Nach der Suppe geht es mir etwas besser. Ich gehe zurück zum Ferienhaus und beginne unmotiviert aufzuräumen. Die anderen sind inzwischen auch munter. Daniel verdreht grinsend die Augen und Sam kann es auch nicht lassen blöde Andeutungen wegen Janine zu machen.
„Haltet einfach die Klappe“, murre ich. „Das ist alles ein riesen Shit.“
Es dauert gefühlt ewig bis alles halbwegs aufgeräumt ist. Ich bin wieder komplett durchgeschwitzt und mein Kopf tut immer noch weh. Kurz nach sechs Uhr stehe ich frisch geduscht vor dem Spiegel und sehe mich an.
„Ich fahre jetzt dahin. Ich muss sie sehen. Ich muss mit ihr reden. Sonst drehe ich durch. Ich darf kein Schisser sein. Ich bin ein Mann.“ Ich senke meinen Blick. „Ich bin ein Idiot.“
Allen Mut zusammennehmend gehe ich hinaus und an meinen Kumpels die gerade eine Bretteljause essen vorbei. Mir dreht es schon wieder fast den Magen um.
„Willst du nichts essen?“, meint Sam.
„Nein. Ich fahre zu Anna“, sage ich bestimmt.
„Zu Anna?“
Ich bleibe stehen und nicke. „Ja. Ich habe Scheiße gemacht. Keine Ahnung wie ich das gutmachen soll.“
Sam verdreht die Augen, natürlich kann er nicht verstehen wie ich mich fühle, ich verstehe es ja selbst nicht. Ich fahre langsam vom Hof, an der Weggabelung an der es zu Annas Haus geht bleibe ich kurz stehen. Da unten wohnt sie. Wieder das Gefühl in meinem Bauch, das es mir schwer macht klar zu denken. Ich fahre weiter. Ich werde das wiedergutmachen.
Anna
Ich schaue unmotiviert irgendeinen Film, Mama stickt an ihrer Tischdecke, als es an der Türe klingelt. Mama sieht verwundert auf.
„Kann das Ella sein?“, meint sie und legt das Stickzeug weg.
„Glaub ich nicht, sie ist heute zu ihrer Oma nach Graz ins Heim gefahren.“
„Vielleicht die Nachbarin, sie hat gemeint sie braucht ein paar Eier.“ Sie steht auf und geht zur Tür, ich wickle mich noch ein bisschen fester in meine Decke. Meine Schulter tut weh, darum weiß ich nicht recht wie ich mich hinlegen soll.
Mama schaut ins Wohnzimmer. „Anna…Da ist ein Julian Knox für dich“, sagt sie ruhig. „Kommst du bitte.“
Mir verschlägt es kurz den Atem. Julian? Hat sie das wirklich gerade gesagt? Ich setze mich auf und sehe sie erschrocken an.
„Wer?“
Sie lächelt und nickt dabei. „Du hast schon richtig gehört. Kommst du raus, oder soll ich ihn hereinbitten?“
Ich schüttle fast ein wenig hysterisch den Kopf. Wie kann er sich nur erlauben hierher zu kommen, wo ich ihm doch oft genug gesagt habe, wie mein Vater ist?! Zum Glück ist er nicht hier, sonst würde das ganze Theater von vorne losgehen. Ich habe genug von den Schlägen für die nächste Zeit.
„Nein Mama! Schick ihn weg! Er soll mich so nicht sehen und ich habe auch gar nichts mehr mit ihm zu bereden!“, sage ich bestimmt.
Sicher?“, meint Mama mild und legt ihren Kopf zur Seite.
„Ja sicher, er soll verschwinden!“
Sie seufzt und dreht sich um. Ich springe auf und gehe bis zur Küchentür und lausche.
„Ich gehe aber nicht weg bevor ich mit ihr gesprochen habe. Tut mir leid, wenn ich Sie belästige, aber das muss sein. Es ist wirklich wichtig“, sagt Julian sehr bestimmt zu meiner Mutter.
Mama seufzt. „Sie wird nicht rauskommen.“
„Dann warte ich. Irgendwann muss sie rauskommen. Ich habe ja Zeit.“ Er lässt nicht locker.
Ich atme genervt durch und gehe zur Tür. „Ich mach das schon Mama“, sage ich und atme dabei durch. Mama streicht über meine Schulter und geht zurück ins Haus.
„Was willst du denn?“, frage ich ihn vielleicht ein wenig zu laut.
Kurz erscheint mir sein Blick erfreut darüber mich zu sehen, doch dieser Ausdruck schwenkt schnell um. Er schaut mich entsetzt, vielleicht sogar erschrocken an.
„Anna…Was ist dir passiert?“, fragt er vorsichtig.
„Nichts ist passiert. Julian, bitte geh wieder. Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht hierherkommen sollst.“ Ich versuche seinem Blick auszuweichen.
„Ja…Schon, aber…Oh dear…“ Er atmet durch. „Bist du gestürzt? Mit dem Fahrrad? Ist dir das am Heimweg zugestoßen?“
Ich senke meinen Blick. „Nein.“
Er kommt einen Schritt näher, ich sehe wieder auf und schüttle den Kopf. „Geh bitte.“
Plötzlich öffnet sich sein Mund als müsse er nach Luft schnappen, er schüttelt ungläubig den Kopf. „Das war er, oder? Dein Vater…Fuck…“, flüstert er.
„Geh jetzt bitte“, sage ich erneut und schließe kurz meine Augen. Nicht weinen. Nicht weinen. Jetzt nicht.
