Woher sollte er auch wissen, dass die Wahrheit ganz woanders lag…?
Gilos hatte von Admiral Lobos nur einen einzigen Befehl erhalten. Obwohl sie nun schon seit sieben Jahren hier an den Wasserfällen des Mioli-Flusses gestrandet waren, war die alte Befehlskette aufrechterhalten worden, weil klar war, dass sie nur so vernünftig überleben konnten. Deshalb hatte er auch nicht gezögert, ihn auszuführen.
Und er tat es gut. Die Granate explodierte genau dort, wo sie auch sollte und sorgte jetzt ganz sicher für die erhoffte Verwirrung.
Deshalb ließ er die Waffe sinken und schaute relativ entspannt, aber sehr neugierig auf das Geschehen am Flugboot.
Denn von den zwölf Soldaten, die Jagd auf ihre neuen Freunde gemacht hatten, war kein einziger mehr aktiv am Geschehen dabei.
Lobos, das monströse Bärenwesen, er und die anderen hatten sich gut versteckt und im entscheidenden Moment eiskalt, schnell und effektiv zugeschlagen. Allein Leira hatte mit einem einzigen Prankenschlag gleich vier Soldaten ins Reich der Träume geschickt. Ohne dass auch nur ein einziger Schuss fiel, konnten sie die Truppe aus dem Flugboot überwältigen und ihnen die Waffen abnehmen. Gilos war sehr überrascht, wie gut sie alle noch miteinander harmonierten, doch war es für ihn ein Zeichen dafür, dass sie noch immer eine kampfstarke Truppe waren.
Dann sprach Commander Mavis und machte den Männern mit wenigen, emotionslosen, aber unheimlich deutlichen Worten ihre Situation klar. „Man sagte euch, wir wären Verräter. Das ist eine Lüge. Doch wir sind vogelfrei und haben daher nichts mehr zu verlieren. Also tut, was man euch sagt und ihr werdet leben. Tut es nicht und wir sind alle tot. Uns…!“ Er blickte in die Runde seiner Verbündeten und alle nickten. „…ist das einerlei!“
Von den Männern aus dem Boot widersprach niemand, niemand protestierte, niemand wollte den Helden spielen.
Also mussten sich sieben der zwölf Männer ihrer Kleidung entledigen und wurden dann gefesselt. Sie lagen jetzt hilflos neben Gilos und wurden von Leira mit finsterer Miene bewacht, was sie dermaßen einschüchterte, dass sie nicht wagten, sich auch nur zu bewegen. Ihre Kleidung zogen Lobos und die anderen an. Er, Gilos, sollte zurückbleiben und mit dem Granatwerfer im richtigen Moment Panik erzeugen, denn selbstverständlich wären sie alle irgendwann so nah am Flugboot gewesen, dass sie ihre Finte nicht mehr länger hätten aufrechterhalten können.
Dieser Zeitpunkt war vor wenigen Augenblicken gewesen.
In der jetzt herrschenden Verwirrung konnten sie schließlich ihr eigentliches Ziel verfolgen: Die Übernahme des Flugboots. Und Gilos hatte quasi einen Logenplatz zum Zuschauen.
Der Qualm war dick und undurchdringlich und Mavis liebte ihn.
In dem Moment, da die Granate detoniert war und ihre Energie in alle Richtungen freigesetzt hatte, änderte sich das Bild vor dem Flugboot dramatisch.
Gezielte Schläge setzten die verbliebenen Soldaten außer Gefecht und sie sackten zu Boden. Vilo, der den Ohnmächtigen gespielt hatte, war blitzschnell auf den Beinen und rannte, ebenso wie alle anderen, geduckt, aber so schnell es ging, seitlich an der Qualmwolke entlang zur Laderampe. Wenige Augenblicke später hatten sie das Innere des Schiffes erreicht.
Mavis erkannte etwa zehn bis fünfzehn Personen dort, doch alle konzentrierten sich mehr auf die Explosion, als auf die anstürmenden Männer. Offensichtlich hatten sie sie noch nicht als Bedrohung registriert. Das verhalf ihnen zu einigen, wenigen Sekunden, die sie aber effektiv nutzten. Beinahe gleichzeitig konnten fünf weitere Männer ausgeschaltet werden. Erst dann schienen die anderen zu bemerken, dass auch die vermeintlichen Geiseln frei herumliefen. Doch bevor für sie an Gegenwehr überhaupt zu denken war, waren weitere vier von ihnen ausgeschaltet. Die restlichen fünf Männer suchten sofort den Kampf und lieferten ehrenvolle Gegenwehr, doch Mavis war sicher, dass sie am Ende den Kürzeren ziehen würden.
