1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Also blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er seine Freiheit wollte, als mit Shanli vorliebzunehmen. Er musste die Sache jedoch mit Bedacht angehen, nicht zu hastig, denn sonst würde sie Verdacht schöpfen. Sein Anliegen durfte er ihr gegenüber erst dann erwähnen, wenn er sie sicher in der Tasche hatte. Er musste ihr Vertrauen gewinnen und darauf achten, dass das Amulett, an welches er gebunden war, in ihrem Besitz blieb. Wer weiß, wem er sonst in die Hände fallen würde? Ja, je mehr er darüber nachdachte: Shanli war perfekt, um sein Anliegen zu erfüllen.
Mit schmalen Augen betrachtete die Bäckerstochter den Dschinn, der ihr plötzlich entgegenschmunzelte.
»Aber bitte, tu dir keinen Zwang an, wünsch es dir!«
Bedächtig schüttelte Shanli den Kopf, denn Navids Herausforderung kam ihr seltsam vor. »Nein, das hebe ich mir für später auf, wenn es mir mit dir zu bunt wird.«
»Wie du meinst«, erwiderte Navid mit einem leisen Lächeln.
Shanlis Misstrauen gegenüber dem Dschinn wuchs. Ihr Magen begann nämlich, zu schlingern, das war ein deutliches Zeichen, auf das sie hören sollte. Irgendetwas hatte er vor, doch was? Womöglich war er gar kein harmloser Dschinn, sondern ein bösartiger? Sie sollte auf der Hut sein.
»Gehen wir hinunter in die Küche. Mal schauen, wie gut du darin bist, meine Wünsche zu erfüllen«, sagte Shanli und öffnete die Tür.
Allerdings blieb sie daneben stehen und wartete. Die Bäckerstochter wollte dem Dschinn nicht unbedacht den Rücken zuwenden, sondern behielt ihn kritisch im Auge.
Navid ging auf sie zu und verharrte vor ihr. »Vergiss das Amulett nicht.«
Shanli hob die Faust und ließ den Smaragd an der Kette herunterfallen, sodass er ihn wild hin- und herschwingen sehen konnte. »Keine Angst, ich behalte es schön bei mir.«
»Das solltest du auch. Und ich rate dir, es gut unter den Kleidern zu verstecken.«
»Gut!«, nickte Shanli ernst. Mit Abstand folgte sie Navid in die Küche.
Als Navid der Unordnung ansichtig wurde, die dort herrschte, kräuselte sich seine Stirn. »Und ich liege auf der faulen Haut, häh?«
»Was?!«, fuhr Shanli ihn an. »Es war schon spät gestern Nacht, und heute Morgen musste ich zeitig in den Palast.«
Mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck drehte Navid sich zu ihr um. »Und dann hattest du keine Zeit mehr, weil …?«
»Ich einen furzenden Dschinn aus seinem Gefängnis befreien musste?!«, keifte Shanli angriffslustig zurück.
»Moment, ja?! Für das Furzen kann ich nichts. Anscheinend hatte die Hexe, die mich verflucht hat, einen seltsamen Sinn für Humor.«
»Klar!«, erwiderte Shanli und machte mit dem ironischen Unterton deutlich, dass sie ihm nicht glauben wollte.
Doch Navid ließ sich nicht reizen, sondern überging ihre Spitze und meinte lediglich: »Wenn du eine saubere Küche willst, solltest du deinen Wunsch aussprechen.«
Shanli nickte, und nach einem Atemzug formulierte sie ihr Anliegen. »Ich wünsche, dass meine Küche sauber und aufgeräumt ist.«
»Das sind eigentlich gleich zwei Wünsche, aber … das dürfte kein Problem sein«, erwiderte Navid.
Er wippte kurz mit dem Kopf, und in einem Schauer von Sternen reinigten sich die Töpfe, Kannen, Schüsseln und Löffel von selbst, um gleich darauf zurück an ihre angestammten Plätze zu schweben. Die Nuss- und Eierschalen kreiselten über den Boden und hopsten schließlich, wie kleine Frösche, in einen Holzeimer hinein. Das verschüttete Mehl, alle verstreuten Sesamkörner und jegliche Krümel erhoben sich zeitgleich in die Luft. Wie Bänder flogen sie in kunstvolle Bögen und Spiralen durch den Raum und landeten ebenfalls im Eimer. Der Dielenboden, die Regale, der alte Holztisch und die Stühle waren mit einem mal so sauber wie noch nie zuvor. Die Küche war innerhalb kürzester Zeit blitzsauber.
