Mike zuckte mit den Schultern.
»Warum nicht? Meine Gefährtin humpelt schon eine Weile, und ich habe auch nichts gegen eine kurze Rast und eine kleine Stärkung.«
Mit einer im Halbkreis zeigenden Geste lud er sie ein, sich zu setzen. Er holte den restlichen Proviant vom Schlitten und teilte ihn in fünf Portionen. Im nächsten Gasthof würden sie sich wieder versorgen. So gab es für jeden ausreichend zu essen. Satt zu werden, war dennoch etwas anderes.
Im Schneidersitz ließen sie sich auf dem steinigen Boden nieder.
Unauffällig betrachtete Julia ihre Gäste. Sie sahen sich sehr ähnlich. Die beiden Älteren, wohl Mitte vierzig, könnten sogar Brüder sein. Gleich groß, leicht gebeugt. Alle drei hatten dunkelblondes Haar mit rötlichem Schimmer. Der laue Herbst erlaubte ihnen das Aufrollen ihrer Hemdärmel, so dass ihr die kräftige, ebenfalls rötliche Behaarung der Unterarme ins Auge stach. Der Jüngste, so um die zwanzig, war einem der anderen wie aus dem Gesicht geschnitten. Außerdem hatte sie beobachtet, dass sie den gleichen Gang hatten und die gleiche Gestik. Sie schüttelte sich. Gänsehaut kroch ihr Rückgrat hinauf. Sie war überzeugt: Bloß Nachbarn waren die drei nie und nimmer! Was aber dann? Ihr Argwohn wurde auch dadurch genährt, dass sie ihre Messer griffbereit trugen, ohne Scheide einfach in die Gürtel gesteckt. Allesamt waren es kleine Kunstwerke. Das eine Heft war aus Hirschhorn und wies geschnitzte Jagdszenen auf, das andere hatte einen schillernden Perlmuttgriff, und das dritte war gar mit Silber belegt. Die Klingen glänzten wie poliert, in alle waren Ornamente eingestanzt.
Die fünf saßen im Kreis, Mike hatte mit den Bauern und Handwerkern ein lebhaftes Gespräch begonnen.
»Ihr seid auf dem Weg nach Königstein, nicht wahr? Unbedingt müsst ihr dort einen Boten beauftragen, euren Familien die Nachricht von eurem gesunden Eintreffen zu übermitteln. Ihr habt doch Familie, oder? Die werden sich Sorgen machen. So lange Reisen wie eure, und dann noch zu Fuß, sind heutzutage nicht ungefährlich.«
Eine Frage nach der anderen stellten die drei, besonders interessierten sie sich für den Tornister.
»Solch ein Gepäckstück haben wir noch nie gesehen. Wozu sind die Riemen und Schnallen?«
»Ein Tornister, ein Rucksack. Normalerweise trage ich ihn auf dem Rücken, dafür die Riemen. Ich habe ihn von einem Schuster fertigen lassen, hab’ ihm gesagt, wie er es machen muss. Er ist aus einem Stück Leder geschnitten, die Kanten doppelt genäht. Mit Seide, einem teuren, sehr festen Faden. Und über die Kanten noch ein Lederstreifen, der macht sie wasserdicht.«
»Und was hast du eingepackt? So ein teurer Beutel muss doch kleine Reichtümer enthalten!«
»Tja, das wäre schön, aber leider sind´s nur Kleidung, Decken und Dinge, die man unterwegs so braucht.«
Die drei Rothaarigen tauschten vielsagende Blicke aus. Sie glaubten ihm kein Wort.
Unruhig rutschte Julia hin und her. Mal mit der linken, dann wieder mit der rechten Hand stützte sie sich auf dem Boden auf. Die drei fragten sie richtiggehend aus, und Mike schien nichts zu argwöhnen. Auch auf ihre schüchternen Zeichen reagierte er nicht. Er hatte den Rest Apfelwein getrunken, da ihn sonst keiner wollte, und wurde immer redseliger. Bereitwillig gab er Auskunft.
»Wir kommen aus dem Norden, aus einem kleinen Nest.« Er nannte einen Ortsnamen, von dem Julia nur »Dorf« verstand. »Dort vermisst uns gewiss niemand. In Königstein wollen wir das Eisen dort unter der Decke verkaufen.« Er zeigte auf seinen Schlitten. »In den letzten Dörfern gab es keinen Schmied und auch sonst keinen ordentlichen Käufer. Und die Ladung bringt in der Hauptstadt bestimmt einen besseren Preis ein.« Wie in Erwartung eines vorzüglichen Geschäfts rieb er sich nun die Hände. »Gute Waffen, gute Rüstungen.«
Das Gesicht eines der Älteren erhellte sich. Er hatte einen Gedanken, wie er seinem Opfer weitere Informationen über seinen Besitz entlocken konnte Um ihn zum Weiterreden zu animieren, erzählte er im Gegenzug selbst eine Geschichte über einen einträglichen Fund. Obwohl ihm die beiden anderen erschrocken finstere Blicke zuwarfen und ihm durch Gestern zu verstehen gaben, er solle den Mund halten, redete er weiter.
