Wir schlossen auf und fielen fast vor Staunen in Ohnmacht. Wir Luxuspilger, wir Glückspilze. Uns empfing ein in warmen Farben gehaltenes großes Zimmer, das Bett lud zum Sofortschlaf ein. Wir widerstanden. Das Zimmer musste ja noch mit dem Rucksackinhalt umdekoriert werden. Ich betrat das Baño, oh my good, eine Badewanne, wer jetzt noch am Luxus zweifelte. Ich ging plätschern, nach der Reinigung von Körper und Wanderkleidung hatte meine Erschöpfung die Müdigkeit an die Hand genommen und war verschwunden. Wir gingen sauber und bestens gelaunt hinunter. Auf unsere Frage, wo wir unsere Sachen trocknen könnten, meinte der Hotelier: im Garten auf dem Trockenständer. Den Ständer hatte ich oben im Flur gesehen. Aber welchen Garten meinte er? Gingen diesmal rechtsseitig um das kleine Hotel. Da gab es eine kleine von einer Hecke umrahmte Grasfläche, ohne Sonnenschirm zwar, aber mit Tisch und 2 Stühlen. Wie wohl die Notunterkunft mit Matrazenmeer aussah? Tz,tz.
Hatte ich mir auf dem Camino kühleres Wetter gewünscht? Dieser Wunsch wird verspätet erfüllt. Es ist Juli, theoretisch Sommer, kalendermäßig, aktuelle Temperatur 12ºC. Es schifft, mit kurzen Unterbrechungen, seit drei Tagen. Ein sogenannter Deutscher “Supersommer“. Schlafanzugsonntag. Da Philips sich, seit einer Woche, mit dem von Allitsches (Alice) HD-Rekorder angerichteten Schaden beschäftigt, können wir Fernsehtage schlicht vergessen. Allitsche, meine neue “Freundin“, das Blondchen, das immer so schön mit ihrem braunen Kleid um die schlanken Beine wedelt. Wie konnte ich als Frau nur darauf hereinfallen. War es Neid auf diese Figur, dachte ich, da färbt vielleicht etwas ab. Einen vernünftigen Grund kann ich einfach nicht mehr erkennen. Zurück auf den richtigen Weg.
Wir setzten uns in den Garten und bewachten, abwechselnd mit Cafe, Cerveza oder Clara (Alsterwasser) bewaffnet, unsere auf dem Trockenständer hängende Wäsche. Beschrieben den ersten Schwung Postkarten. 28º C warm war es bestimmt. Wir rückten die Stühle so dicht an die Hecke, dass wir ein Stückchen im Schatten relaxen konnten. In dem Hotel waren auch ein Franzose und eine Deutsche untergekommen. Die Kommunikation mit dem Franzosen beschränkte sich aufs freundliche Zunicken. Die Deutsche kam in “unseren“ Garten. Sie war klein, fast dürr und trug ihr graues Haar pusteblumenmäßig. Ich tippte auf Lehrerin, weil sie ein so strenges, keinen Widerspruch duldendes Gesicht hatte. Sie beklagte sich darüber, dass die Herberge belegt war und sie nun hier in diesem Hotel übernachten musste. Warf noch einen begehrlichen Blick auf unsere Heckenplätze und unter der Bemerkung, hier wäre ja auch kein Schatten, zitterte sie wieder ab.
Getränke machten nicht satt, der große Hunger rüttelte an unseren Magenwänden. Ich ging ins Hotel und fragte, wann wir comidos (essen) könnten. Der Besitzer sah zur Uhr und meinte, in einer ½ Stunde, um 17.15 Uhr, könnten wir essen. Was für ein Luxus, nicht bis zum Abend warten zu müssen. Das wurde hier ja immer schöner. Nachdem wir unsere trockene Wäsche in unser Zimmer gebracht und so noch rumgetrödelt hatten, war es Zeit zum Speisen.
Neben der Bar gab es den Speiseraum. Der Hotelier, außer kochen machte er alles, führte uns zu einem, in der hintersten Ecke stehenden, eingedeckten Tisch. Fast wie in einem Separee. Wein und Brot standen schon bereit. Es wurden uns als Vorspeise gebratenes Gemüse, als Hauptgang Schweinefilet mit Salat und leckerer Soße und zum Dessert Eis gebracht. Dazu genossen wir den vorzüglichen Rotwein. Das Schlaraffenland hatte seine Pforte nun aber ganz weit aufgerissen.
Wir beschlossen noch eine Runde durchs Dorf zu drehen. Die Pusteblume kommt uns mit einer Tüte in der Hand entgegen. Meinte, falls wir noch einkaufen wollten, könnte sie uns sagen, wo sich das Geschäft befindet. Nö, wollten wir nicht. Unser Energiedepot (Bananen) war noch gefüllt und Wasser holten wir uns im Hotel. Wir liefen zur nahegelegenen Kirche hinauf. Das ganze Gelände um sie sah ungepflegt aus. Neben der Kirchenuhr tummelten sich Wespen oder Bienen um eine Lücke in der Kirchenmauer. Außer den Insekten ging wohl keiner in diese Kirche. Von dem höhergelegenen Platz vor der Kirche konnten wir weit ins Land sehen. Das Land, das wir schon “abgelaufen“ waren. Zufrieden mit uns und der Welt gingen wir zum Hotel.