»Wow«, flüsterte Shanli voller Erstaunen und drehte sich im Kreis. »Das ist unglaublich.«
Ein schiefes Grinsen erschien auf Navids Gesicht. »Nein, das war eher eine meiner leichtesten Übungen.«
Shanli geriet ins Grübeln. »Hast du jemals meinem Vater Wünsche erfüllt?«
Eine von Navids Brauen hob sich in arroganter Weise. »Dann würden wir vermutlich nicht hier, in dieser armseligen Hütte, stehen. Denkst du nicht?«
»Er wusste demnach also nicht, dass er ein verzaubertes Amulett besaß?«
Navid schüttelte den Kopf. »Der letzte Besitzer, der mich rufen konnte, lebte wohl vor knapp hundert Jahren. Daher nehme ich an, dass das Amulett jemandem vererbt wurde, dem das Geheimnis nicht bekannt war.«
Bedauern erfasste Shanli, und traurig stierte sie vor sich hin. »Es wäre vieles einfacher für uns gewesen, wenn wir von dir gewusst hätten.«
Plötzlich sah sie erwartungsvoll zu dem Dschinn auf, und dieser las an ihrer Miene die Hoffnung ab, welche schon einige seiner Herren gehabt hatten. Langsam schüttelte Navid den Kopf.
»Tut mir leid, Shanli. Diese Macht besitze niemand. Keiner kann Tote wieder zum Leben erwecken.«
Enttäuscht sackten die Schultern des Mädchens nach unten, und Navid überkam ein Gefühl von Mitleid. Shanlis volle Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund, sodass er sich genötigt fühlte, sie aufzumuntern.
»Ich weiß, es ist ein schwacher Trost, aber … Ich kann dir viele andere Wünsche erfüllen, die dich glücklich machen.«
In ihren großen, unschuldigen Augen war noch immer leise Trauer zu entdecken, und doch wisperte sie zuversichtlich: »Ja, da gäbe es einiges, was mir das Leben angenehmer machen könnte und etwas ganz … Spezielles.«
»Aha«, entgegnete Navid und hob dabei sein Kinn in arroganter Weise an. »Dieses Spezielle hat nicht zufällig mit einem Mann zu tun?«
Mit einem lautlosen Seufzen verschränkte er seine Arme vor der Brust. Ihr Gesichtsausdruck sagte alles. Es wäre ja auch zu schön gewesen, mal nicht bei der Eroberung irgendeines muskelbepackten Schnösels helfen zu müssen. Ewig das gleiche Lied! Er konnte es nicht mehr hören. Und vor allem kam ihm damit ein ganz gewaltiges Problem in die Quere. Wie sollte er Shanlis Herz gewinnen, wenn sie es bereits verschenkt hatte? Kein Wunder, dass das füllige Mädchen ihm gegenüber so kaltschnäuzig war. Er hatte schon begonnen, an seinem guten Aussehen zu zweifeln.
Ja, er wusste sehr genau, wie er auf Frauen wirkte. Normalerweise. Es hatte ihn wahrlich überrascht, dass sie nicht empfänglich für ihn zu sein schien, sondern im Gegenteil, sich noch lustig über ihn machte. Gerade sie, die mit ihrer drallen Figur nun wirklich keinen Grund hatte, über andere unflätige Sprüche zu klopfen.
»Lass mich raten! Du willst, dass er sich in dich verliebt. Also, wie heißt der strahlende … Vollpfosten?«, sprach Navid in gelangweiltem Ton.
»Hey!«, rief Shanli sogleich. »Er ist kein Vollpfosten!«
Navid hob zweifelnd die Brauen. Sein herabwürdigender Blick, seine überhebliche Körperhaltung, alles an ihm machte deutlich, dass er ihr nicht glaubte und sie für ein verliebtes, doof-kicherndes Huhn hielt.
Verdammt, woher wusste er, dass sie einen heimlichen Schwarm hatte und genau das war?
Shanli begann, verlegen zu stammeln: »Woher … wie … kommst du …?«
»Weil das alle junge Frauen wollen!«, unterbrach Navid sie schroff.
»Ach so, na dann«, sagte sie gelassen. »Parviz heißt er. Es ist Schah Parviz von Al Hurgha, um genau zu sein.«
»Oho! Gleich ein Schah! Mit kleineren Keksen gibst du dich wohl nicht ab, was?«
Shanli explodierte, denn schon zum zweiten Mal an diesem Tage musste sie sich anhören, dass sie nicht gut genug war. Mit erhitzten Wangen bellte sie Navid an: »Was willst du damit sagen? Nur weil ich dick bin, bin ich es nicht wert, einen Schah abzubekommen?«
Der Dschinn bemerkte, dass ihm ein gewaltiger Fehler unterlaufen war. Auch wenn ihr Vorwurf eine falsche Unterstellung war, auf diese Art würde er bestimmt nicht bei Shanli landen können und seine Freiheit wiedererlangen. Mufflig gestand er: »Das wollte ich damit nicht sagen. Ehrlich! Üblicherweise ist es oft jemand, dem die Mädchen häufig begegnen. Meist möchten sie die Liebe eines Nachbarsjungen oder die eines Freundes für sich gewinnen.«
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