1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Verärgert schaute Shanli zu dem Geist des Amuletts auf. Nun, wo sie dicht vor ihm stand, bemerkte sie, dass seine Augen voller Spott waren und die gleiche giftige Farbe wie der Smaragd hatten.
»Wie bekomme ich dich nervigen Dummschwätzer eigentlich wieder in den Anhänger hinein? Spuck es aus, du Scherzkeks! Was ist das Zauberwort?«
In zynischer Lässigkeit verzog der Dschinn einen Mundwinkel. »Nett, wirklich! Im Allgemeinen nennt man mich allerdings Navid. Und wenn du meine Dienste nicht mehr benötigst, solltest du Folgendes sagen: Oh, wundervoller Navid, schönster, edelster Mann, der auf Erden wandelt, auf ewig werde ich dir dankbar sein.«
Shanli versteinerte augenblicklich und betrachtete ihr Gegenüber. Der Kerl nahm sie doch auf den Arm und war eingebildet, dass es nur so krachte. Gut, seine Mähne hatte eine Farbe, die sie an leckere Haselnüsse denken ließ. Mochte sein, dass diese ungezügelten Wellen, die um sein markantes Gesicht fielen, auf manche Frauen einen gewissen Reiz ausübten. Ohne Frage auch seine grünen Augen. Dennoch war seine Hakennase nicht zu übersehen. Aber zusammen mit den schmal geschwungenen Lippen und dem kantigen Kinn war sein Gesicht alles andere als hässlich. Offensichtlich hatte der Pumphosen-Dschinn jedoch eine übergroße Schwäche für Schmuck, denn die goldenen Kreolen an seinen Ohrläppchen blitzten bei jeder Bewegung auf. Sogar seine Handgelenke wurden von breiten Goldspangen umfasst. Sie könnte wetten, dass er mehr als einen protzigen Fingerring an jeder Hand trug. Schade, dass sie ihre Vermutung nicht überprüfen konnte. Er hielt nämlich seine Hände unter den verschränkten Armen verborgen. Doch alles wies daraufhin, dass der Dschinn, welcher sich als Navid vorgestellt hatte, ein eitler, eingebildeter Pfau war. Und so, wie er sich benahm und aus seiner bestickten Seidenweste schaute, einer der allerschlimmsten Sorte. Na, das würde etwas geben! Dem Herrn würde sie gleich mal zeigen, wo das Kamel seine Locken hatte!
»Klar! Wundervoll! Schönster Mann!«, wiederholte Shanli vermeintlich ruhig seine Worte. Doch dann verpasste sie Navid einen unerwarteten Schlag auf den Hinterkopf und schrie ihn laut an: »Du hast sie doch nicht mehr alle! Ich geb dir gleich wundervoll!«
»Aua! Ist ja gut, Dickerchen. Das war es!«, entgegnete Navid kleinlaut und zog den Kopf ein.
»Wie: ›Das war es‹?«, wollte Shanli wissen.
Aber kaum hatte die letzte Silbe ihren Mund verlassen, musste sie zusehen, wie Navid anfing, sich um seine eigene Achse zu drehen. Er wurde immer schneller und schneller. Schließlich verwandelte er sich in einen grünen trichterförmigen Wirbelwind, der röchelnd in den Smaragd eingesaugt wurde. Zum Schluss hinterließ er nur noch ein leises Pupsgeräusch, das als letztes Anzeichen seiner Existenz im Raum nachhallte. Innerhalb von Sekunden war der Dschinn verschwunden. Nur noch das Amulett mit dem grün funkelnden Juwel lag am Boden, als wäre nie etwas geschehen.
Geschockt von Navids plötzlichem Verschwinden nuschelte Shanli benommen: »Jetzt hat der Kerl hier noch einen fahren lassen. Direkt vor meiner Nase! Ich fass es nicht!«
Vorsichtig schnüffelte sie. Zumindest war sein Abgang ohne Gestank. Ein Dschinn, der furzte, wenn er sich dünne macht. Unglaublich! Und … wie bekam sie ihn jetzt da wieder heraus?
Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Schmuckstück und hob es mit spitzen Fingern vom Boden auf. Damit sie den Smaragd besser untersuchen konnte, ließ sie ihn vor ihrer Nase, an der Kette, herunterbaumeln. Dämmriges Tageslicht fiel durch das Fenster und ließ den Edelstein hell leuchten. Das dunkle Grün war faszinierend und erinnerte sie an Navids Augenfarbe.
Shanli konnte es nicht glauben, sie hatte einen Dschinn. Zwar einen selbstgefälligen Angeber-Dschinn, aber immerhin konnte er ihr alle Wünsche erfüllen, die sie sich vorstellen konnte. Genau! Das war es – nein, halt! Das war der Satz, den sie sagen musste, wenn er verschwinden sollte. Aber kurz bevor er aufgetaucht war, hatte sie dreimal laut gesagt: Ich wünschte. Das musste es sein.