Als wir durch das mittelalterlich anmutende Dorf zurückgingen, stellten wir fest, dass der Ort wie ausgestorben war. Kein Mensch begegnete uns. Man hörte auch kein Kinderlachen, keine meckernden Mütter, keinen Rasenmäher, keinen Handwerker bohren und hämmern, sah keine Katze, es bellte kein Hund. Nix. Da musste der Hotelbetreiber sich ja über unsere Anwesenheit freuen.
Als wir im Hotel ankamen, handelten die beiden anderen Gäste, die Deutsche in perfektem Französisch und spanisch, gerade die Uhrzeit für Frühstück und Abfahrt aus. Wir fanden eine Frühstückszeit um 7.15 Uhr in Ordnung, den anderen Pilgern ist das zu spät. Damit der Hotelier nicht überstrapaziert wurde, schlossen wir uns den Beiden an. Nun sollte es um 6.15 Frühstück geben und die Abfahrt um 6.45 Uhr erfolgen. Ich war fasziniert von den Sprachkenntnissen der Frau und fragte sie, ob sie Lehrerin war. Nein, sie wäre Übersetzerin gewesen, ihr Hörvermögen ließ nach und sie musste den Beruf aufgeben. Gut, dass ich in ihrer Anwesenheit kein spanisch gesprochen hatte. Mit ¡Buenas noches! gingen wir hinauf in unser “Gemach“.
Wolfgang schrieb noch in sein Notizbuch und ich stellte noch die Weckzeit im Handy ein. Ich schrieb nicht ein Wort, dafür hatte ich aber auch zwei Moleskine Notizbücher mit, man weiß ja nie. An der frischen Bettwäsche schnüffelnd schwebte die Prinzessin, auf der Erbse ohne Erbse, beim zweiten sanften Klang der Kirchenglocken vom Schlemmerland ins Schlummerland. Auch der Schnarchbär konnte sie nicht aufhalten.
Hornillos del Camino - Castrojeriz
Das Handy brummte zur richtigen Zeit. Es erfolgte das “bärige“ Packritual, den blasenfreien Füßen wurde mit Hirschtalg gehuldigt. Die Magnesiumdrops wurden eingeworfen, nun kam noch das Abwürgen des Ossobuco mit dem Gummistrumpf dazu. Wir waren bereit zum Frühstück. Na wo waren denn unsere Frühstartpilger? Im Restaurant zum Frühstück waren sie jedenfalls nicht. Wir bekamen zum Abschied auch noch ein reichhaltiges Frühstück serviert. Verspätet trotteten die Beiden an, prima so konnten wir in Ruhe ohne Eile ausgiebig essen.
Im Dunkeln wurden unsere Habseligkeiten und wir vier Pilger in das Auto unseres Gastgebers geladen und ab ging es zurück nach Hornillos del Camino. Wir wurden an der Albergue ausgeladen und mit einem ¡Buen camino! verabschiedet. Nicht nur der Bushaltestellenpapierkorb quoll über, nein, der ganze Platz vor der Herberge sah versifft aus. Die Prinzessin vermisste die Erbse nicht.
Endlich konnten wir unsere Kuschelfleecejacken wieder tragen, unsere Rucksäcke schultern und ab ging die Post von Hornillos del Camino nach Castrojeriz 20,8 km. Die Spitzen der ersten Sonnenstrahlen lugten hinter den Hügeln hervor. Da wir in die westliche Richtung gingen, sahen unsere Schatten wie Stelzenfiguren aus. Wir fielen in unseren üblichen Paarlauf und genossen die Kühle des frühen Morgens. Es waren schon viele Pilger unterwegs, leider auch welche mit orangenen Tüchern. Munter brabbelnd liefen sie hinter uns. Vor der Abzweigung zur Quelle San Bol dachte ich, abbiegen, los biegen, Mensch, biegt doch endlich ab. Was für eine Kraft doch Gedanken haben konnten, die Truppe bog zur Quelle ab.
27.07.2011 Allitsche meine Neuspanierin, zu dumm, um E-Mails zu lesen, zu reagieren, einen Retourantrag an uns zu senden. Ich fürchte, ich muss mich noch intensiver mit ihr auseinandersetzen. Ich werde jetzt ein Unternehmen gründen, mache ganz viel Werbung, setze unerfahrene Mitarbeiter an einen E-Mail Server. Im Programm gibt es vorgefertigte Antworten und wenn keine passt, reagiert man eben nicht. Ob sich der Kunde ärgert, interessiert mich nicht. Dann rufen sie eben weiter an oder mailen. Ich kaufe dann weitere Unternehmen dazu, sodass ich noch mehr Menschen mit Unfähigkeit beglücken kann. Später wenn ich noch ärgerlicher bin, ruf ich bei Alice an. Zurück zum Camino.
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