»Tatsächlich!«, entgegnete er zynisch.
»Ja«, bestätigte Shanli derweil säuerlich. »Daran wird es wohl liegen.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Navid, wie seine junge Herrin die versteckte Schmach hinunterschluckte. Ihr Gesicht hatte sich verschlossen, und ihr Blick wirkte nicht mehr so heiter wie zuvor.
Golroo und Taliman verabschiedeten sich nach ein paar Höflichkeitsfloskeln, und als Shanli die Tür hinter ihnen zumachte, nuschelte sie leise: »Unfassbar! Jetzt ist sogar ein Kerl in Pumphose ‘ne hübschere Frau als ich.«
»Dafür kann ich ja jetzt wohl wirklich nichts!«, schnippte die blonde Navida zurück, was Shanli nur noch wütender machte.
Giftig starrte sie ihn an. »Ach, halt die Klappe, Blondie. Du siehst selbst mit deinem Bart im Gesicht noch besser aus als ich.«
Überrascht fasste Navid sich an die Wangen. Wie Shanli sagte, konnte er seine Bartstoppeln fühlen, was hieß, dass die Rückverwandlung bereits einsetzte.
»Shanli, das wird nie und nimmer gutgehen!«, versuchte er, sie nochmals zu überzeugen, dass ihr Plan nicht gelingen würde.
»Doch, das wird es. Und ich werde mit dir darüber nicht weiter streiten.«
Zusehends verwandelte sich Navid zurück in den männlichen Dschinn. Seine goldene Mähne wurde wieder braun und schrumpfte auf Schulterlänge zusammen. Zugleich verschwand sein Busen, und die Schultern wuchsen in die Breite. Sein Kinn gewann wieder sein kantiges Aussehen, während sein Hals kräftiger wurde. Füße und Hände verwandelten sich zu denen eines Mannes.
Je mehr Navid seine echte Gestalt annahm, desto panischer wurde Shanli. Denn insgeheim befürchtete sie, dass der Dschinn recht haben könnte. Doch welche Wahl hatte sie, wenn sie Parviz‘ Ehefrau werden wollte? Sie musste das Risiko eingehen und diese eine Chance nutzen, die sich ihr bot. Stur hielt sie an ihrem Plan fest und sprach den Satz aus, der ihr Ruhe bescheren würde – vor Navids Zweifel, den sie nicht hören wollte.
»Das war es!«
Sie vernahm noch aus dem grünen Zyklon seine tiefe Stimme, bevor er vollkommen im Smaragd verschwand: »Es wird trotzdem in die Hose gehen!«
Shanli hätte schwören können, dass er sie mit dem abschließenden Furzgeräusch verspottete.
Kapitel 9
Geschenke von einst und jetzt
Es war früh am Morgen, und die Gassen von Al Hurgha waren so gut wie menschenleer. Navid schaute sich verstohlen um. Sein grünes Kleid, das aus kostbarer Seide gefertigt und mit Hunderten von Perlen verziert war, stand im krassen Widerspruch zu der armseligen Hütte, die er soeben verlassen hatte. Hinter ihm trat Shanli aus der Tür. Auch sie hatte wie Navid die schlanke Blondinen-Gestalt angenommen. Die Bäckerstochter war ebenfalls nobel gekleidet, jedoch strahlte sie, im Gegensatz zu ihrem Dschinn, übers ganze Gesicht. Sie schaute zum Nachbarhaus, dessen Fensterläden noch verschlossen waren.
»Schnell, lass uns gehen, bevor uns Golroo und Taliman entdecken.« Hastig packte sie Navids schmale Hand und zerrte ihn hinter sich her, die Straße entlang, in Richtung Palast.
»Früher oder später werden sie dich in diesem Zustand antreffen. Das wird sich nicht vermeiden lassen«, machte er Shanli auf das Unausweichliche aufmerksam.
»Was soll ich ihnen denn dann bloß sagen?«
Navid zuckte lässig mit den Schultern. »Na, das Gleiche, was wir auch im Palast erzählen werden: dass wir Schwestern sind.«
»Aber werden sie das nicht seltsam finden, dass plötzlich noch eine Cousine aufgetaucht ist.«
Navid schnalzte mit der Zunge. »Warum sollten sie sich wundern? Wenn der Schah, so wie du erklärt hast, im ganzen Reich ausrufen ließ, dass er eine Braut sucht, ist es doch verständlich, dass von überall die Mädchen kommen werden, um im Palast vorzusprechen. Ich bin überzeugt, dass deine Cousinen tatsächlich angereist kämen, wenn du welche hättest.«
Shanli nickte. »Ja, du hast recht.« Beunruhigt blickte sie zu Navid auf. »Wie sehe ich aus? Bin ich noch blond und schlank?«
»Ja. Noch!«, meinte dieser verdrießlich. »Aber ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben …« Nach einem Augenblick des Nachdenkens nahm der Dschinn einen von seinen breiten Armreifen ab und reichte ihn Shanli. »Hier, nimm ihn! Damit kannst du hin und wieder dein Spiegelbild überprüfen.«
Erstaunt betrachtete das Mädchen den schweren Goldarmreif, der in ihrer Hand ruhte. Er war wirklich so breit und blank poliert, dass sie ihr Abbild darin erkennen konnte.
