Lange noch konnte ich die weiße Mütze des Hamburgers verfolgen, es war wie ein kurzes Aufblinken zwischen den saftig grünen Getreidefeldern und Weinbergen. Er wirkte so beschwingt, als schwebe er. Ich beneidete ihn – oder lag es an mehr Wein.
Wir erreichten Azofra und waren froh endlich in einer Bar frühstücken zu können. Die Bocadillos waren so groß, dass wir uns eins teilten und die andere Hälfte einpackten. In der Bar sah ich eine junge Frau, die mir schon öfter auffiel. Sie hatte eine grüne - hellgrüne - keine froschgrüne - Jacke an und eine passende Mütze zierte ihren Kopf. Sie wirkte immer so alleine, so schüchtern, also steuerte ich sie an. Die junge Frau kam aus der Schweiz, hätte Probleme mit dem Knie und könne einfach nicht mehr. Sie wollte versuchen, mit dem Bus etwas weiter zu kommen. Ich verpasste ihr noch die Wunderkügelchen, wir lächelten uns zu. Gut das ich mal nicht sooo schüchtern bin. Die Osnabrücker trafen wir auch wieder an, so konnte man immer ein büsschen rumflachsen. Gut gestärkt zogen wir weiter.
Die Sonne stieg, damit auch die Temperatur. Kurz vor Ciruena erreichten wir auf der Anhöhe einen hübschen Rastplatz. Neben gegossenen Betonliegen gab es auch Holzbänke und einen Brunnen. Holland sei Dank trank ich immer lieber das gekaufte Wasser. Unsere ”Erstpilger“ nickten uns lächelnd zu. Es wurde Zeit für den Energiestangenschub, die unumgängliche Banane und die Köstlichkeit eines halben Apfels folgte. Auf diesem Rastplatz tummelten sich auch meine Chevaliers, froh gelaunt wie immer. Ein älteres Ehepaar, was heißt älter – hö – hö, wahrscheinlich steckte man sie mit uns in einen ”Sack“, machten sich zum Aufbruch bereit. Er, ein Hüne von Mann, stakte mit den Sticks weit nach vorne ausholend los. Sie, war sehr schlank und mindestens 30 cm kleiner als er, trippelte nebenher. Beide hatten nur Tagesrucksäcke dabei. Ich fand seine Art zu laufen ungerecht. Für mich war klar, das können nur Deutsche sein.
Wir wanderten hinunter – mag ich auch lieber – nach Ciruena. Die gelben Pfeile verwirrten mich, hier zeigte Einer nach rechts, darüber ein Barschild. Mein Kopf klingelte – Café con leche – Café con leche – aber Wolfgang wollte es wohl nicht hören. Er musste unbedingt dort langlaufen wo auch unsere ”Erstpilger“ zu sehen waren. Ach man! War aber richtig.
Wir kamen durch eine Neubausiedlung, aber so was von neu. Alle Häuser wirkten so kalt, jeder Vorgarten sah gleich aus, was heißt Vorgarten - alles. Wie aus einem Science-Fiction Film, menschenleer, ich glaube, hier gab es auch keinen Vogel oder eine aufmüpfige Ameise oder irgendein Lebewesen – nix. Dafür einen großen Spielplatz und ein Schwimmbad. Leer, bei an die 30º, keine spielenden Kinder, kein Gejauchze, kein Planschen – nix. Hatte man sich das in der Hamburger HafenCity abgeschaut? Gruselig.
Von Weitem können wir endlich Santo Domingo de la Calzada sehen, aber nur von Weitem. Die letzten Kilometer der Strecke zogen sich wieder wie Brei, die Sonne hatte ihre unbarmherzigste Hitze ausgepackt. Im Ortseingang schwächelte vor uns eine Koreanerin, setzte sich in einen Hauseingang, stand wieder auf, lief einige gequälte Schritte, setzte sich wieder hin. Auch wir waren am Ende mit unseren Kräften. Nun ging es wieder auf Unterkunftssuche. Hatte mal wieder von Wolfgang ein: „Es wird schwer, hier etwas zu bekommen, gehört“. Innerlich fing ich dann immer an zu brodeln – kochen - oder bis zum fast Überkochen. Auch Organisatoren sind mal müde!
Um seinem Fragezeichenblick zu entkommen, ging ich gleich in das erste ***Hotel, um nach einem Doppelzimmer zu fragen. Komplete! Das Fragezeichengesicht änderte sich auf, ich habe es geahnt. Ab zur Informatión del peregrino. Alle Gedanken sind dann nur noch auf die Suche gerichtet. Suche mir wieder ein **Hostal aus. Auf dem Weg dorthin laufen wir direkt auf das *Hostal Peedro zu. Bei dem Anblick bekam ich das Grausen, alles hing schief und krumm am Haus und in den Fenstern, verlottert eben. Ach nö, dann doch eventuell lieber eine Albergue.