„Bin ich daran schuld?“ Seine Stimme versagt fast bei diesen Worten.
Ich schüttle den Kopf. „Ich bin selbst schuld. Was willst du denn noch?“, frage ich und merke wie sich immer weiter ein Druck in meiner Brust aufbaut, den ich bald nicht mehr unter Kontrolle haben werde.
„Keine Ahnung…“, murmelt er. „Ich wollte mich entschuldigen…Ich habe dich nicht gut behandelt heute Nacht…Es tut mir leid…“
Er stammelt nach Worten suchend und kann mich dabei nicht mehr ansehen. Ich kann auch nicht mehr, weil mich sein Anblick fertig macht. Mein Bauch tut wieder weh und ich fühle mich nicht klar genug um rationell zu denken.
„Ist schon gut. Du musst jetzt gehen…“, sage ich daher und sehe ihn noch einmal an.
Er nickt nur, seine Augen sehen anders als sonst aus. Überhaupt sieht er heute anders als sonst aus. Unrasiert. Mitgenommen. Erschöpft. Keine Ahnung, ich kann jetzt einfach nicht mehr darüber nachdenken, es ist zu viel.
„Anna…I´m so sorry…“, flüstert er noch während ich mich schon umdrehe.
„Mach´s gut“, ist alles was ich noch herausbringe, dann gehe ins Haus und schließe die Tür hinter mir.
Alles was ich gerade noch hinuntergedrückt habe, kriecht langsam meinen Hals hoch. Tränen laufen über meine Wangen und ich kann vor Schmerz nur schluchzen. Mama kommt aus der Küche und schüttelt den Kopf.
„Geh Anna…Was ist denn los? Das ist doch so ein netter junger Mann.“ Sie nimmt mich in den Arm. „Und gut schaut er aus.“ Sie streicht über meine Wange und lächelt dabei.
Ich zucke mit den Schultern. „Ja…Schon…Es geht halt nicht…“ Meine Stimme ist ganz erstickt von den vielen Tränen.
„Hat er dich so gekränkt?“, meint sie und schiebt mich in die Küche. „Ich mach dir eine warme Milch mit Honig, das hilft immer.“
„Das ist es nicht, ich bin nicht gekränkt, also nicht so schlimm. Es ist, weil es sowieso nichts bringt. Er ist bald weg und ich weiß nicht wie ernst er es meint. Außerdem…Papa wird mich erschlagen…“, murmle ich in mich hinein.
„Jetzt ist er einmal nicht da. Ich kann das nicht mehr mitansehen. Du hast auch ein Recht auf Liebe und du bist doch verliebt, oder?“
Ich nicke zögerlich.
„Dann denk nicht so viel nach, rede noch einmal mit ihm. Schlaf eine Nacht darüber und dann schaust du weiter.“
Wieder nicke ich.
„Julian…“, lächelt Mama. „Schöne Augen hat er…sehr schöne Augen…“
„Ja ich weiß“, seufze ich.
Julian
Ich bin nicht gleich zurück zum Herzoghof gefahren. An der Weggabelung musste ich anhalten. Immer noch versuche ich mich zu fangen. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Annas Gesicht. Die Wangen gerötet, unter dem Auge ein blauer Fleck, die Nase aufgeschlagen. Ich kann es einfach nicht glauben. Was ich gerade gesehen habe, übersteigt alles was ich bisher erlebt habe. Ich habe sie gefragt, ob ihr Vater ihr das angetan hat. Sie hat nicht darauf geantwortet, doch ich bin mir sicher. Wie kann man so etwas tun? Ich atme tief durch. Niemals hat mein Vater gegen mich oder meine Schwester die Hand erhoben, selbst wenn es dazu hin und wieder Anlass gegeben hätte. Niemals…Je mehr ich darüber nachdenke umso weniger verstehe ich es. Anna ist so ein besonders Mädchen. Überlegt und keinesfalls rebellisch oder sonst etwas, kein Grund der solch ein Handeln nur Ansatzweise rechtfertigen könnte. Ich möchte nicht, dass ihr jemand wehtut. Ich muss zurück. Sie muss weg von dort, ich kann und darf das nicht hinnehmen. Ich setze den Helm wieder auf und starte die Vespa, doch dann halte ich inne. Er wird ihr wieder wehtun, besonders wenn ich dort auftauche. Es war wohl ein Glück, dass er gerade vorhin nicht zu Hause war. Darum wollte sie nicht, dass ich sie nach Hause bringe oder abhole. Jetzt verstehe ich alles. Ich hätte es spüren müssen und wenn ich jetzt darüber nachdenke macht es auch Sinn. Sie hat wirklich Angst vor ihrem Vater. Ich erinnere mich an ihrem Blick, als sie an mir vorbeifuhren. Da war so viel Verzweiflung, dass es mir augenblicklich fast den Magen umdreht. Aber ihre Mutter ist nett, doch wie kann sie das alles mitansehen, oder gar dulden? Ich verstehe es nicht. Wenn ich sie zumindest anrufen könnte…Sie fehlt mir. Es zieht wieder in meinem Bauch. Ich muss nachdenken. Überlegen. Langsam rolle ich zurück zum Herzoghof. Meine Kumpels sitzen bei einer Flasche Wein vor dem Haus. Es ist ein lauer Abend, nicht so schwül wie die letzten Tage, aber das ist durchaus angenehm. Ich bin an diese schwülheißen Nächte nicht gewöhnt.
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