Es gab viele neue Pilger auf dem Weg und auch diese Gruppe muss in Burgos gestartet sein. Alle Gruppenmitglieder trugen orangene Tücher am Hals, an der Hose, um den Arm gebunden oder am Rucksack befestigt. Sie entwickelten sich von orange zu ”roten Tüchern“. Eine aus der Meute blies einen gelben Luftballon auf und befestigte ihn an einem Pfeiler des Pavillons. Mariannes Platzanweiserin meinte, genau so müsste es sein, jeder sollte wissen, dass sie hier gewesen waren. Da hing er nun dieser lächerliche Ballon.
Ich tippte insgeheim auf Sportverein bzw. – wir treffen uns einmal im Monat zum Wandern – Vereinigung. Der Letzte ihrer Sorte kam angeschnauft, er lief in Turnschuhen und trug das schwerste Gepäck in Form von Körperspeck mit sich. Da die anderen Mitglieder ihn mit so einem süffisanten Grinsen begrüßten tat er mir leid. Also Sportverein stimmte schon mal nicht und für eine Wandervereinigung hätte er besser ausgerüstet sein müssen, der arme Kerl. Was ich aber auch immer zu wissen glaube.
Der exzellente Sitz der Frisuren von den Frauen bekräftigte mich bei meiner Meinung, dass sie in Burgos gestartet waren und ihr Schminktäschchen hatten sie auch nicht vergessen. Ein pummeliges Blondchen mit halblangem Pagenschnitt zog sich erst ihre knallroten Lippen nach und dann die Stiefel aus. Zum Wechseln der Strümpfe legte sie die getragenen Strümpfe auf den Tisch und zog sich ein neues Paar Socken an. Tja, pilgern hat schon was mit Einfachheit zu tun.
Wir hatten uns gestärkt und machten uns wieder auf den Weg. Wenn ich meinen Rucksack geschultert hatte, fuhr oft meine linke Hand Richtung des über dem Gurt befindlichen ”Rettungsrings“, mit den Spitzen von Zeigefinger und Daumen prüfte ich die Breite. Hm, sehr zufriedenstellend. Seh ich mir die Bilder jetzt an, frage ich mich, was ich denn da nun wieder gefühlt hatte.
Nachdem wir durch Rabé de las Cazadas gelaufen waren, begann die Meseta. Der Camino führt wieder durch eine baum- und strauchlose Landschaft an Wiesen und Felder entlang. Die einzige Möglichkeit im Schatten einen Schluck erfrischendes Wasser zu trinken, war, nach rechts zum Brunnen Parotorre abzubiegen, an dem nicht nur Bäume, sondern auch Holzbänke und -tische stehen und es einen Grill gibt. Wir hatten aber leider kein Grillfleisch mit. Holland kam, wir gingen lieber weiter.
Es war warm und wir stiefelten bergauf. Neben mir tauchte unser Erstpilger alleine auf, erschrocken fragte ich ihn: „Oh, wo ist Madame?“ Er schmunzelte mich an und wies mit der Hand hinter sich. Da kam Madame, ich klopfte mit meiner Hand auf mein Herz und atmete dazu erleichtert aus. Sie lachte mich an und ich freute mich, alles war gut.
Die Wetterverhältnisse waren grandios – äh – für einen Strandurlaub. Zwischendurch schnell ins Wasser springen, wenn einem zu warm ist und zurück unter den Sonnenschirm lesen oder einfach nichts tun. Tz – tz – tz, Wasser gab es nur ohne Meersalz aus der Flasche, der Sonnenschutz war ein Hut, wobei der Rest des Körpers in der sengenden Sonne brutzelte. Oben auf der Hochebene angekommen konnten wir schon mal einen Blick auf den im Tal liegenden Ort Hornillos del Camino werfen.
Die letzten Kilometer bergab zogen sich. Meine Füße meinten auch, dass es für diesen Tag genug ist. Ich müsste vielleicht meine Füße überprüfen, ob eine Tageslaufleistung eingestanzt ist. Da es für Füße auch keine Bedienungsanleitung in Papierform gibt und ich leider keinen Internetzugang mit hatte, konnte ich derartiges leider nicht nachsehen. Wir schotterten bis zum Ortseingang. Dort gab es einen Dorfladen und gegenüber ein Hostal. Leider hatte dieses Hostal einen Zettel ”komplete“ an den Butzenscheiben hängen. Die dunklen Scheiben ließen einen noch nicht mal einen Blick hinein werfen.
Mein Mann holte uns Getränkedosen. Ich hatte nicht nur keine Lust auf Wasser, sondern auf nix mehr – fertig – einfach völlig fertig. Setzte mich auf die kleine im Schatten stehende Bank vor den Laden. Um meinen gesamten Körper vor der Sonne zu schützen, hätte ich mich tief in die Sitzfläche gedrückt hinlegen müssen. Ich maulte, mach ich immer wenn ich kaputt bin. Wolfgang sollte alleine im Ort nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen. Mein Körper, besonders meine Füße streikten und ich unterstützte sie. Einigkeit soll ja starkmachen – hm – hier doch eher schwach.