Er selbst klinkte sich aus und rannte in Richtung Cockpit, um frühzeitig zu verhindern, dass man dort Wind von der Aktion bekam und womöglich einen verdammten Funkspruch absetzen konnte. Mit flinken Schritten durchquerte er das Schott, das ins Mittelschiff führte. Schnell, aber lautlos blickte er sich um, doch er konnte Niemanden sehen. Seine Hoffnung, dass das Boot nur mit kleiner Besatzung geflogen war, schien sich zu bewahrheiten. Somit rechnete er im Cockpit mit maximal vier weiteren Männern. Den Überraschungseffekt und konsequente Härte vorausgesetzt, sollte er sie überwältigen können.
In Gedanken focht er den Kampf dort auch schon aus und spürte plötzlich beim nächsten Schritt die Kälte von Stahl in seinem Nacken, begleitet von den Worten. „Keinen Schritt weiter!“
Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn alles glattgegangen wäre!
Mavis hob seine Hände an und ließ dabei seine Waffe fallen. Während er sich langsam umdrehte, zwang er sich zur Ruhe und Konzentration, denn natürlich war er nicht gewillt, sich wirklich aufhalten zu lassen.
Doch Yunok war nicht so dumm, wie Mavis hoffte. Während sich der Commander umdrehte, riss er seine Pistole in die Höhe. Er wollte Mavis mit dem Knauf gegen die Stirn schlagen, um ihn auszuschalten, zögerte jedoch solange damit, um ihm dabei in die Augen sehen zu können. Für einen winzigen Moment war er dann überrascht, weil ihm klar wurde, dass er sich einen Verräter anders vorgestellt hatte, als den Mann, den er jetzt vor sich hatte. Plötzlich war hinter ihm ein knarrendes Geräusch zu hören. Augenblicklich zeigte sich in Mavis Blick Überraschung, gefolgt von einem lockeren „Hey!“, gerichtet an Jemanden schräg hinter Yunok. Das irritierte den Lieutenant. Er stoppte seinen Schlag und sein Kopf zuckte unwillkürlich nach hinten.
Dieser winzige Moment der Unachtsamkeit reichte Mavis jedoch vollkommen aus. Seine Hände zuckten nach unten, die linke ergriff die Waffe des Lieutenants und sorgte dafür, dass er nicht feuern konnte, die rechte umfasste den Unterarm Yunoks. Gleichzeitig drückte Mavis seinen Arm nach außen weg. In dem Moment, da der Lieutenant erkannte, was geschah und sein Kopf zurückzuckte, machte Mavis einen halben Schritt nach vorn und hämmerte seine Stirn wuchtig gegen die Stirn seines Gegners. Yunok hatte das Gefühl, sein Kopf würde explodieren. Bevor er jedoch aufschreien konnte, spürte er, wie ihm das Knie seines Gegners in einem hammerharten Schlag in den Bauch jegliche Luft nahm. Sein Oberkörper wollte vornüber klappen, doch Mavis hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen rechten Arm waagerecht gegen Yunoks Brust gedrückt und nagelte ihn wie ein Wrestler rücklings zu Boden. Der Lieutenant schlug mit großer Wucht auf den Rücken und den Hinterkopf und stöhnte nochmals auf, während es schwarz vor seinen Augen wurde. Dennoch zuckte sein Oberkörper reflexartig ein letztes Mal in die Höhe. Mavis war jedoch sofort bei ihm und schickte ihn mit zwei blitzschnellen, ultraharten Faustschlägen endgültig ins Reich der Träume.
„Bin ich froh, dass ich nicht dein Feind bin!“ Das war Vilo, der jetzt ebenfalls im Gang erschien.
Mavis brummte nur kurz freudlos. „Ist hinten alles klar?“
Vilo nickte. „Wir können das Cockpit stürmen!“
Jetzt nickte Mavis, doch bevor er sich umdrehte, meinte er noch. „Wer sagt dir eigentlich, dass ich dein Freund bin?“ Er blickte sein Gegenüber ausdruckslos an, dann aber musste er kurz grinsen, bevor er sich auf den Weg ins Cockpit machte.
„Blödmann!“ erwiderte Vilo mit einem säuerlichen Lächeln und Kopfschütteln. „Wenn das alles hier jemals vorbei ist, will ich einen Ringkampf. Zwölf Runden!“
Mavis blieb unvermittelt stehen, drehte sich um und grinste. „Und nur der Mama-Schrei beendet ihn!“
Vilo nickte sofort.
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