Wir landeten im Hospederia Cistersiense. Man spürte dieses himmlische Willkommen, diese Herzenswärme, als wäre es wirklich das Haus des Herrn und die Engelchen könnten gleich ihre lieblichen Stimmen erklingen lassen. Vergiss es, wir sind hier auf der Erde. Die Kargheit eines Klosters war übernommen worden. In einem Glaskasten – Pförtnerloge bzw. ”Empfang“ - saß eine dickliche Nonne. Mit schnarrender Stimme – für den grimmigen Blick sollte sie am Abend ordentlich den Rosenkranz schwingen – wurde uns auf die Frage nach einem Habitatión doble ein sí mit dem Preis entgegen gebellt. Unsere Pilgerpässe bekamen ihre Stempel, wobei ich nur dachte – hey, die brauchen wir noch. So hatte ich mir die ”himmlische Betreuung“ nicht vorgestellt.
Das Zimmer war im sechziger Jahre Stil gehalten. Hauptsache eigene Dusche mit WC, zwei Einzelbetten, das war in Ordnung. Wolfgang packte mal wieder alles aus – oh, wir hatten ja immer noch unsere Einkäufe, die Brote und den Schinken, von vorgestern. Nach dem Reinigen von Körper und Klamotten zogen wir wieder los.
Auf einer mit Bäumen umsäumten Rasenfläche, vor einer Albergue, hatte es sich eine Gruppe junger Leute, ein Hund gehörte dazu, gemütlich gemacht. Der Hamburger Stetsonträger war auch dabei. Sie würden mit dem Hund keine Unterkunft bekommen und wüssten noch nicht, wo sie schlafen könnten. Es ist allgemein bekannt, dass Hunde in den Alberguen verboten sind. Wir eroberten uns eine der Steinbänke und verzehrten die selbst gemachten Bocadillo con jamón. Dafür, dass die Esswaren zwei Tage in der Sonne mit uns unterwegs waren, schmeckten sie nicht schlecht.
Kathedralen sind eine Einladung zum Kerzen anzünden, wurde auch wieder Zeit. Die Kathedrale von Domingo de la Calzada ist voller goldener Altarbilder, Sarkophage und sonstiger Kunstwerke. Ich suchte Kerzen, es gab aber nur Kästen mit elektrischen Kerzen. Man steckte Geld in den Schlitz und es leuchteten dann zwei Birnen auf. Hm – da kann ich ja auch zum Lichtschalter gehen, dreimal an- und ausschalten – fertig. Ich fand es blöd. Neben uns tauchte das Osnabrücker Paar auf. Wow – sie hatte ein schwarz-weiß gemustertes, eng anliegendes Kleid an, dazu ein passendes Tuch um die Haare drapiert. Es sah richtig gut aus, aber für mich wär das noch lange nix, eng anliegend – noch nicht, kam mir aber sehr schäbig vor.
In der Kathedrale in einem erhöhten Käfig werden ein weißer Hahn und weiße Hennen gehalten. Die längere Legende dazu schenke ich mir. Es heißt aber, wenn der Hahn einen Laut gibt, kommt man in Santiago an. Hätte ich das zu diesem Zeitpunkt gewusst, wär mein Aufenthalt in der Kirche länger ausgefallen. Bei uns machte der Hahn noch nicht mal piep.
Hatten uns noch den Museumsteil der Kathedrale angesehen und trafen am Ausgang die Osnabrücker wieder. Wir Mädels stellten übereinstimmend fest, dass wir diese pompöse Art der Kirchen nicht mögen, lieber klein und schlicht. Auch ein christliches Leben hat doch nichts mehr mit der Kirche gemein. Kinderquälende Kirchenmänner empfinden wir als Schande der Menschlichkeit.
In einem Café treffen wir erstaunlicherweise den Marcus wieder. Er war mit dem Fahrrad 10 Kilometer in die falsche Richtung gefahren und nun auch in diesem Ort gelandet. Manchmal kommen Bicis auch nicht schneller voran. Nach der Klönrunde wollten wir noch Wasser und Bananen besorgen. Mit einer großen Tüte beladen begegnete uns schon wieder der Osnabrücker. In der vorigen Herberge hätte einer Frikadellen gebraten und nicht eine Einzige abgegeben, das hatte ihn sehr geärgert. Nun wollte er selber Frikadellen machen. Ich spürte, wie mein Mann unter erhöhtem Speichelfluss litt. Für Frikadellen würde er in jeglicher Albergue nächtigen. Ich zog dann mit meinem sabbernden Mann zum Einkaufen weiter. Vor unserem Hostal treffen wir auf zwei Frauen, die im Kloster übernachten wollten, wir merkten nur an, das sehe zwar so aus wie ein Kloster, wäre aber keins.
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