Im Outdoor Reiseführer stand für Radfahrer: Die Fahrt auf die Passhöhe des Puerto del Perdón ist sehr anstrengend, die daran anschließende Abfahrt dann wahrhaft halsbrecherisch. Ach ja, und was ist mit Pilgern, die zu Fuß gehen? Haben wir Flügel? Segeln wir eben mal auf den Pass und mit zwei Flügelschlägen sind wir auch schon wieder unten?
Nö, wir liefen nur bergauf, die sabbelnden Franzosen vor uns. Immer bergauf. Ich krallte meine Hände in die Trageriemen meines Rucksackes (wo sollte ich auch sonst mit ihnen hin – jammer – wo ist mein Stöckchen) zählte immer 10 Schritte – schnaufen – 20 Schritte – schnaufen. An der Wegstrecke standen alle Marlboro´s meines Lebens. Sie bogen sich vor Lachen, ätzend. Ich sah vor mir immer Wolfgangs Po-Bäckchen, sind gar nicht so groß – oder machte das die Entfernung?
Mit uns hüselten zwei Spanier eine Karre bergauf. Ständig fielen ihnen Stangen – Zeltstangen? - von der Karre. Endlich jemand der langsamer war als wir. Irgendwann nahm ich ihnen zwei Stangen ab. Zwar keine Sticks aber ich hatte etwas in den Händen. Ihnen trullerten immer wieder Gegenstände von der Karre.
Wir hatten den Puerto del Perdón Höhe 734 m erreicht. Auf dem Bergrücken ”wo der Weg der Winde mit dem Weg der Sterne zusammentrifft“ stehen 40 Windräder. Ich sah auch Sterne, die Luft war voller Tröpfchen, sie flogen auf mich zu. Oben auf dem Pass sich umdrehen, zurückblicken, feststellen, was für eine Strecke man gegangen war. Das kann man nicht erklären, nur fühlen. Holland war auch schon da. Ließen sich von Wolfgang fotografieren. Ob wir auch zusammen ein Foto haben möchten. Ich verneinte und stellte klar, dass ich gestelzte Fotos hasse. Hatte dann von Wolfgang zwei Stelzfotos gemacht.
Es ging bergab, meine Zeit war gekommen. Das Becken nach vorne gekippt, leicht in den Knien eingesunken, tippelte ich den Abhang hinunter. Grinsend drehte ich mich um. Hinter mir stakste Frau Holland mit ihren Sticks vorsichtig den Boden ab, um dann bedächtig einen Schritt vor den anderen zu setzen. Sie sah sehr kopflastig dabei aus. Pah! Diesmal war Wolfgang hinter mir. Der Abgang war auch sehr gerölllastig. Eigentlich wie alle Wege. Wer Sandwege erwartete, war hier falsch. Ja – ja, der Jakobsweg ist ein sehr steiniger Weg, in welcher Beziehung auch immer. Nachdem wir noch einen Iren kennengelernt hatten, die Orte Uterga – Eunate – Obanos durchquerten, landeten wir in Puente la Reina. Als wir Obanos durchliefen, fiel mir ein Hostal auf. Es wirkte so ruhig, beschaulich. Sind aber noch die restlichen 3,1 km gelaufen.
Nach sieben Stunden hatten wir Puente la Reina erreicht. Wir fragten beim Hotel Jakue nach: „Un habitacion doble con baño.“ Ich verstand nur, es gibt ein Vierbettzimmer ohne Bad und kostet 36,00 €. Mir war das zu teuer. Wir liefen weiter zum nächsten Hostal, hier kostete das Zimmer 50,00 €. War mir auch zu teuer. Wir liefen bis in die Altstadt. Entdeckten ein 3-Sterne Hotel. Fragten nach einem Zimmer. Sie hatten nur noch einen Single-Room, würden sie uns aber für einen Preisnachlass von 82,00 € statt der 87,50 € geben. Ich nickte nur noch müde. Wolfgang sagte lieber nichts, er war auch müde.
Das Zimmer ist wie ein übliches Einzelzimmer, alles auf engstem Raum. Aber nett eingerichtet, hat eine Dusche und ist blitzesauber. Wolfgang packte seinen Rucksack ganz aus. Verteilte seine Sachen im Zimmer, sortierte sozusagen. Ja, er ist diesmal für seinen Kram selber verantwortlich. Nachdem wir geduscht und unsere Höschen gewaschen hatten, streiften wir noch durch den Ort, um Sticks oder Wanderstäbe kaufen. Wir nahmen jeder einen Stick. Die Wanderstäbe waren mir einfach zu glatt.
Im Hotel gab es erst um 20.00 Uhr das Pilgermenu. Übrigens das Essen und das Frühstück waren im Preis enthalten. Wir trafen den Iren wieder, er wanderte zurzeit allein. Seine Frau kommt in Burgos nach und läuft dann mit ihm bis Leon. Er suchte dann eine Bar, eine richtige Bar auf. Ich glaube, Iren trinken ganz gern mal.
