schaut mich über seine Brille hinweg kritisch an, die ihm bis zu seiner Nasenspitze gerutscht ist.
Meine Stirn kräuselt sich, denn seine Frage erscheint mir seltsam – da es nichts Ungewöhnliches ist, dass ein Erist einer Cupida in die Arbeit pfuscht.
»Ja, aber sie schickten einen Neuling, weil sie genau wussten, dass sie den Kürzeren ziehen würden. Die Beziehung der Klienten aufrechtzuerhalten, wird wesentlich schwieriger werden. Du weißt ja, um Paare zu entzweien, senden sie meist ihre Besten aus, die mit allen Wassern gewaschen sind.«
»Das kannst du laut sagen. Frag mal Artreus, was ihm passiert ist?«
Im Getümmel suche ich nach meinem besten Kumpel. Doch nirgends ist Artreus zu entdecken, der mit seiner Erscheinung so auffällig ist wie ein bunter Hund.
»Wieso? Was ist ihm denn passiert? Ist er hier?«
Bellamy deutet mit dem Kopf auf die Tür, auf die alles im Büro ausgerichtet ist. »Er ist beim Chef. Seit geschlagenen zehn Minuten.«
»Oh je, und wie ist Phileas drauf? Hat seine Tür schon geleuchtet?«, frage ich amüsiert.
Mit einem Grunzen schiebt sich Bellamy seine Brille zurecht. »Und wie, sein Brüllen war bis in die hinterste Ecke zu hören.«
Ich schmunzle bei der Vorstellung. Denn wenn Phileas wütend wird, beginnt seine Gestalt, die eh von einer hellen Aura umgeben scheint, regelrecht zu brennen, sodass man das grelle Licht durch die Ritzen der geschlossenen Tür erkennen kann.
»Och, der arme kleine Artreus«, grinse ich verschmitzt.
Niemand, der Artreus je gesehen hat, würde ihn als arm, geschweige denn als klein bezeichnen.
In dem Augenblick öffnete sich Phileas‘ Tür, und mein Freund kommt herausmarschiert. Er sieht aus wie der übereifrige Besitzer eines Fitnessstudios. Vor lauter Muskeln sprengte er fast sein Shirt, und sein kahl rasierter Schädel glänzt wie frisch poliert. Wütend kommt Artreus auf uns zu, und sein Gesicht verrät mir, dass beschissene zehn Minuten hinter ihm liegen. Seine Nase wirkt noch knubbliger, wenn er mürrisch ist.
»Mann, als würde es mich nicht schon genug nerven, dass sich eins meiner langjährigen Klienten-Paare trennt, muss Phileas mir deswegen noch einen akustischen Einlauf verpassen. Verdammte Scheiße!«, brummt er und läuft zu seinem Schreibtisch, der schräg hinter Bellamys steht.
Ich folge ihm und habe vollstes Verständnis dafür, dass mein Kollege so sauer ist. Ein Paar zu verlieren, das man mitunter Jahrzehnte durch Höhen und Tiefen begleitet hat, ist harter Tobak. Schließlich sind wir keine gefühlskalten Zombies, sondern Profis, die sich zwar distanzieren, aber dennoch eine Verbindung zu unseren Klienten aufbauen.
»Was? Wie lange waren die zwei zusammen?«, frage ich.
Aufgebracht lässt sich Artreus in seinen Stuhl fallen und lehnt sich, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, zurück. »Über fünfundzwanzig Jahre. Vor zwei Jahren feierten sie ihre silberne Hochzeit.«
»Was ist geschehen, dass sie sich auf einmal getrennt haben?« Ich bin fassungslos. Verflucht, nicht mal fünfundzwanzig Ehejahre sind eine Garantie, dass ein Paar zusammenbleibt.
In Artreus‘ sonst treuherzigen Augen blitzt nach wie vor die Wut. »Ein bescheuerter Erist ist geschehen, und so wie es aussieht, der gleiche, der auch Hectors Paar entzweit hat.« Er dreht sich auf seinem Stuhl nach hinten und schreit quer durchs ganze Büro: »Hey, Hector. Hector, du kleiner fettarschiger Liebesengel?«
Aber Hector reagiert nicht, und Artreus nimmt das oberste Blatt eines Berichtes, der vor ihm liegt, und zerknüllt es. Den satten Papierball wirft er mit Schmackes zielgenau gegen Hectors Hinterkopf, der sich sofort umdreht und den Schuldigen sucht. Artreus hebt die Hand, und Hector brüllt: »Was ist, drückt dir dein enges Shirt die Luft ab, Arti?«
»Wie sah der abgefuckte Erist aus, der dich verhöhnt hat, wegen den Fünfundzwanzigern?«, schreit mein Freund.
