Demnächst würden Jonas‘ Augen über den Teppich rollen, so schockiert beäugt er die Frau, die sich vor ihm im Stuhl windet. »Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Noch nicht, aber bald, das kann ich jetzt schon voraussagen.
Frau Schnabold gelingt es mittlerweile lediglich, zu japsen: »Ja – ja – ja!«
Ihre Stimmlage gerät mit jeder Silbe höher, und ihr Gezuckel auf dem Stuhl wird stetig unkontrollierter. In Ekstase wirft sie den Kopf in den Nacken und ihr gutturales Ächzen lässt Jonas letztendlich aus dem Zimmer fliehen.
»Ich lasse Sie mal kurz allein, bis Sie … so weit sind.«
Ist recht, Süßer, geh nur. Die Gute hat gerade den Spaß ihres Lebens, auch ohne dich, so wie es ausschaut.
Ihr lang gezogenes »Jaaaaaa« bekommt Jonas wahrscheinlich hinter der verschlossenen Tür mit, denn laut genug ist es. Ich lasse Frau Schnabolds Jeans zur Ruhe kommen und die Polsterung abkühlen. Schwer atmend und ein wenig verstrubbelt, lehnt sie sich im Stuhl zurück.
Ich will sehen, was Zuckerschnittchen treibt, und eine Sekunde später stehe ich neben Jonas im Wohnzimmer. Verstört reibt er sich über sein gut geschnittenes Gesicht und nuschelt leise vor sich hin: »Himmel nochmal, was hat die denn? Als ob … Was mach ich mit der bloß? Da komm ich niemals mit heiler Haut raus.« In seiner Ratlosigkeit läuft er auf und ab. Plötzlich bleibt er an der Tür stehen und schaut in den Flur, die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. »Max?«, wispert er unschlüssig. »Nein, nein. Das würde den Jungen traumatisieren, das kann ich nicht machen.« Kopfschüttelnd wagt er sich allmählich zur Bürotür zurück.
Genau so ist es, Jonas, selbst Max‘ Anwesenheit würde die Frau nicht davon abhalten, sich so dermaßen danebenzubenehmen.
Das Zuckerstück sieht ein, dass er da wohl oder übel allein durch muss. Zögernd legt er seine Hand auf die Klinke und drückt sie ganz vorsichtig hinunter.
Ich wechsle wieder ins Büro und sehe von dort, wie Jonas‘ Kopf langsam zum Vorschein kommt. Ängstlich sucht sein Blick die Frau, an deren Orgasmus er ungefragt teilhaben durfte.
Ja, die Luft ist rein. Vorerst.
Von seiner Anwesenheit weiß Frau Schnabold nichts, ihre gestrafften Schultern und ihr gerader Rücken zeigen jedoch, dass sie sich um Haltung bemüht. Der Gastgeber richtet sich erleichtert auf, und mit einem lauten Räuspern informiert er seinen Gast, dass er den Raum betritt.
»So, da bin ich wieder. Ich war kurz einen Schluck Wasser trinken. Oh, verzeihen Sie, wollten Sie vielleicht auch ein Glas?«
Ah, ein Gentleman. Spätestens ab jetzt wäre ich verliebt in ihn – wenn ich Susan wäre, natürlich.
Diesmal werden die Wangen der Frau rot, weil sie sich wegen ihres Benehmens schämt. Aber sofort reiben wieder ihre Schenkel aneinander, und ich weiß, dass die Droge ihre Wirkung noch nicht verloren hat.
»Das wäre nett. Es tut mir leid, ich weiß gar nicht, was mit mir …«
Komm schon, es hat dir doch gefallen. Lassen wir nochmal dein Höschen beben.
»… loooos ist«, schreit sie erschrocken auf und rutscht dabei vom Stuhl.
Mit überraschten Augen rappelt sie sich auf die Sitzfläche zurück, um gleich darauf aufzuspringen, weil sich unter ihr das Stuhlpolster wölbt – an ganz bestimmten Stellen.
Komisch, war ich das? Ach, ja.
Sie krallt sich schluckend an der rechten Ecke des Schreibtischs fest. »Ich muss irgendwas Verdorbenes gegessen haben. Vielleicht sollte ich mich doch besser auf den Heimweg machen.«
»Ja«, sagt Jonas und nickt energisch, denn er ahnt seine Rettung nahen. »Ja, bestimmt sind Sie krank. Sie sollten unbedingt nach Hause gehen. Wir können den Termin ein andermal nachholen.«
Klar. Aber nicht mehr in diesem Leben.
Entschlossen steht Zuckerschnittchen auf und packt mutig den Stier an den Hörnern. Oder in diesem Fall die Ziege an den Schultern, um sie in Richtung Ausgang zu schieben. Frau Schnabold entfährt dabei ein Stöhnen, welches einer Pornodarstellerin zur Ehre gereichen würde. Als hätte Jonas sich an ihr verbrannt, lässt er sie sofort los.
