1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Max ist natürlich von der Gegenüberstellung und der Frage überrumpelt, die ihm eigentlich keine Wahl lässt. Ein mieser Eltern-Trick, den der Kleine noch nicht durchschaut. Freundlich lächle ich den kleinen Jungen an, der mit den dunklen Haaren und den blauen Augen seinem Vater sehr ähnlich sieht.
»Hallo, Max, ich bin Evodie.« Ich beuge mich ihm entgegen und reiche ihm meine Hand, die er mit ernster Miene drückt. Mit seinem zaghaften und kratzigen »Hallo« gewinnt der Kleine mein Herz auf Anhieb. »Wie wäre es, wenn wir einfach mal schauen, wie wir in den nächsten zwei Wochen miteinander klarkommen? Was sagst du? Nach den Hausaufgaben könntest du mir zeigen, was du gern spielst«, fordere ich ihn heraus.
Er lächelt und legt damit eine neckische Zahnlücke frei, die in seinem Oberkiefer prangt.
»Cool«, meint er und kommt dann jedoch ins Grübeln. »Aber – holst du mich dann auch von der Schule ab, so wie Papa es will, obwohl man das nur bei Babys machen muss?«
Oha, das ist wohl ein heikles Thema, denn Max lässt keinen Zweifel daran, dass er diese Abhol-Idee total doof findet.
Mein Blick wandert zwischen Vater und Sohn hin und her. Jonas nickt vielsagend hinter dem Rücken seines Sohnes, Max sieht mich erwartungsvoll an.
»Ich …«, stammle ich und wäge mit verengten Augen meine Sätze ab. »… mache das, was dein Vater wünscht. Aber es könnte sein, dass ich so tue, als würde ich dich nicht kennen, während ich dich aus der Nähe, wie ein Geheimagent, beobachte, ohne dass du meine Anwesenheit auch nur spürst.«
Während Jonas die Lippen zusammenpresst, um nicht laut loszulachen, bekommt Max runde Augen, denn das Geheimagenten-Ding scheint ganz nach seinem Geschmack zu sein.
»Cool«, wispert Max eifrig. »Wartest du dann morgen gleich vor der Schule auf mich?«
Der Kleine ist hellauf begeistert und bringt mich meinem Auftragsziel näher, denn Susans Sohn Leon geht in dieselbe Klasse wie er. Wenn ich Glück habe, würde sie ihren Sohn ebenfalls abholen, und ich könnte auf Tuchfühlung gehen. Jetzt bräuchte ich lediglich Jonas‘ Zustimmung, dass ich am kommenden Mittag mit meiner Stelle als Tagesmutter beginnen kann. Fragend starre ich das Zuckerstückchen an.
Dieser ergreift sofort die Möglichkeit, die sich ihm bietet. »Also, wenn Sie morgen anfangen könnten, wäre das … fantastisch.«
Ich zucke mit den Schultern und gebe die Gelassene, obwohl ich innerlich fast platze vor Stolz, die Sache mit Max erstklassig geschaukelt zu haben.
»Gut, warum nicht? Je früher wir testen, ob das mit Max und mir hinhaut, umso besser.«
In den Mienen der beiden leuchtet Begeisterung, und beide quasseln auf mich ein.
»Das ist eindeutig die beste Nachricht des Tages. Ich schreibe Ihnen sofort die Adresse von Max‘ Schule auf.«
»Evodie, meinst du, wir können am Nachmittag Fußballspielen … im Garten?«
Ein Lachen sprudelt aus mir heraus. »Wenn mir dein Vater den Stundenplan gibt und ich weiß, wann ich vor der Schule sein muss«, erwidere ich in Jonas‘ Richtung und wende mich dann wieder an seinen Sohn. »Dann, ja, sobald du die Hausaufgaben erledigt hast, können wir Elf-Meter-Schießen üben.«
»Kann ich Ihnen den Stundenplan als E-Mail schicken?«, fragt Jonas sogleich und lässt sich hinter dem Schreibtisch nieder, um den Worten Taten folgen zu lassen.
Sein unverhohlener Enthusiasmus amüsiert mich, und ich antworte ihm schmunzelnd: »Ja, meine E-Mail-Adresse und die Telefonnummer, unter der sie mich erreichen können, stehen auf der ersten Seite meiner Unterlagen.«
Ja, sogar eine Cupida hat sowohl ein Handy als auch ein E-Mail-Postfach. Schließlich leben wir nicht hinter dem Mond. Obwohl …
Jonas schaut in meinen Dokumenten nach. Er findet bald, wonach er sucht, und tippt auf seinem Laptop herum. »Max, du hast doch noch den Haustürschlüssel? Mit dem kommt ihr ins Haus. Ich verlege meine Mittagspause und bringe dann Pizza mit. Ist das ein guter Vorschlag?« Um Zustimmung heischend, blickt Jonas seinen Sohn und mich an.
In Max rundem Kindergesicht flackert Fröhlichkeit auf, und in zwei winzigen Luftsprüngen tut er seine Vorfreude kund. »Au ja, Papa. Das wird toll.«
»Vorschlag angenommen«, pflichte ich dem Kleinen bei, und Jonas grinst charmant, während seine blauen Augen mich fixieren.
