Unter einer Brücke machten wir einen Schüttelstopp, da das einer der wenigen schattigen Stellen war, lagerten dort vier Frauen. Es waren Amerikanerinnen, zwei Junge und zwei Ältere. Sie schmierten sich mit einem Spork (vorne Löffel, hinten Gabel, an der Seite Messer) Brötchen mit in Tomatensoße eingelegtem Fisch.
Komisch, nur der Anblick der Brötchen signalisierte dem Magen: Ich will das auch. Viel schlimmer war der Durst. Unser Getränk klebte den ganzen Rachen zu. In der Ferne war Logroño schon zu sehen. Liefen dann noch über lange Teerwege bis wir endlich Maria unter dem Feigenbaum erreichten. Bei ihr holten wir uns schön gekühltes Wasser und den besonderen Stempel. Wasser, Genuss pur. Beidseitig der Teerpiste vor Logroño waren Wiesen, die fast nur aus leuchtend rotem Mohn bestanden.
Gleich auf der Brücke über dem Rio Ebro war die Informatión del peregrino. Da auch wir lernfähig waren, holten wir uns einen Stadtplan. Ich suchte nach Hostal**, wir hatten tatsächlich gleich das Hostal gefunden. Es war das La Numantina und ein Doppelzimmer war auch noch frei. Man das war ja diesmal ganz einfach. In einem gemütlichen, großzügigen Raum standen zwei große Betten. Ich schaute mir das Bad an, die grünen Kacheln kannte ich doch. Ich hatte dieses Hostal bereits zu Hause im Internet angeschaut. Wir fühlten uns auf Anhieb wohl.
Wolfgang packte mal wieder seinen ganzen Rucksack aus und verteilte überall seine Tütchen und Bekleidungsstücke. Ich suchte immer nur die Dinge aus dem Rucksack, die ich benötigte und packte den Rest gleich wieder ein. Auf dem Stadtplan stand, dass es in der Straße eine Markthalle gibt. Frisch geduscht erkundeten wir die Stadt. Schauten uns die Öffnungszeiten der Markthalle an, prima, sie öffnete um 7.30 Uhr. Wir wollten uns am nächsten Tag etwas zum Frühstücken für unterwegs besorgen.
Der Hunger trieb uns durch die Straßen. In Spanien wird aber erst ab ca. 20.00 Uhr gegessen. Endlich in einer kleinen Gasse entdeckten wir ein Restaurant, vor dem einige Spanier saßen. Altes Gesetz im Ausland, suche dir ein Restaurant, wo Einheimische essen. Diese Spanier hatten aber nur getrunken, das merkten wir aber zu spät. Wir setzten uns und wollten das Pilgermenu essen. Der Camarero (Kellner) trug ein helles Hemd und eine schwarze Hose an seinem dürren Körper. Seine Kleidung hatte sehr lange kein Wasser außer dem Schwitzwasser seiner Poren gesehen. Halblange Haare konnten sein gelangweiltes Gesicht nicht umwehen, denn sie waren fettig. Wieso hatten wir uns nicht einfach ein Getränk bestellt und sind wieder gegangen? Wir fragten nach dem Pilgermenu. Unfreundlich antwortete er gequält - Schneidezähne hatte er auch nicht - es würde erst ab 19.00 Uhr Essen geben. Es war 18.30 Uhr und wir blieben ungerührt sitzen. Wieder hatten wir den Moment verpasst, um zu gehen. Wütend stapfte er ins Lokal, kam wieder – ja, wir könnten essen. Das perlte so an uns ab. Das Essen war wie der Camarero, schlecht! Schon wieder etwas gelernt, wenn Spanier nur trinken, sollte man auch nur trinken.
Zurück im Zimmer schlüpften wir frühzeitig ins Bett. Es war kuschelig und bequem. Auch hier war eine Kirche in der Nähe, aber die Glocken klangen eher sanft wie Klangschalen und lullten mich in einen seligen Schlaf. Bei geöffnetem Fenster natürlich. Was für eine schöne Nacht.
Am 19.05.2011 hatten wir uns eine Strecke von Logroño bis Ventosa 19,2 km vorgenommen. Es war Zeit, gleich sollte die Markthalle öffnen. Wolfgang packte alles wieder in den Rucksack. Wir stiefelten über die Straße zur Markthalle.
Was versteht man unter einer Markthalle? Lebensmittel aller Art: Wurst, Käse, Obst, Gemüse, Brot frisch und dekorativ ausgelegt. Bei uns sind die Großmarkthändler Frühaufsteher, hier war es anders, die schliefen wohl noch. Außer einem Fleisch- und Wurstwarenstand gab es nur Kräuter. Also wieder raus, umkreisten die Halle und fanden einen Laden in dem wir uns Brot, Schinken und Wasser kauften. Nur ganz Mutige treiben mich ohne Kaffee, etwas Essbarem und Smoke durch die Stadt. Wolfgang wollte heute sehr - sehr mutig sein. Nach einem Kilometer gab er entnervt auf.
