Josef erzählte, er hätte heute eine junge Frau wiedergetroffen. Sie war Deutsche, lebte schon seit Jahren in England und war mit Ihrem Sohn auf dem Camino. Sie lief nicht, sondern sie rannte eher. Ich beschreibe die Frau und ihren ca. 10 Jahre alten Sohn. Genau, die meinte er, sagte Josef. Genau, es war die junge Frau, die so ”nett“ unseren Frühstückstisch in Puente la Reina umdekoriert hatte. Auch an uns war die Frau, ihren Sohn hinter sich her zerrend, in einem Affenzahn vorbeigehastet. Josef berichtete, die junge Frau erzählte ihm, dass sie nur wenige Tage Zeit hätte, aber nun mit Schmerzen zum Arzt gegangen sei. Der stellte fest, dass eine Ader in ihrer Kniekehle gerissen ist und hat sie zu drei Tagen Pausen verdonnert. Tja, der Camino ist eben doch keine Rennpiste. Pah, nun war sie auch nicht schneller als wir.
Die Mädels meinten, dass sie im Juni noch nach Hamburg reisen wollten. Natürlich gaben Wolfgang und ich noch Tipps mit auf den Weg. Nachdem uns viel einfiel, notierte ich auf einem Minizettel die wichtigsten Punkte, Fähre 62, aussteigen Dockland, rechts um die Ecke lecker Fisch essen – bloß nicht linksseitig, dort ist das teure Fischereihafen-Restaurant – wieder auf die Fähre 62, Oevelgönne - Finkenwerder.
Gut, dass es zum Essen Wein und Wasser gab, so konnten wir unsere Gaumen mit dem Wein betäuben. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir lange nicht so schlecht gegessen hatten. Wir gaben Carola noch eine Jakobsmuschel, die wir besorgt hatten. Sie sollte im Herbst nicht ohne geschenkter Muschel ihren Weg fortsetzen. Es wurde bereits dunkel und wir beschlossen aufzubrechen. Nach herzlichen Umarmungen trennten sich unsere Wege.
Wir gingen wieder über den Plaza Mayor, dort war die Zahl der Demonstranten erheblich angewachsen, sie riefen ihren Unmut, durch Sprechchöre unterstützt, über den Platz. Vier Polizisten, ich wiederhole, vier Polizisten standen gelangweilt daneben. Nicht wie bei uns, wo 200 Demonstranten gegenüber von 200 Polizisten stehen und jeder nur auf den Knüppel oder den geworfenen Stein wartet. Die Polizisten trugen auch nur ganz normale Uniformhemden und –hosen. Könnte es sein, dass es hier noch so etwas wie gegenseitigen Respekt gibt?
Am Hotel angelangt, taperten wir die Treppen in den 3. Stock hinauf. Wir gingen auch am Restaurant im 1. Stock vorbei, hier fand eine Feier statt. Der Lärmpegel der beteiligten Kinder schlug uns entgegen. Dachte noch, gut, dass unser Zimmer weiter oben ist. Sah mir gerade die Internetseiten des Hotels an: An Ihren angenehmen und gemütlichen Aufenthalt denkend, renovieren wir ständig die Atmosphäre der verschiedenen Räume. Vielleicht sollten sie nicht die Atmosphäre, sondern die Zimmer renovieren. Das Hotel wurde 1937 eröffnet. Alles klar! Weiter im Internet über den Saal: (Originaltext)Am Anfang, der Saal bot den Touristen und Gästen sehr schöne und lange Abendveranstaltungen als das Fernsehen noch nicht existierte. Heutzutage gibt es nicht mehr, aber der Saal bleibt ein ruhiges Zimmer für nette Unterhaltungen sowie eine leutselige Ecke, um ruhig zu bleiben.
Es war für uns schon ungewöhliche 22.30 Uhr, als wir endlich im Bett lagen. Die Entfernung vom 1. zum 3. Stock ist nicht wirklich weit. Der Schall wabberte durch unsere persönliche ”Atmosphäre“, sooft ich versuchte meine Augenlider in Schlafposition zu bringen, riss der Lärm sie wieder in die Höhe, die blöden Ohren schalteten auch nicht ab. Mensch, es war Montag, gibt es hier keine Schule? Müssen die Kinder nicht langsam mal ins Bett? Doch - oh yeah – oder nein, sie gingen nicht ins Bett – sie trampelten krakeelend in den 3. Stock – hallo, da waren wir doch schon – rannten über den Flur, rissen Türen auf, knallten sie wieder zu, trampelten kreischend zurück, gackerten und das Spiel fing von vorne an. Vor Ärger flatterten nun meine Augenlider, ja hätte ich das von dem Saal vorher gelesen, vielleicht hätte ich ja auch die Ecke um ruhig zu bleiben gefunden. Später klappten irgendwann meine erschöpften Augenlider zu.
