Mit einem unsicheren Lächeln nahm Shanli ihm die Mokkakanne ab und betrachtete ihr Abbild. Langsam fuhren ihre Finger über ihr Gesicht. Nach einer Weile ließ sie die Kanne sinken.
»Und jetzt die blonden Haare«, flüsterte sie erwartungsvoll.
Navids Blick wurde kritisch. »Warum? Du bist schön genug Shanli. Der Schah wird sich jetzt schon in dich verlieben.«
Verbissen schüttelte Shanli ihr Haupt. »Nein. Ich will blond werden. Ich wünsche mir blonde … Körperbehaarung.«
Sie wollte nur auf Nummer sicher gehen, nicht dass sie an den Armen und Beinen plötzlich aussah wie ein Affe.
Abermals wehte eine Sternenbrise, und sogleich hob Shanli die Kanne an, um die Erfüllung ihres Wunsches zu überprüfen. Sie hatte tatsächlich eine goldblonde Haarpracht, die herrlich schimmerte. Sogar ihre Wimpern und Augenbrauen waren hell, genau so, wie sie es beabsichtigt hatte. Shanli konnte es nicht fassen. Sie war eine ganz andere Person, eine wunderschöne, schlanke Blondine. Von der kleinen dicken, dunkelhaarigen Shanli war weit und breit nichts mehr zu entdecken. Vielleicht noch eine leichte Ähnlichkeit in den Zügen, die einem jedoch nur auffiel, wenn man wusste, wonach man suchte.
Navid beäugte die neue Shanli mit Argwohn. Sein Zauber war gelungen, sogar mehr als das, er war vollkommen. Aber dennoch gefiel ihm nicht, was er sah. Die dunkle dicke Shanli war weg, und vor ihm stand eine anmutige Schönheit. Obwohl das Mädchen überglücklich wirkte und immer wieder ihren neuen Körper und ihr Gesicht in der Kanne bestaunte, hatte er das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben.
»Das ist wunderbar, Navid. Warum schaust du denn so betrübt? Kannst du dich denn nicht mit mir darüber freuen, dass du meine Wünsche erfüllen konntest, dass alles so geworden ist, wie ich es mir vorstellte?«
»Ich weiß nicht. Ich finde es nicht richtig«, murmelte Navid leise.
Stürmisch konterte Shanli mit einem Kopfschütteln. »Nein. Es ist genau richtig. Parviz wird glücklich sein.«
»Aber … wirst auch du glücklich sein?«
Mürrisch verzog sich Shanlis Mund. »Natürlich. Es geht nur darum, dass ich so bin, wie Parviz es sich wünscht. Wenn er glücklich ist, bin auch ich glücklich.«
Navid musterte sie ernst. »Mag sein. Ich glaube jedoch …«
Navid vollendete seinen Satz nicht, denn er verfolgte, wie Shanli die Kupferkanne wegstellte und den Korb holte, welcher noch immer die Süßigkeiten enthielt, die sie für Parviz zubereitet hatte. Sie stellte ihn auf den Tisch, schlug die Tücher beiseite und suchte sich eine Leckerei heraus, die ohne Umschweife den direkten Weg in ihren Mund fand. Genüsslich schmatzte sie vor sich hin und schien, Navid vollkommen vergessen zu haben.
»Was tust du da?«, fragte er mit runden Augen.
Shanli schaute ihn an, als zweifle sie an seinem Verstand. »Wonach sieht es denn für dich aus? Ich esse. Kennst du das nicht?« Dann glaubte sie, zu begreifen, um was es Navid ging. »Ach so! Du willst auch probieren? Klar, du hast ja seit ein paar Jahrzehnten nichts mehr gegessen. Entschuldige.« Sie hielt ihm den Korb hin. »Hier, was magst du?«
»Nein, nein, nein!«, wehrte Navid ab. »Du hast dich doch gerade schlank gewünscht, und was machst du jetzt?«
Mit offenem Mund, in dem noch die letzten Reste des Marzipankonfekts auszumachen waren, glotzte Shanli ihn an. »Essen!«, war alles, was sie erwiderte.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein? Du wünscht dich schlank und futterst dir gleich wieder einen runden Bauch an?«
Wut tauchte in Shanlis Miene auf, und laut fuhr sie Navid an. »Was, wenn dem so wäre? Ich kann mich ja immer wieder schlank wünschen? Oder darf ich ab jetzt nie wieder etwas essen?« Mit Nachdruck donnerte sie den Korb auf den Tisch.