»Entschuldiguuuung«, keucht sie taumelnd und versucht, den Schritt ihrer Jeans nach unten zu ziehen, um dem Vibrieren zu entgehen.
Ja, ich bin eine böse Evodie. Nein, eigentlich nicht, denn wir alle wissen, dass diese Frau schon seit langem, laaaangem keinen Spaß mehr hatte. Im Grunde müsste die Ziege Lobeshymnen auf mich singen. Apropos singen …
»Oh Gott, oh Gott!«, stößt sie wild atmend hervor.
Mit der linken Hand zwischen den Beinen torkelt Frau Schnabold, sich an der Wand abstützend, den Gang entlang, bis zur Haustür. Jonas folgt ihr, schön mit Mindestabstand, denn man kann ja nie wissen.
Am Ziel angekommen, kann Jonas seine gute Erziehung dennoch nicht unterdrücken. Er greift um die Dame herum und öffnet ihr hilfsbereit die Tür. Irgendwie kommt es zu einer unbeabsichtigten, folgenschweren Berührung, und Frau Schnabold kiekst ein letztes Mal. Aufbäumend wirft sie sich gegen den Türrahmen und rutscht, nach peinlichen zehn Sekunden voller »Ja – Ja – Ja«, total erledigt zu Boden.
Ich schwöre, wenn sie Jonas jetzt nach einer Zigarette fragt … ich habe damit nichts zu tun. Für das, was zuvor geschah, übernehme ich jedoch voll und ganz die Verantwortung.
Vergebens versucht die hagere Frau, das, was von ihrer Frisur übrig ist, zu retten. Sie erhebt sich mit einem leichten Lächeln. »Danke. Es war … wundervoll.« Auf einmal klingt ihre Stimme weich und völlig entspannt.
Jonas‘ Kopf kreist unentschieden zwischen Nicken und Verneinen. »Bitte. Gern geschehen?!«, murmelt er irritiert und sieht zu, wie sich Frau Schnabold am Treppengeländer herunter auf den Bürgersteig hangelt.
Auch auf dem Gehweg knickt sie noch einige Male um, und daran bin ich nun wirklich vollkommen unschuldig.
Von den Ereignissen überrollt, fährt sich Jonas verzweifelt durch seine dunklen Wellen, die nach wie vor perfekt liegen.
Wie macht der Kerl das?
»Okay, jetzt kann es doch eigentlich nur noch besser werden«, murmelt mein Klient und schließt die Tür. Diesmal bleibt ihm genug Zeit, ein Glas Wasser zu trinken und sich zu erleichtern.
Äh, also nein. Beruhigt euch, keine Panik! Es gibt Dinge, die will niemand sehen, selbst wenn man es kann.
Es klingelt, und wie erwartet, steht Püppie vor der Tür, die ich heute Morgen in ihrem Schlafzimmer besucht habe. Absolut heiß sieht sie in ihren viel zu kurz geratenen Hotpants aus. Und nun gerate ich in Panik, weil … Jonas keinerlei Interesse an ihr zeigt.
So als Mann, versteht ihr? Kein Glotzen, kein Blinzeln, kein Stocken. Locker und cool tritt er ihr gegenüber, und das macht mir Angst, denn das heißt, dass er sein Herz unter einer Eisschicht aufbewahrt. Zwar hatte der Bericht so etwas angedeutet, aber … Halloo, das ist ein vitaler Mann im besten Alter, Single, seit drei Jahren Witwer und dem geht nicht der Puls in die Höhe, beim Anblick dieser weiblichen Kurven?
Shit! Das wird schwer werden. Begierde ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Erst muss man etwas wollen, um es lieben zu können. Verdammt! Ich kann bloß hoffen, dass Püppie nicht seinem Geschmack entspricht, aber Susan dafür umso mehr.
Aalglatt und ungerührt kommt es über seine anbetungswürdigen Lippen. »Sie sind Frau Sonntag. Es freut mich, Sie kennenzulernen. Kommen Sie bitte herein.«
»Hi. Ja, danke. Geil, super Wohnung.«
Äh, eher super Flur, denn mehr kann die dumme Nuss nicht sehen.
Kaugummikauend betritt das junge Huhn das Haus. Ihre beiden Hände versenkt sie, in einer schüchtern verspielten Geste, in den Hosentaschen. Diese schauen unter dem Saum heraus, weil die Hosenbeine zu knapp sind. Als wüsste das wilde Luder nicht um die Wirkung dieser Haltung, die ihr Dekolleté in dem engen Top noch eindrucksvoller betont. Ihre klimpernden Wimpern schreien überlaut in meinen Ohren »Ich will dich hier und jetzt vernaschen«.
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