Trotz der gekauften Brote kehrten wir in das nächstbeste Café ein. Nachdem meine Mindestbedürfnisse gestillt waren, konnte es von mir aus losgehen.
Was ist das denn? Von rechter Seite kommend scherten Spanier, ganz – ganz viele Spanier, in den Weg ein. Nach Logroño folgt eine 2,8 km lange Parkanlage, die zum Naherholungsgebiet der Logroňer gehört. Das ist auch den Spaniern bekannt. Urplötzlich waren wir von über 100 Menschen umgeben. Schnatternd belegten sie, Junge und Ältere, in Fünfer- oder Sechserreihen den Weg. Wir versuchten mit ständigem ¡Hola! - ¡Buen camino! - ¡Buenos dias! - uns einen Weg durch die Massen zu bahnen. Vergiss es, sie waren eindeutig in der Überzahl. Wir machten ein Päuschen.
Es wurde ruhiger und wir konnten in dem uns angewöhntem Gleichschritt laufen, es war schon fast wie ”Paarlauf“. Kamen an dem Stausee Pantano de la Grajera vorbei. Schon hatten wir einen Teil der Gruppe eingeholt. Inzwischen waren auch die Fahrradfahrer aufgewacht. Oder hatten sie sich auf der Tour de France verfahren? In kurzen Abständen rief immer einer der Fußgänger von hinten – Bici –, man ging einen Schritt nach rechts und schon flogen drei oder vier Fahrradfahrer mit einem fröhlichen ¡Hola! – ¡Buen camino! – an einem vorbei. Ich möchte hier aber nicht den Eindruck erwecken, dass die Bicis rücksichtslos waren, das stimmt definitiv nicht.
Am Ende des Naherholungsgebietes unter einem Unterstand sitzt Marcelino, er trägt langes Rauschegrauhaar und ebensolchen Bart, der Wanderstäbe, Früchte und Wasser verschenkt. Bei ihm holten wir uns den besonderen Stempel, nun zieren Teodoro (sein Esel), Moru (sein Hund) und Marcelino unseren Pilgerpass. Wir liefen weiter bergauf, der Weg führt jetzt an der Autobahn lang. Unter einer Straßenüberführung knieten vier Fahrradfahrer um ein Bici. Schwitzend versuchten sie achthändig das Gefährt wieder fahrbereit zu machen. Ist doch auch mal nett Bicis zu überholen.
Der grobe Maschendrahtzaun an der Autobahn ist bestückt mit Kreuzen aus Holz, Blumen, Ästen, Tauen und Bändern. Den Grund weiß keiner, könnte mir aber vorstellen, dass es ein Ausdruck von Abschied – loslassen ist. Wir machten kein Kreuz, sondern gingen weiter und erreichten Navarrete.
Im unweigerlich angesteuertem Café, die übliche Bestellung und wir lernten ein Osnabrücker Paar kennen. Sie trägt immer um den Kopf geschlungene Tücher und ist eine der wenigen Frauen, die im kurzen Rock laufen. 2004 begannen sie von ihrem Heimatort aus mit dem Jakobsweg. Jedes Jahr laufen sie zwei bis drei Wochen. Innerhalb Deutschlands war es sehr schwer, eine Pilgerunterkunft zu bekommen. Sie würden nur in Herbergen übernachten. Ich denke nur - ach nö – ich lieber nicht!
An der Bushaltestelle am Ortsausgang stand ein junger Mann. Er trug Flip-Flops an den mit Blasen verzierten großen Füßen, die Blasen waren sichtbar entzündet. Nicht nur seine Füße sind groß, er klingelt bestimmt an der Zweimetermarke. Um seiner Größe noch mehr Ausdruck zu verleihen, trug er einen ledernen Stetson. Bekleidet war er mit einem ärmellosen Heavy Metal Shirt. Vom Ansehen würde man ihn eher in der Prärie vermuten und nicht auf dem Jakobsweg. Der junge Mann kam aus Hamburg, man ”riecht“ es, wenn jemand aus dem Norden kommt. Nein, er könnte nicht mehr laufen und würde sich vorerst mit den Bussen fortbewegen (oder weiterreiten?). Ob er denn keine Wanderstiefel habe. Doch – doch, er zeigte auf seine am Rucksack hängenden Stiefel. Eingelaufen? Ja, so 60 km. Und die Socken auch eingelaufen? Nein. Wir erklärten ihm, er müsse die Strümpfe erst tragen – waschen - tragen – waschen und so weiter. Meine Güte, was sind wir bloß für Wanderklugscheißer geworden!!
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