Hector zuckt mit den Schultern. »Groß, dunkler Typ.«
»Hat 'ne Visage wie Luzifer persönlich?«
Der andere Cupida überlegt und nickt dann. »Ja, kann man sagen.«
Luzifer? Hab ich was verpasst. »Was meinst du damit?«
Artreus dreht sich wieder zu mir. »Böse. Dem Saftsack schaut die Hinterhältigkeit schon zu den Augen raus. Ich war kurz davor, das Arschloch plattzumachen, so gereizt hat er mich mit seinen dämlichen Sprüchen.«
Bellamy, der bisher still war, wirft die Frage ein, die auch mir unter den Nägeln brennt. »Kennt man den Namen des Eristen?«
Mein Kumpel schnauft. »Wie er heißt, kann ich dir nicht sagen, aber Zelos soll sich erkundigen.«
»Ich werde Zelos dabei helfen«, sagt Bellamy und schreitet sofort zur Tat, indem er sich an seinen Arbeitsplatz setzt. Zelos ist Artreus‘ Operator und Bellamys Gefährte.
Insgeheim grüble ich darüber nach, sobald wie möglich meine Fünfundzwanziger zu überprüfen, ob da noch alles im Lot ist, denn anscheinend machten die Eristen Jagd auf ältere Klienten.
»Weißt du, wie er es angestellt hat, die Fünfundzwanziger zu trennen?«
Artreus‘ Brauen heben sich, und das sagt mir, dass seine Antwort mir nicht gefallen wird. »Bei Hectors und bei meinem Paar haben es jeweils die Frauen mit ‘nem anderen getrieben.«
»Shit!«, fällt mir nur noch dazu ein. Eine übliche Vorgehensweise der Eristen und schwer zu verhindern, wenn man nicht zum richtigen Zeitpunkt vor Ort ist. Ob der Partner tatsächlich fremdgegangen ist, spielt dabei nicht mal eine Rolle. Der Erist legt Spuren und Beweise für den Lebensgefährten, der dem Beschuldigten dann nicht mehr glaubt, obwohl dieser seine Unschuld beteuert und die Wahrheit sagt. Ein Erist, wie auch ein Cupida, kann seine Gestalt verändern, in alles, was er will. Dies bietet unsereinem unendlich viele Möglichkeiten. Gute, wie auch böse – leider.
Zelos kommt aus Phileas‘ Büro und drückt mir eine weiße Akte in die Hand. »Hey, Evodie. Hier dein neuer Auftrag. Mit Mega-Wichtig-Stempel.«
Mit großen Augen beobachte ich, wie er Bellamy eine weitere Akte gibt, die den gleichen roten Schriftzug trägt. Ich tausche mit meinem Operator einen vielsagenden Blick, denn Mega-Wichtig-Aufträge sind meist sehr heikel und mit viel Aufwand und Zeit verbunden.
Bellamy vertieft sich augenblicklich in seine neue Anweisung und meint dann kopfschüttelnd, während er weiter in den Unterlagen stöbert: »Weißt du, manchmal beneide ich dich, Evodie, um deinen Job da draußen, an der Front. Aber jetzt … nicht.« Er schaute betröppelt auf. »Ich schicke gleich die Kundschafter los, um die Daten zu bekommen, die wir noch brauchen. Schreib mir auf, was du wissen musst. Verflucht, Mädchen, das wird diesmal nicht einfach.«
»Na dann, lass uns anfangen.« Enthusiastisch lasse ich mich in meinem Bürostuhl fallen und öffne mit einem Stoßseufzer die Akte.
Sogleich springt mir das Foto meines nächsten Klienten ins Auge. Ein braunhaariger Mann mit einer markanten Nase und auffallend blauen Augen, blickt mir ernst entgegen. Eine kecke Kerbe hat sich auf seinem glatt rasierten Kinn ansehnlich in Stellung gebracht. Alles in allem ist der Typ eine Zuckerschnitte, was auf meine Arbeit natürlich, wie immer, kein Einfluss haben wird.
Ich beginne, zu lesen, und mir schwant Schreckliches. Denn das Leckerchen, das auf den Namen Jonas Kinz hört, ist Witwer und sucht eine Tagesmutter für seinen achtjährigen Sohn, aber keine Ehefrau. Anscheinend hat sich Jonas in der Trauer vergraben, und drei Mal dürft ihr raten, was mein Chef mir für eine Anweisung gegeben hat?
Читать дальше