»Gut. Das ist wirklich gut.«
Aus Verlegenheit reibe ich mir den Nacken, denn irgendwie schwingt da noch eine andere Botschaft in seiner Aussage mit, die ich jedoch nicht ganz verstehe und auch nicht deuten will. Einen Moment später löst Jonas sich von meinem Anblick und schaut wieder auf den Bildschirm seines Laptops.
»So, der Stundenplan müsste bei Ihnen bald ankommen.«
Kaum hat er es ausgesprochen, brummt mein Handy in der Handtasche.
»Ja, hört sich danach an. Danke!«, erwidere ich, und Max gluckst neben mir auf. Der Kleine hat sich unbemerkt immer näher an mich herangepirscht und steht nun dicht bei mir. In kindlicher Geradlinigkeit inspiziert er ohne Scheu mein Gesicht. Lächelnd halte ich seiner Neugier stand und erlaube mir, das Gleiche bei ihm zu tun.
Er ist ein süßes Kerlchen, das man einfach gernhaben muss. Seine blauen Kulleraugen und die vollen Wangen mit der Stupsnase sind einfach zu putzig, als dass man sich ihrer Niedlichkeit entziehen könnte.
Jonas beobachtet uns, während wir uns stumm beäugen, schließlich steht er auf. »Komm, Max, wir sollten Frau Engelmann das Haus zeigen. Morgen Mittag werde ich leider keine Zeit dazu haben.«
»Jaa!«, jubelt Max und springt voraus in den Flur.
Ich erhebe mich und greife meine Handtasche. »Sie können übrigens Evodie zu mir sagen. Das Frau Engelmann verwirrt mich nur.«
»Evodie, ein sehr schöner Name. Außergewöhnlich«, meint mein neuer Arbeitgeber in smarter Lässigkeit und begibt sich zur Tür, wo er schweigend verharrt. Langsam schlendere ich auf Jonas zu, bleibe bei ihm stehen und betrachte aus nächster Nähe, gebannt sein glattrasiertes Kinn mit der Kerbe.
»Ich bin Jonas«, erklärt Zuckerschnittchen leise, und ich sehe, wie sein Adamsapfel hüpft, was mich leicht schmunzeln lässt.
Anscheinend ist mein Arbeitgeber doch nicht völlig immun gegen Weiblichkeit, und das ist für mich die beste Nachricht des Tages. Meine Augen finden den Weg zu seinen, und als sich seine Pupillen weiten, schwebe ich erhaben an ihm vorüber.
EIN MORGEN, DEN MAN NICHT SO SCHNELL VERGISST
Es ist Morgen. In wenigen Stunden werde ich Max, in Agenten-Manier, bei der Schule auflauern, um ein Auge auf ihn zu werfen, wenn er nach Hause läuft. Ich sollte jedoch aufpassen, dass man mich nicht für eine pädophile Stalkerin hält. Den Trenchcoat und die Sonnenbrille würde ich mir also sparen. Schade.
Da ich nachts bereits ein paar ältere erfolgreiche Aufträge überprüft habe und nichts im Argen zu liegen scheint, beschließe ich, kurz bei Susan Hunz vorbeizuschauen. Jonas‘ optimale Partnerin arbeitet als eine von zwei Chefsekretärinnen in einem Großunternehmen.
Als ich im Unsichtbarkeits-Modus in ihrem Vorzimmer aufschlage, spüre ich sofort die Anspannung, die in der Luft liegt. Ihre Kollegin, die Haare auf den Zähnen hat, keift sie von oben herab an.
»Also ich kann jetzt auf gar keinen Fall den Kaffee kochen, Susan. Ich muss diese Liste unbedingt fertigbekommen.«
Susan stöhnt leise vor sich hin und verlässt ihren Schreibtisch, um in die angrenzende Kaffeeküche zu gehen. Nebenher murrt sie: »Ich serviere den Herren ihren Kaffee, Monika. Allerdings weiß ich nicht, warum du jetzt im Sommer schon mit der Weihnachts-Präsent-Liste anfangen willst? Bis es soweit ist, überlegt sich der Chef es sowieso wieder dreimal.« Die Blondine beginnt, ein Tablett mit drei Kaffeegedecken zu richten, und stellt eine Tasse unter den Vollautomaten, um sie mit Kaffee zu befüllen. Unglücklicherweise ist der Zuckerstreuer leer, und Susan will diesen wieder auffüllen. Mittendrin in ihrem Tun rutscht ihr der Behälter davon. Der gesamte Zucker verteilt sich über die Arbeitsfläche der Mini-Anrichte, auch über den Küchenboden. Fies, wie die Zuckerkristalle nun mal so sind, legen sie sich in jede Ritze hinein. Leise vernehme ich Susans Fluchen. »Mist. Ich hasse diesen blöden Zuckerstreuer. Das nächste Mal besorge ich Zuckerwürfel. Scheißegal, was der Chef sagt.«
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