1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Es wurde Zeit, die Ernährungskette mit dem Pilgermenu zu schließen. An Hand des Stadtplans musste es noch einige Restaurants geben. Schlenderten durch die Straßen und fanden einen großen belebten Platz mit mehreren Bars. Vor dem Restaurant, wo wir uns auf der Terrasse niederließen, saßen schon zwei jüngere dunkelhaarige deutsche Frauen. Seit dem schlechten Essen in Logroño schaute ich doch lieber, was den so auf den Tellern lag. Sie meinten, dass das Essen gut wäre. Neben dem Ständer mit der Auswahl der Pilgermenus (es gab immer je vier Vorspeisen und Hauptspeisen) konnte man in das Fenster sehen. Na, wer saß da, klar unsere ”Erstpilger“ aus Pamplona. Die Nebentische waren mit spanischen Frauen bevölkert. Sie diskutierten intensiv, rauchten und tranken. Es wurden immer mehr. Dann so um 21.00 Uhr sammelten sie aus allen Ecken Ihre Kinder ein und gingen nach Hause. Jetzt weiß ich warum es in Spanien erst so spät Essen gibt. Sie haben vorher keine Zeit zum Kochen und sie wirkten nicht so, als wären sie in Eile.
Wolfgang hatte sich als Vorspeise eine Suppa de regíon bestellt, es kam eine Kartoffelsuppe mit Wurststückchen, neugierig probierte ich natürlich. So was von gut gewürzt, einfach lecker, mit neidischem Blick verspeiste ich meine Spaghetti. An den Tisch mit den zwei Deutschen kamen immer mehr Leute, erst zwei blonde junge Frauen, dann ein älterer Mann, dann ein Ehepaar. Sie rückten Tische zusammen, fragten uns, ob wir auch dazu kommen möchten. Wir waren mit dem Essen noch nicht fertig und mit dem vollgestellten Tisch wollte ich nicht rumrücken. Erst als wir unsere Nachspeise gegessen hatten, wollte ich umziehen, da wollte Wolfgang aber nicht mehr – schade. Auf dem Rückweg zum Hostal kamen wir an der Rasenfläche vor der Albergue vorbei, sie war leer, die jungen Leute hatten wohl doch noch eine Schlafmöglichkeit mit Hund gefunden. Alles wird gut. Nachdem wir für den nächsten Morgen doch noch Frühstück in unserer Unterkunft geordert und auch gleich bezahlt hatten, ging es ab in unsere Doppelzelle. Freute mich schon auf Zwieback.
Santo Domingo de la Calzada - Belorado
Am nächsten Morgen waren aber Brötchen gebacken – kleine Brötchen – oder besser ganz kleine Brötchen. Verdammt, ich war auf Zwieback eingestellt. Am Nebentisch saßen bereits zwei ältere Paare. Der Hüne und seine kleine Tippie, keine Deutschen, sondern Belgier, mit ihren deutschen Freunden. Das andere Paar ist vor Jahren schon den Camino gegangen, fuhr jetzt mit dem Auto die Strecke, um sich alle Sehenswürdigkeiten anzusehen. Es stimmt schon, wenn man läuft, ist man nicht auf Besichtigungstouren aus. Sie würden die Koffer transportieren und immer die Unterkünfte für alle Vier buchen. Ohne Gepäck lässt es sich eben strammer stickeln.
Bei der Schlüsselabgabe hatten wir wieder die Nonne vom Vortag, nein sie hatte nicht nur gestern einen schlechten Tag. Nach kurzer Diskussion – ob Frühstück schon bezahlt – sie sagte nein, wir bleiben bei: Hatten wir bereits gezahlt, zogen wir los.
Dieser Wandertag sollte in Belorado nach 23,6 km enden. Locker - oder noch locker – erreichten wir nach 7,3 km den Ort Graňón. In Sichtweite gab es einen Pilgerauflauf. Die Päuschenmacher sammelten sich vor der Bar. Die Osnabrücker auch, natürlich musste er in Wuschis fast offene Wunde pieken. Die Frikadellen waren in der Herberge dankend abgenommen worden. Er war darüber verwundert, wie viel doch eine junge Frau essen konnte. Er packte noch drei Bier aus seinem Rucksack, nun wollte er die übriggebliebenen Flaschen nicht weiter mitschleppen. Dass er die bis hierher geschleppt hatte, alle Achtung.
Diesmal war Wolfgang mit der Bestellung beauftragt und die beiden Frauen, die das Kloster zum Übernachten suchten, setzten sich zu mir. Ihre Männer waren sehr früh, mit 54 und 55 Jahren, verstorben. Sie lernten sich auf einem Trauerseminar kennen. Da kam Wolfgang, die Frauen standen auf, legten sich jeweils ein Frotteetuch um, in rot und orange, schnallten sich die Rucksäcke um und gingen mit Buen camino. Ich hatte den Eindruck, sie wollten mir noch etwas mitteilen.