Es dauerte, bis es endlich 20.00 Uhr war, wir hatten tierischen Hunger. Übrigens die Franzosen, die Luxuspilger, waren in dem gleichen Hotel. Super angezogen, geschminkt, die Haare gedresst, saßen sie im Speiseraum und schnatterten. Das Pilgerpärchen, das wir zuerst in Pamplona gesehen hatten, saß auch an einem der Tische. Es gab ein leckeres Menue. Vorspeise, Hauptgericht, Dessert, Wasser und Wein von bester Qualität.
Ab in Bett. Es war 21.30 Uhr, nach den ca. 26,5 km (man muss ja die Extrakilometer innerhalb Pamplonas zurechnen)lag ich todmüde im Bett. Wolfgang schnorchelte schon selig. Und dann, und dann ging es los. Die Kirchenglocke erinnerte mich viertel-, halbstündlich und stündlich daran wie spät es schon ist. Viertelstündlich mit einem, halbstündlich mit drei Glockenschlägen (wieso eigentlich drei? Hatte gerade keinen zum Fragen)und stündlich gaben die Glocken dann alles. Zu meinem Trost wurden die Glockenschläge nach Mitternacht weniger.
Puente la Reina - Estella
Leider gab es erst um 8.00 Uhr Frühstück. Wir betraten den Raum, alle Tische waren besetzt, nur ein Tisch war nicht abgeräumt aber wohl frei. Abräumen war wohl nicht geplant. Wir schoben alles an die Seite und frühstückten. Ich holte mir noch einen Cafe con Leche, Wolfgang war auch nicht am Platz. Da räumte doch tatsächlich eine junge Frau alles von einem anderen Tisch, stellte das schmutzige Geschirr bei uns mit drauf, um mit ihrem Sohn zu frühstücken. Ich schaute sie mit offenem Mund an, man sah, dass der Tisch noch belebt war. Nun war er überbelebt. Tellerberge. Es war eine Deutsche, sie entschuldigte sich halbherzig, ließ aber die Tellerberge stehen.
Von Puente la Reina geht es natürlich steil bergauf. Was denn auch sonst. Wir liefen an den leuchtendgrünen Getreidefeldern vorbei. Hier wird noch Essbares angebaut, nicht nur Biogas und E 10 (Mais + Raps). In den Feldern blinkerte der knallrote Mohn - so als wolle er uns Mut machen. Die Kornblumen halten sich etwas zurück, Raps ist nur am Feldrand zu sehen. Wenn man hechelnd stehen bleibt, zurückblickt, möchte man sich in die Felder legen. Es soll bei dieser Etappe bis nach Estella (22,2 km) gehen – oder laufen. Es war 10º wärmer als am Vortag, das Laufen blieb mühsam.
In Cirauqui die erste Rast. Der Ire nahm auch einen Café con Leche und ich fragte mich, wie schaffte er es, dass sein Café größer war und irgendwie leckerer aussah, als meiner. Obwohl der Café bisher immer gut war. Ich kannte von früheren Urlauben auf den spanischen Inseln nur Plörre. Den machen die dort mit Absicht so. Holland stickerte auch um die Ecke. Er hatte ein schneeweißes T-Shirt an, hallo – schneeweiß – geht’s noch? Ja, sie hätten auch in Puente la Reina genächtigt, im Hotel Jakue für 36,00 € ein Vierbettzimmer für sich alleine, alles ganz – ganz toll. Wieso mag ich die nicht.
Wir liefen auf einer alten Römerstraße. Sie ist gebaut aus Steinen, die mit dem Buckel nach oben liegen, blöde Römer, wenn sie die Steine anders gelegt hätten, wäre die Piste vielleicht glatter gewesen. Man kennt das aus Büchern: Nach der langen Kutschfahrt schmerzten Madame alle Knochen im Leib. Jetzt verstehe ich Madame besser.
Holland stöckelte hinter uns. Wir müssten mal ein büsschen schneller laufen. Aber da musste Frau Holland auch schon wieder in die Büsche. Hätte mit unserer iPOOD-Schaufel wedeln können. Auf dem Wege neben der Römerstraße winkte uns ein Spanier im Blaumann. Ich dachte nur, na? Will er uns locken und dann überfallen? Er ruderte weiter mit den Armen, wir sollten ihm folgen. Wir sahen uns kurz an, verließen die Straße und folgten dem Spanier auf dem kleinen Weg. Und siehe da, der Zugang zur Römerbrücke war zerfallen.
Unter einer Brücke fließt der Salado, er ist flach und voller Steine. Eine Gruppe Koreaner amüsierte sich im und am Wasser. Wanderstiefel hatte keiner, dafür Badelatschen, dünne Turnschuhe und sonstiges Schuhzeug. Es ging weiter bergan, wir waren kurz vor Lorca. Eine junge Pilgerin stand am Weg, bat uns, durch den Weinberg zu laufen. Vor einer Stunde hatte ein Pilger einen Herzinfarkt erlitten, er lag noch zugedeckt auf der Straße. Später erfuhren wir, er war Däne und hätte noch vor vier Tagen seinen 76. Geburtstag gefeiert. Wir liefen betroffen und schweigend durch den Weinberg, bis wir wieder auf den Weg stießen. Wolfgangs Traurigkeit wird uns noch eine Weile begleiten. Es ist die Befürchtung auch so zu enden – einfach Schluss.
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