Und so sprach Shanli die Sätze laut in ihr verlassenes Zimmer: »Ich wünschte. Ich wünschte. Ich wünschte.«
Gebannt hielt sie die Luft an und wurde aus nächster Nähe Zeuge, wie … nichts passierte. Nach wie vor baumelte der Smaragd träge an der Kette, doch von Navid und seiner lila Pumphose war weit und breit keine Spur.
Shanli seufzte. War er sauer? Wollte der kleine Wichtigtuer etwa nicht mehr herauskommen? Konnte er sich da drin womöglich festhalten?
Die Bäckerstochter nahm den Smaragd in die Hand und schüttelte ihn. »Komm raus! Los mach schon, du Drückeberger, du hast lange genug auf der faulen Haut gelegen«, brüllte sie den Stein an.
Abermals geschah nichts. Shanli versuchte, sich an das zu erinnern, was sie getan hatte, als sie den Dschinn herbeigerufen hatte. Niedergeschlagen hatte sie sich ins Bett fallen lassen. Sich in Selbstmitleid geaalt und an ihren Vater gedacht, dann hatte sie den Smaragd aus seinem Versteck geholt. Sie hatte ihn in den Händen gehalten, fest umschlossen. Und … ja, sie hatte ihn gerieben, während sie die Sätze laut ausgesprochen hatte.
Aufatmend entschloss sich Shanli, es gleich noch mal zu probieren, und diesmal würde sie den Smaragd reiben.
Getan, gesagt.
»Ich wünschte … ich wünschte … ich wünschte«, und schon ging ein Ruck durch den Smaragd, und Navid, der Dschinn, stand, in seiner üblichen Haltung mit verschränkten Armen, wieder vor ihr. Seinen Kopf hatte er leicht in den Nacken gelegt, und von oben herab (was keine Kunst war, da er sie um einen guten Kopf überragte) schaute er sie an.
»Na, welchen Wunsch hat unser Schwabbelchen denn jetzt schon wieder?«
Kapitel 6
Wer will schon kleine Kekse?
»Hör zu, du aufgeblasener Kamelkopf, ich heiße Shanli. Du kannst mich gern weiter beschimpfen, aber du wirst dennoch meine Wünsche erfüllen müssen.« Ein schadenfrohes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht der Bäckerstochter aus, als ihr etwas einfiel. »Vielleicht wünsche ich mir sogar, dass du die Stimme verlierst, damit ich mir dein Geschwätz nicht länger anhören muss.«
Navids Brauen rückten zusammen und offenbarten, wie verärgert er über ihre Drohung war. »Das kannst du gerne versuchen. Aber ich denke, dass der Fluch nicht zulassen wird, dass an mir Veränderungen vollzogen werden.«
Navid musterte seine neue Herrin aufmerksam. Vielleicht wäre es jedoch klug, herauszufinden, ob das überhaupt möglich war. Denn wenn ihr Wunsch, ihn stummzuhalten, nicht gelingen würde, bräuchte er gar nicht erst in Erwägung zu ziehen, sie zu überreden, ihn von seinem Fluch zu befreien. Allerdings wäre die kleine, moppelige Shanli vielleicht die Erste, die er mit seinem Charme dazu überreden könnte. Viele Verehrer hatte das Mädchen bestimmt nicht, so rund und frech, wie es war. Mmmh, ihr Honig um den Mund zu schmieren, bis sie ihm hörig war, würde ein hartes Stück Arbeit werden. Denn mit ihrer drallen Figur entsprach sie nicht wirklich dem Bild seiner Traumfrau. Zwar hatte sie, trotz der feisten Wangen, hübsche Züge, aber dennoch war es ein Mondgesicht. Sogar ein kleines Doppelkinn hatte sie. Konnte er sich wirklich dazu überwinden, Begehren zu heucheln? Aber hatte er eine andere Wahl, wenn er sich von dem Fluch befreien wollte?
Die kleine Shanli unumwunden danach zu fragen, konnte er sich sparen, das wusste er aus bitteren Erfahrungen. Mehr als einmal hatte er es auf diese Weise versucht. Einige Besitzer des Smaragdes hatte er gebeten, ihn mit einem Wunsch von dem Fluch zu befreien. Doch stets hatte er von den Frauen und Männern eine Absage oder fortwährend Ausreden gehört. Letztendlich hieß es immer: Erfülle mir nur noch diesen Wunsch, dann schauen wir weiter. Aber dazu war es nie gekommen, denn entweder griff der Besitzer ständig zu dieser Antwort, bis er starb, oder der Smaragd wurde ihm gestohlen, was noch öfters vorkam. Nein, er würde diese einmalige Chance, die sich ihm hier bot, nicht verschenken.
Читать дальше