»Aber … er ist ein Vermögen wert. Was, wenn ich ihn verliere?«
Navid schüttelte den Kopf, als wäre es das Abwegigste, was passieren könnte. »Dann verliere ihn einfach nicht. Und wenn, ist es nicht mehr mein Problem. Ich schenke ihn dir.«
Verdutzt blinzelte Shanli und streifte sich andächtig das Schmuckstück über. »Ist das dein Ernst? Er … er ist wunderschön, Navid. Ich kann das nicht annehmen!« Mit einem zaghaften Schmunzeln suchte sie den Blick ihres Dschinns, der fast schon verlegen wirkte. »Vielen Dank. So etwas … Kostbares hat mir noch nie jemand geschenkt. Ich werde ihn in Ehren halten, das verspreche ich dir.«
Die weibliche Navid grummelte: »Keine Ursache.«
Es war schon lange her, dass sich jemand bei ihm für etwas bedankt hatte, und noch länger, dass er irgendjemandem ein Geschenk gemacht hatte. Auch wenn ihm dieser Armreif nichts mehr bedeutete, wie einst, als er nach Ruhm und Reichtum strebte, so gab ihm Shanli jedoch das Gefühl, etwas Wichtiges verschenkt zu haben. Und das war – ein gutes Gefühl. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal mit sich selbst im Reinen gewesen war. Sein Dasein war im Grunde nur noch von Langeweile, Unglück, Reue und Bitterkeit erfüllt gewesen. Seit Shanli ihn allerdings aus dem Smaragd geholt hatte, hatten diese Empfindungen keinen Platz mehr gefunden. Und verrückter Weise, hatte sein Herz einen Schlag ausgesetzt, als sie eben zum ersten Mal seinen Namen ausgesprochen hatte. Bisher hatte sie ihn nämlich mit allem Möglichen betitelt, von »Kamelkopf« bis »Pumphosen-Dschinn«. Vielleicht bildete er sich dies jedoch auch nur ein? Ja, gewiss brachte ihn lediglich ihre dazugewonnene Schönheit durcheinander, die gerade mal wieder im Treibsand verschwand.
»Shanli, du musst die Wünsche aussprechen.«
Erschrocken schaute sie auf Navids breite Armspange, die nun ihr Handgelenk zierte. Ihre Wange bebte bereits, und so sprach die Bäckerstochter die Wünsche aus, welche sie blond und schlank hielten.
Sie hatten den größten Teil der Strecke zurückgelegt, als ihnen zwei Männer entgegenkamen. Deren Blicke glühten voller Bewunderung für die beiden Blondinen. Shanli und Navid versuchten, schweigsam an ihnen vorbeizuhuschen. Die Männer versperrten ihnen jedoch den Weg.
»Wo kommt ihr zwei Hübschen denn her?«
»Wollt ihr etwa auch in den Palast und, wie all die anderen, um den Schah werben?«
»Was?«, fragte Shanli verwundert.
Ein Wildfremder machte ihr, mitten auf der Straße, einfach so ein Kompliment? Das war ja vielleicht nett gemeint, aber sein Ton bereitet ihr irgendwie Unwohlsein.
Während Shanli vor den zwei Fremden ängstlich zurückwich, blieb Navid stehen. Auf seiner Stirn stand überdeutlich »Komm mir bloß nicht zu nah« geschrieben. Allerdings konnten die Männer die Botschaft wohl nicht entziffern. Sie rückten noch dichter an die Mädchen heran.
»Ihr solltet besser um uns werben.«
»Wir sind zwar nicht so reich, aber können euch auf andere Weise ebenso beglücken.«
Navids Lippen verzogen sich voller Verachtung, was sein Gegenüber entweder nicht wahrnehmen wollte oder als Zeichen von unterdrückter Leidenschaft deutete. Denn verwegen strebte der Fremde an, eine von Navids Wellen spielerisch um seinen Finger zu wickeln. Doch der Dschinn packte die Grabscher und bog sie ganz allmählich in eine unnatürliche Haltung. Der Mann ging in die Knie und jaulte zugleich vor Schmerz auf. In seinen weit geöffneten Augen leuchtete Verwunderung.
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