Weiter ging es nach Redecilla del Camino. Kein Baum – kein Strauch, man betrat den Ort und war auch schon wieder am Ende. Ständig an der Autobahn ging es weiter nach Castildelgado, wo ich der irrigen Annahme war, es wäre schon der Ort Viloria. Dachte noch: Was sind wir doch schnell heute! Pustekuchen, der Ort war im Reiseführer nicht als Kilometerpoint aufgeführt.
Ein Pfeil führte uns links in Feldwege, weg von der Autobahn, ging es wie üblich hinauf und hinunter. Nach längerem Laufen, rechts ab – links ab – rechts ab, landeten wir wieder an der Autobahn. Von der Seite kam ein Pilger, er kannte sich wohl aus und war geradeaus gepilgert, damit gefühlte 2 km gespart. Dann kam Viloria, lud dieser Ort zum Verweilen ein? Bot er die Möglichkeit eines kühlen Getränkes? Forderte auf Platz zu nehmen im lauschigen Schatten? Nö – hier gab es so was von nix. Im schmalen Schatten der Mauer eines Gebäudes, hingen die erschöpften vier Amerikanerinnen. Der Tag wäre einfach zu heiß. Doch einen Brunnen gab es, mit einem großen X, also trinken darf man auch nicht. Es war Mittagszeit. Man brauchte nicht auf die Uhr sehen, der Sonnenstand sagte alles.
Haute mich neben einen jungen Mann auf den Kantstein im Minimalschatten. Er zog gerade seine einfachen Turnschuhe aus, die völlig durchgesifften Frotteesocken, ehemals weiß vielleicht, folgten. Wunderte mich keineswegs, dass farben-frohe Blasen zum Vorschein kamen. Für Mitleid war ich aber zu erschöpft. Quakte noch einen Autofahrer an, wo denn hier der Bus abfährt. Mit den Worten, er wäre auch fremd hier, kurbelte er das Autofenster schnell hoch und haute ab. Feigling.
Weiter nach Villamayor sind es ja nur noch lächerliche 3,2 km, erst an der Landstraße und später wieder an der Autobahn lang. Freute mich, als endlich die Ortschaft näher rückte. Auf der anderen Seite der Landstraße sah ich eine Bar, Wolfgangs Übliches: Lass uns doch noch weiter oben gucken, lenkte uns daran vorbei. Im Reiseführer stand: Verwechseln Sie die Herberge nicht mit dem ebenfalls, nicht weit von hier befindlichen Club Siroco. Es handelt sich um ein Bordell. Suchte er das? Foto machen oder was.
Schon waren wir durch Villamayor hindurch, kein Café con leche oder so. Wer mich kennt, weiß, dass man das nicht mit mir macht. Nonnengrimmig eilte ich im Hünenstickschritt vorwärts, denn eins macht man nie, zurückgehen!!! Irgendwann gab es einige Bäume am Weg. Ich blieb stehen und meinte, hör mal wie die Vögel singen. War eine ganz laue Anmache von mir, um die Wogen wieder zu glätten. Er konnte ja nicht wirklich was dafür, dass es kein Café mehr gab.
Es wurde immer schwüler, wir waren müde und die Füße schon lange in ”Endzeitstimmung“. Wir pilgerten neben der Nationalstraße. Die aufmunternd hupenden Lastwagenfahrer lachte ich nicht mehr freundlich an, sondern grummelte erschöpft. Aber das sahen sie zum Glück nicht. Der Weg wollte nicht enden. Auch bei diesen letzten angeblichen 5,4 km müssen die sich verrechnet haben.
In der Ferne tauchte dann am Ortseingang von Belorado die private Herberge, mit Doppelzimmer hoffentlich, a Santiago auf. Bis dahin und keinen Schritt weiter, sagte mein Kopf und wehe die sind belegt. 16,2 km ohne längere Pause das geht ja mal gar nicht. Vielleicht ist es auch anders, wenn man vorher darauf gefasst ist, dass keine Möglichkeiten der Unterwegserfrischungen kommen.
Es war noch ein Doppelzimmer frei, gerne haben wir es genommen. Auf der Theke prangte frisch gebackener Kastenkuchen, der unverzüglich mit Kaffee geordert und Genuss verspeist wurde. Als wenn ein Schalter in meinem Kopf umgelegt wurde, ging es mir viel besser. Wir wurden durch die Albergue zum Zimmer geleitet. Aha, Waschmaschinen gab es auch. Nach dem Duschen raffte ich alle nicht am Körper befindlichen Kleidungsstücke zusammen und trottete zu den Waschmaschinen und Trocknern. Stopfte alles in eine Maschine, Farbe war mir wurst, schmiss die Geldstücke in den Zähler und drehte am Knopf. Der Zähler an der Wand tickte herunter, aber die Waschmaschine selber erzählte mir keine Trommelgeschichten. Hatte ich den falschen Zähler? Nö. Da musste ich doch hilfesuchend nach vorne laufen. In Begleitung ging es wieder zurück. Die junge Frau drehte den Knopf einen Millimeter in die andere Richtung und die Maschine lief. Ja ja, was hatte ich doch für einen Supertag.
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