Meine Chevaliers huschten an mir vorbei, öffneten die Tür des Hostals und verschwanden darin. So eine Oberfrechheit, sie hatten wohl reserviert. Meine Laune sank noch ein Stück tiefer. Da saß ich nun im kaum noch vorhandenen Schatten und suchte krampfhaft nach jemanden, den ich ordentlich ärgern konnte. Leider kam weder Wolfgang zurück, noch sonst ein Pilger vorbei. Er hatte seinen Rucksack bei mir gelassen, somit nahm ich nicht an, dass er sich von mir, seinem knurrigen Eheweib abgesetzt hatte.
Endlich erschien er zurück, er hätte weiter im Ort eine Herberge gefunden und dort mit einer Englisch sprechenden Mitarbeiterin gesprochen. Es gäbe 6 km weiter ein Hotel und wir würden vor der Albergue abgeholt werden. Mensch, hätte uns auch vor dem Laden abholen können. Der Rucksack wurde wieder geschultert und ab zur Albergue. Wir trafen dort auch Josef an, er hatte in der Herberge schon seine Sachen untergebracht. Begeistert war er von der Herberge nicht. Und auch diese Albergue war schon belegt. Die orangenen Tücher flatterten an uns vorbei, die Platzanweiserin rief noch ein: „Vielen Dank für den Tipp”, er sei ihr Retter gewesen zu Josef. In meinem Kopf spuckte es: Josef wie kannst du nur. Wie kamen die überhaupt hierher, überholt hatten sie uns nicht. Sie wurden zu einem Matratzenmeer in einer Sporthalle geführt. Wenn sie einen Spiegel dort fanden, konnten sie ihn ja fragen: Spieglein, Spieglein an der Wand wer sind die am dollsten geschminkten Pilgerinnen auf dem Camino in diesem Land?
Wer weiß, vielleicht hätte er geantwortet: Ihr seht ja toll aus, so schön zurechtgemacht. Bei mir käme bestimmt: Nimm mal schön dein Wellblechpalastgesicht weg. Und die Haare sind auch nicht geföhnt. Kann ich noch einmal bitte die mit den orangenen Tüchern sehen? Hallo, ich bin auf dem Pilgerweg und Marathonläufer sehen im Ziel auch nicht gut aus. Wenn der Spiegel dann bemerken würde, ich wäre ja auch noch nicht am Ziel, müsste ich ihm leider recht geben. Zum Glück halten alle Spiegel den Mund.
Wir saßen auf dem ungastlichen Platz vor der Albergue, ein Tisch, zwei Stühle, ein kleiner Sonnenschirm und an der Wand hing ein roter Bushaltestellen-Mülleimer. Ich fragte mich, wo sich die ganzen Pilger (32) aufhalten sollten. Als ein Auto angefahren kam, sprang ich auf, nur um mich wieder hinzusetzen. Es fuhr vorbei, denn eben nicht. Beim nächsten Auto blieb ich sitzen, es war aber für uns angefahren gekommen.
Schnell die Rucksäcke, Stick´s und wir hinein, ab ging die Fahrt. Aus dem Seitenfenster hinausschauend sah man das Schild des nächsten Ortes. Ich glaubte es nicht, da stand doch tatsächlich – Isar-. Somit landeten wir in Bayern, vor dem Hotel Rural. Ich zückte mein Geldtäschchen, um das Taxi zu bezahlen. Der Fahrer sah mich verwirrt an. Wolfgang meinte: „Das ist doch der Besitzer vom Hotel, der möchte kein Geld für die Fahrt.” Auch gut.
Die Bar ist auch die Rezeption, klein aber gemütlich, hier hielten sich auch einige Spanier an Biergläsern fest. Oder sie kamen um sich die barbusige, schielende Figur anzusehen, die auf dem Tresen stand. Wir wurden gefragt, ob wir etwas trinken möchten. Ach, endlich einen Café con leche, Wuschi nimmt lieber ein Bier. Smoky ging natürlich mit dem Café vor die Tür und suchte dort an der linken Hausseite Schatten. Das Angebot für Schattenplätze war aber den Tag so was von gering. Es fehlten hier Sonnenschirm und Stühle. Nach dem Getränkegenuss führte uns der Besitzer nach oben zu unserem Zimmer. Obwohl das hätten wir auch selber gefunden, es gab nur fünf Zimmer. Die Zimmer hatten keine Nummern, sondern Namen, die Namen habe ich aber vergessen. Ich kann mir ja nur Zahlen merken.
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