Wenn sie den Himmel nicht beständig nach Bewegung abgesucht hätten, wäre es gut möglich gewesen, dass sie es tatsächlich übersehen hätten. Doch einem erfahrenen Fuchs wie Tibak entging es natürlich nicht.
Ihr Verhaltensmuster, das sie jetzt an den Tag legen würden, hatten sie zuvor verabredet: Mavis, Vilo, Cosco, Tibak und Dek hielten sich weiterhin am Ufer des Mioli, eine Armlänge von dichtem Buschwerk entfernt. Es sollte so aussehen, als würden sie den Weg nach Westen schnell hinter sich bringen wollen, ohne auf eine notwendige Deckung verzichten zu müssen, wenn der Feind anrückte. Das heranrauschende Flugboot sahen sie natürlich nicht, dafür aber waren sie gut - jedoch nicht zu gut - zu erkennen. Ebenso natürlich konnte die Maschine ihre Existenz mit dem Überflug nicht mehr geheim halten. Mavis und die anderen taten daher mächtig überrascht und verschwanden dann nervös im Buschwerk. Dies konnte ihnen für Angreifer am Boden wirklich guten Sichtschutz bieten, nicht aber bei einer gleichzeitigen Beobachtung aus der Luft.
Ziel war es, das das Flugboot landete, ein für fünf Personen ausreichender Trupp den Bodenangriff übernahm und auf sie zustürmte, während sich das Flugboot wieder in die Lüfte erhob, um den Männern am Boden ihre Position durchzugeben. So in die Zange genommen, würden sie nicht lange durchhalten – zumal sie auch kaum noch eigene Waffen und Munition hatten – und der Trupp konnte sie überwältigen .
Um sie aber an Bord zu holen und nach Kimuri zu bringen, musste das Flugboot wieder landen. Und da kamen Leira, Admiral Lobos und seine Leute ins Spiel…
Mavis hatte, wie alle anderen auch, im dichten Buschwerk Schutz gesucht. Aus einer Entfernung von rund dreißig Metern konnte er sehr gut sehen, wie sich die Heckklappe des Flugbootes öffnete und etwa ein Dutzend Männer in Schutzwesten, Helmen und mit Maschinengewehren hinausstürmten. Kaum hatten sie den Boden berührt und ihre Waffen in den Anschlag gebracht, hob die Maschine bereits wieder ab, drehte in ihre Richtung und donnerte knapp über dem Boden über sie hinweg.
Der Pilot ist wirklich gut! dachte Mavis. So schützt er seine Leute vor unseren Kugeln!
Dennoch feuerten er und die anderen ein paarmal in ihre Richtung, jedoch immer so, dass sie niemanden verletzten.
Der feindliche Trupp trennte sich in zwei Sechser-Gruppen und kam von zwei Seiten auf sie zu, während das Flugboot über ihnen kreiste.
Mavis und die anderen taten dann, als würden sie flüchten wollen, rannten dabei auf weitaus freieres Gelände, ohne jedoch den Busch komplett zu verlassen und damit dem einen Trupp quasi direkt in die Arme. Erschrocken drehten sie um, mussten aber erkennen, dass der andere Trupp von der anderen Seite herankam. Somit hatten sie keine Chance mehr zur Flucht und daher ließen sie ihre Waffen fallen, hoben ihre Hände in die Höhe und ergaben sich vorschriftsmäßig.
„Auf die Knie!“ brüllte einer der beiden Gruppenführer, während alle anderen mit vorgehaltener Waffe von beiden Seiten auf sie zukamen.
Mavis und die anderen taten, was verlangt wurde. Das Flugboot über ihnen drehte ab und es war zu hören, dass es wieder zur Landung ansetzte.
„Hände auf den Rücken!“
Auch das taten sie. Um sie zu fesseln ließen vier der Männer ihre Waffen sinken. Die anderen acht Personen wurden mit jeder Sekunde ruhiger, entspannter – aber auch weniger wachsam.
Das sollte ihr Fehler sein.
Was dauert denn da noch so lange?
Lieutenant Yunok stand schräg hinter dem Pilotensessel und schaute hinaus auf das vor ihnen liegende Buschwerk hinter dem das Wasser des Mioli in der Abendsonne schimmerte.
Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass seine Leute längst mit ihren Gefangenen auf den Rückweg waren, doch noch war niemand zu sehen. Er spürte, dass er ungeduldig wurde. Um sich abzulenken, warf er einen Blick auf den Radarschirm. Wie er bereits wusste, waren zwei feindliche Fliegerstaffeln auf dem Weg zu ihnen. Ihre Entfernung betrug rund siebzig Meilen, sie waren also noch etwa fünf Flugminuten von ihnen entfernt. Der Rüssel einer widerwärtigen Anomalie lag weitere einhundert Meilen südlich von ihnen, stellte demnach ebenso keine Gefahr für sie dar. Und Insektenbestien konnte er im Moment gar keine ausmachen. Die Voraussetzungen für eine in allen Teilen gelungene und erfolgreiche Mission waren also mehr als gegeben – wenn jetzt endlich seine Leute erscheinen und sie wieder von hier verschwinden konnten.
„Machen sie eine Infrarotabtastung von dem Gelände!“ sagte er mit ernster Miene zu dem Copiloten. Seine Geduld war am Ende. Er konnte nicht einfach nur dastehen und warten, er musste handeln.
Der Sergeant sah ihn zwar mit großen, verwunderten Augen an, doch nickte er und gab einige Befehle in das Terminal ein. Bevor er jedoch damit fertig war, war Bewegung im Buschwerk zu sehen.
Yunok sog hörbar die Luft ein. Der Copilot schaute instinktiv nach vorn und stoppte seine Eingabe. Im nächsten Moment aber entspannte sich der Lieutenant schon wieder. „Vergessen sie das mit der Abtastung!“ sagte er zufrieden und das war er auch, denn er konnte seine zwölf Männer sehen, wie sie fünf Gefangene zum Schiff eskortierten. Einer von ihnen war offensichtlich bewusstlos. Zwei Soldaten hatten ihn an je einer Schulter gepackt und schleiften ihn mit dem Gesicht nach unten zwischen sich mit. Hoffentlich war der Kerl nicht tot. Er wollte dem Captain keine Leichen bringen müssen. Doch eine innere Stimme sagte ihm, dass er beruhigt sein konnte. „Drehen sie das Schiff!“ befahl er dem Piloten. „Öffnen sie die hintere Ladeluke und schaffen sie die Männer rein!“ Während der Pilot das Flugboot mit einem kurzen Schub auf die Vertikaltriebwerke wieder von Boden hievte, um es sofort danach auf der Stelle um hundertachtzig Grad zu drehen, wartete Yunok, bis der Copilot nickte, dann sagte er wieder an den Piloten gewandt. „Sobald sie drin sind, starten sie unverzüglich!“
„Aye Sir!“ gab der Mann zurück.
„Ich bin im Laderaum!“ Yunok drehte sich um und ging.
In dem Moment, da er den Laderaum betrat, spürte er, dass das Schiff wieder den Boden berührte. Die Ladeluke war zu diesem Zeitpunkt schon zu mehr als der Hälfte geöffnet und senkte sich im nächsten Moment komplett herab.
Der Trupp mit seinen Gefangenen war noch rund zehn Meter entfernt. Yunok hatte ein paar Schritte in den Laderaum hineingemacht, doch jetzt blieb er stehen, um das Geschehen zufrieden und gelassen aus dem Hintergrund zu verfolgen. Dabei fiel ihm auf, dass seine Leute sich in Zweiergruppen näherten. Das sah irgendwie merkwürdig geordnet aus, immer einer schräg hinter einem anderen. Und wenn er jetzt genauer hinsah, erkannte er auch, dass einige Uniformen irgendwie nicht zu passen schienen. Unwillkürlich löste er seine vor der Brust verschränkten Arme und gab seine lockere Haltung auf. Irgendetwas stimmte hier nicht!
Doch bevor seine inneren Alarmsirenen zu schrillen begannen, sah er im Buschwerk hinter seinen Männern einen kurzen, grellen Blitz aufflammen und schon einen Lidschlag später krachte eine Granate knapp hinter der Ladeluke in den Boden. Eine Fontäne in einer Mischung aus Sand, Gesteinsbrocken, Flammen und Rauch zuckte in die Höhe und schwappte über die Umgebung. Sand und Steine prasselten auf die Laderampe, gegen die Außenhülle. Der Explosionsdonner rauschte in das Innere des Schiffes und erzeugte dort ein brüllendes Echo.
Sofort brach Hektik aus, da nicht klar war, wer geschossen hatte. Beim ersten Überflug hatten sie fünf Personen ausgemacht. Yunok hatte fünf Gefangene gezählt. Oder war ihr Anflug doch bemerkt worden und es hatte sich Jemand rechtzeitig verstecken können? Oder war gar der Feind in der Nähe? Doch wo waren dann die Fliegerstaffeln? Der Lieutenant war noch niemals nur feindlichen Bodentruppen begegnet, außer bei den Insektenbestien. Immer hatte es Luftunterstützung gegeben. Yunok stand vor einem Rätsel.
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