Mike tat, als habe er die Warnungen nicht bemerkt, und konzentrierte sich mit sichtbarer Anstrengung auf den Bericht.
»Auf halbem Weg hierher hat uns ein Räuber überfallen. Und das, wo wir selbst nichts haben! Ha, aber wir haben den Spieß umgedreht! Ich stellte ihm ein Bein, als er mit dem Schwert auf uns einschlagen wollte. So haben wir unser Leben behalten. Wir haben ihn überwältigt und als Entschädigung für unseren Schrecken seine Sachen geplündert. Dabei ist uns ein Spiegel in die Hände gefallen, so groß.« Sein rechter Zeigefinger fuhr im Kreis um den Handteller seiner Linken. »Mit sechzehn Ecken. Das Glas ist uralt und fleckig. Wir haben ihn aus seinem Tuch gewickelt, und er hat zu glühen angefangen. Genauer gesagt rot zu leuchten, denn er ist kalt geblieben. Vor Schreck haben wir ihn fallen gelassen. Obwohl er auf einen Stein geprallt ist, blieb er unversehrt.«
Mike wurde hellhörig.
»Ein Glas, das leuchtet und das nicht zerbricht, wenn ihr es fallen lasst? Das muss etwas Besonderes sein. Wisst ihr, wo es herkommt? Habt ihr den Räuber gefragt?«
»Natürlich, aber der Kerl hat uns sicherlich angelogen. Einem toten Wanderer habe er es abgenommen, den er am Wegrand gefunden hätte. Sicherlich hat er selbst den armen Wicht erschlagen! Diesen Schatz wollen wir nun verkaufen, wenn wir dann im Norden sind.« Er machte eine übertrieben lange Pause und strahlte Mike an. »Da kann ich mir gut vorstellen, dass ihr ihn vielleicht haben wollt. Ein Kleinod für eure hübsche Frau. Zwar seid ihr nicht so fein gekleidet wie die edlen Bürger aus der Stadt, aber auch eure Kleidung sieht nicht billig aus. Und wer solch wertvolle Waffen trägt …«
Er rutschte näher an Mike heran, streckte ihm die Hand hin.
»Zeigt mal euren Beutel, vielleicht reicht euer Geld ja für den Handel.«
Verwundert beobachtete Julia, dass ihr Gefährte neugierig wurde. Ein Kleinod für seine hübsche Frau? Welchen Grund hätte er, ihr ein Geschenk zu machen? Schließlich wollte er sie ja loswerden, sobald sie Königstein erreicht hätten. Woher kam aber dann sein offensichtliches Interesse an dem Spiegel? Hatte er etwas mit seiner Vergangenheit zu tun, die er ihr zu verheimlichen trachtete?
Mike sah dem Alten ins Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Das muss ich mir noch überlegen. Zeigt mir erst den Spiegel!«
»Einen solchen Schatz tragen wir natürlich nicht mit uns rum. Wir haben ihn an einem sicheren Ort vergraben.«
»Und warum gebt ihr dann vor, mit mir darüber Handel treiben zu wollen? Wir werden doch nicht stundenlang mit euch wandern und dann feststellen, dass er uns vielleicht nicht gefällt. Euer Ansinnen kommt mir doch recht seltsam vor.«
Dem Jüngeren dämmerte, dass der Fremde wohl Lunte roch. Dem Gespräch wollte er eine Wendung geben, um doch noch herauszubekommen, wo er seine Barschaft versteckt hielt.
»Auf eurer Wanderschaft braucht ihr doch sicherlich allerlei nützliche Dinge. Schnüre und Seile etwa, wenn ihr etwas festzubinden habt oder ein Hindernis überwinden wollt. Oder falls ihr in eine dieser Höhlen stürzt, wenn ihr einmal den Weg verlassen solltet.«
Mike hakte nach.
»Wie kommt ihr auf solche Gedanken?«
»Ich bin Seilmacher«, gab der Rotschopf zur Antwort. »Vielleicht wollt ihr mir ja welche abkaufen. Und das könnt ihr ja erst, wenn ihr überhaupt wisst, dass ich welche feilbiete.«
Nun wollte Mike alles über seine Seile wissen.
Julia folgte dem Gespräch mit zunehmendem Interesse. Die Lethargie war von Mike abgefallen. Seine vorher weinselig klingende Stimme war schon bei der Unterhaltung über den seltsamen Spiegel wieder klar geworden. Und nun war er es plötzlich, der die Fragen stellte. Noch rätselhafter war ihr, dass dies außer ihr niemandem aufzufallen schien.
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