In einer vorwursvollen Geste deutete der Dschinn auf ihre Figur. »Na, dann brauchst du dich ja nicht wundern, dass du so …« Er brach seinen Satz ab, denn er bemerkte, wie das Gesicht der blonden Shanli allmählich rot wurde vor Zorn
Schnaubend trat sie an Navid heran, um unter seiner Nase lautstark auszurasten. »Was? Na komm, sag es! Spuck es aus! Dass ich so fett bin! Das wolltest du doch sagen.«
Navids ballte seine Hände zu Fäusten. Die Frau war unverbesserlich, unmöglich und rechthaberisch. »Ja, das wollte ich!«, schrie er. »Wenn du ständig Süßigkeiten in dich hineinstopfst, ist es kein Wunder, dass du so dick und rund bist.«
»Weißt du was?«, giftete die schlanke Shanli ihn an und stach bei jeder Silbe mit ihrem Finger auf seine Brust ein. »Das ist mir egal. Sieh her!« Blindlings ging die Blondine zurück an den Tisch, griff in den Korb, nahm sich einen Keks heraus, zeigte ihm diesen und stopfte ihn sich danach demonstrativ ganz in den Mund. Mit dicken Hamsterbacken sprudelte sie wütend weiter und verteilte dabei beachtliche Mengen von Kekskrümeln. »Ich esse, so viel ich will. Und es ist mir egal, was die Leute hinter meinem Rücken tuscheln. Sollen sie doch sagen, dass sie froh sind, nicht so dick zu sein, wie ich es bin. Oder dass es für mich schon längst an der Zeit wäre, abzunehmen. Oder dass ich doch zu Hause bleiben soll, weil mein Anblick sie anekle.« Kaum hatte Shanli den letzten Satz ausgesprochen und den Keks hinuntergeschluckt, war ihre Wut hinfort und nur noch ihre Traurigkeit blieb übrig. Ihre dunkelbraunen Augen, die Navid an Ort und Stelle gefangen hielten, füllten sich mit Tränen. Heiser raunte sie: »Es ist mir egal, was du sagst. Denn es gibt nichts mehr, was mich noch verletzen könnte!«
Das Mädchen wandte sich ab, doch Navid fasste nachihrem Arm. »Shanli, warte! Es tut mir leid.« Langsam drehte sie sich zu ihm um und leise sprach er weiter: »Ich wollte dich nicht beleidigen oder dir wehtun. Ich wollte nur …« Abrupt hörte Navid auf, zu reden, und stierte entgeistert auf Shanlis rechte Wange. Er ließ sie los und murmelte entgeistert: »Oh je, oh je, das ist nicht gut! Das ist gar nicht gut!«
Erschrocken schrie die Bäckerstochter auf: »Was? Was ist nicht gut? So sag doch! Was stimmt nicht mir?«
Navid nahm geschwind die Kupferkanne vom Tisch und reichte sie ihr wieder. »Deine Wange sie … sie …«
Hastig sah Shanli auf das polierte Kupfer und musste beobachten, wie ihre Wange bebte und blubberte, wie kochender Reismehlpudding.
»Nein. Nein. Nein!«, jammerte sie hysterisch.
Es wurde schlimmer und schlimmer. Bis es einen Schnalzer gab und ihre Wange wieder die alt gewohnte pralle Rundung hatte. Shanli schaute Hilfe suchend zu Navid. Der allerdings war viel zu sehr geschockt, um etwas anderes sagen zu können als: »Ach, du liebes Bisschen.«
Seine Augenbrauen rutschten in unterschiedliche Höhen und machten Shanli deutlich, dass ihr Zustand bedenklich war.
Sie japste gerade »Oh, nein, bitte, bitte nicht!«, als es mehrmals hintereinander schnalzte. Wie Mais zu Popcorn ploppte, so sprang auch ihre linke Wange wieder in ihre alte Form. Waden, Schenkel, Bauch und Brüste, eins nach dem anderen folgte. Alles sprang wieder in seinem alten Umfang aus ihrem schlanken Körper hervor, bis Shanli wieder die mollige Bäckerstochter war.
Enttäuscht ließ sie ihre Schultern hängen. »Na, wenigstens bin ich noch blond!«
Navid verzog unglücklich das Gesicht. »Hmm, das würde ich jetzt so … nicht sagen!«
Mit einem Aufheulen schaute Shanli wieder in die Kupferkanne. Ganz allmählich wurden ihre Wimpern und Augenbraune von außen wieder dunkler, bis sie völlig schwarz waren. Sie schaute auf ihre Haarspitzen, wo das gleiche Spiel stattfand. Langsam stieg die Schwärze an ihren Wellen empor bis zum Scheitel. Einen Moment später war sie wieder ganz die Alte. Schwarzhaarig, dick und unglücklich.
Niedergeschlagen seufzte die Bäckerstochter auf. Der Traum, Parviz‘ Braut zu werden, war zum Greifen nah gewesen, und den wollte sie sich nicht nehmen lassen. Verflixt! Nein, sie müsste lediglich darauf achten …
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