Burgos - Hornillos del Camino
Mit ”eingepacktem“ Rucksack stiefelten wir vor 7.00 Uhr, man könnte sagen noch leicht müde, die Treppen hinunter. Der Fahrstuhl war sogar einem alten Ehepaar wie uns zu eng. An der Rezeption legte ich die abgesprochenen 50,00 € auf den Tresen und wir wendeten uns Richtung Tür. Da meinte der Schnösel doch, er bekäme 54,00 €. Nun war der Bock aber so was von Fett, ohne Frühstück sich mit mir anlegen, ganz - ganz schlechtes Timing. Hatte das Gefühl, als wenn mein Kopf vor Wut abfliegt.
Kramte meinen Zettel, den wir bei der Anmeldung erhielten, heraus. Da stand definitiv 50,00 € drauf. Der Portier zeigte mit seinem manikürten Fingerchen auf das ganz klein gedruckte + I.V.A. daneben und grinste. Ich zückte die restlichen 4,00 € und wir zogen stinkig ab. Wenn man sonst in einem Hotel oder Hostal eincheckte, gab man seine Pilgerpässe hin, legte einen Ausweis dazu und zahlte sofort. Am Vortag wollten sie noch kein Geld haben, nannten nur den Nettopreis und legten dann am Abreisetag die Mehrwertsteuer oben drauf. Es ging nicht um die 4,00 € Épw, sondern um die Art und Weise.
So, bevor ich durch diese Stadt lief, brauchte ich unbedingt etwas zwischen meine Zähne und noch dringender Café con leche. Zum Glück hatte eine mickrige Bar schon auf, meine Erstanforderungen an den Tag konnten gestillt werden. Um einen der gelben Hinweise, die Muschel, die Sonne oder einen Pfeil zu finden, musste man immer nur Richtung Kirche bzw. Kathedrale laufen. Wir fanden den in den großen Städten spärlich gekennzeichneten Camino. Nun konnten wir mit unserer Etappe von Burgos nach Hornillos del Camino 21,4 km starten.
Ich erschrak, was stöckelte denn da vor uns her? Och nö, die Hightech Holländer. Zischelte zu Wolfgang: „Langsamer gehen.“ Obwohl, so langsam konnte man gar nicht gehen. Wir besuchten noch eine Bar, um uns für den Weg ein Bocadillo zu besorgen. Die ”Sicht“ war wieder frei und wir konnten uns auf den Weg machen. Vor uns liefen zwei junge Spanier, die wir von unserer ”Lieblingsalbergue“ kannten. Der eine junge Mann bewegte sich ”unrund“ schwer auf seinen Pilgerstab gestützt vorwärts. Wir zogen mit einem ¡Buen camino! an ihnen vorbei und überquerten eine Straße, immer schön nach links über den Zebrastreifen – nach rechts über den beampelten Zebrastreifen und das Gleiche noch einmal. Geradeaus wäre ja auch zu einfach gewesen.
Endlich hatten wir die Stadt verlassen. Wir liefen über einen mit Bäumen und Büschen gesäumten Weg. Vor mir blinkerte etwas Weißes auf, es war das T-Shirt des Holländers, der am Weg stand. Wir grüßten ihn im Vorbeigehen, da sah ich Frau Holland neben einem Busch in gehockter Stellung sitzen. Holland in Not.
Im flotten Paarlauf ging es über Autobahnen und an den Autobahnen entlang. Danach freuten wir uns über Wege, die teilweise im Schatten lagen und einige Zeit an einem Fluss, später an Feldern entlang führten, für Flachländler angenehm zu laufen. Wir erreichten den Ort Tardajos, Pause war fällig. Die für Pilger angesagte Bar wurde angesteuert. Die dazugehörige mit riesigem Pavillon überdachte gekieselte Fläche war durch die Straße von der Bar getrennt. Dankbar nahmen wir im Schatten Platz.
An einem anderen Tisch saßen unsere immer freundlichen französischen Pilger vom Burgos-Bus. Wir begrüßten uns gegenseitig mit einem Zulächeln. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Und dann kamen sie, Deutsche oder zu viele Deutsche in einer Gruppe von ca. 10 Personen. Eine kreischte: „Marianne setz dich schon mal hier hin.“
Marianne schnaufte, war auch schon älter, tat, was ihr befohlen wurde.
Rücksichtslos, konnte noch rechtzeitig einen Stuhl für meinen Mann festhalten, wurden Stühle von den umstehenden Sitzgruppen über die Kiesel geschleift. Endlich unter krrrrrr - krrrrrr – krrrrrr hatten sie genug zusammen und sie setzten sich hin. Unsere französische Busmitpilgerin aus Burgos sah irritiert auf diese Gruppe und lief mit den mit Spiegeleiern und Schinken gefüllten Tellern an ihnen vorbei zu ihrem Tisch. Unser Augenkontakt signalisierte, dass wir uns schon wieder wortlos verstanden.
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