1 ...6 7 8 10 11 12 ...28 Am Ende des Umbaus hatte ich genug Material für über dreißig Filme von verschiedener Länge. Die Renovierung des Badezimmers bekam dabei am meisten Klicks. Ich bestellte ein gutes Mikrofon und professionelle Filmbearbeitungssoftware, denn die Kommentarspalte floss über vor Fragen. Wir lernten daraus. Am Wochenende abends, wenn wir uns beide etwas erholt hatten, machten wir das Voice-over für den Film, an dem ich gerade arbeitete.
Das Schneiden nahm viel Zeit in Anspruch, und die Filme wurden nur im Schneckentempo fertig. Aber die Klickzahlen stiegen und immer mehr Leute abonnierten meinen Kanal Silkes Home Sweet Home .
Das Geheimnis unseres Erfolgs war wohl, dass wir jede Frage beantworteten. Florian war Tischlermeister und ein Allrounder, was das Heimwerken betraf. Er half jedem. Auch das nahm viel Zeit in Anspruch, aber jeder bekam einen guten Rat von ihm. Das sprach sich herum.
Auch zeigten wir alle Arbeitsschritte. Das Verlegen des Fußbodens erklärte Florian geduldig Schritt für Schritt. Jeder Handgriff wurde gezeigt und noch einmal genau erläutert. Wer ganz spezielle Fragen hatte, konnte ihn auch per Videochat kontaktieren und bekam freundlichen und geduldigen Rat.
Die Anzahl Abonnenten, die YouTube für die Monetarisierung verlangte, bekamen wir im Nu zusammen. Als nun Werbevideos eingeblendet wurden, wandten sich einige enttäuscht von uns ab. Aber wir investierten inzwischen viel Zeit in unseren Kanal und auch das Equipment kostete Geld. Nicht zu vergessen das ermüdende Schneiden und Aufspielen lizenzfreier Musik.
Nach Feierabend saß ich manchmal bis ein Uhr nachts vor dem PC und schnitt an den Videos herum. Manchmal war es dem Computer zu viel und er stürzte mittendrin ab. Wer behauptete, mit Videos Geld zu verdienen wäre leicht, der hätte dabei sein müssen. Ich erinnerte mich gut daran, wie ich einmal nachts um Viertel nach zwölf vor dem eingefrorenen Bildschirm saß, und heulte wie ein Schlosshund.
„Du hast noch nichts gegessen und musst jetzt dringend schlafen“, hatte Florian mitleidig gesagt und von hinten die Arme um mich gelegt.
Es war nicht das erste oder einzige Mal.
Aber dann kam die erste Überweisung der Werbeeinnahmen auf unser Konto, und die Arbeit machte wieder Spaß. Als unser Haus fertig war und wir sechsundvierzig Videos zum Thema Entkernen, Ausbauen, Renovieren hatten – das kürzeste fünf Minuten, das längste eine Stunde lang - wechselte ich zu Putz- Bastel- Dekorations- und Organisierungsvideos.
Als ich sah, dass diese genauso erfolgreich waren – vielleicht sogar noch erfolgreicher – kündigte ich bei Jens und machte die Videos hauptberuflich.
Florian freute sich, denn ich war wieder munterer und weniger gestresst, ich freute mich, weil ich endlich wieder ausgeschlafen war, und das Finanzamt freute sich auch, denn ich hatte natürlich ein Gewerbe angemeldet.
Noch begeisterter war ich, als der erste Hightech-Staubsauger ins Haus trudelte, den ich ausprobieren sollte und behalten durfte. Andere Firmen schickten spezielle Putztücher oder Reinigungsmittel und sponserten meine Videos.
Inzwischen war auch noch die Sparte Rezepte und Kochen hinzugekommen, denn ich besaß nun einen Slowcooker, auch Crockpot genannt und kochte vor der Kamera einfache und wohlschmeckende Eigenkreationen. Der Slowcooker wurde sowieso immer beliebter und die Videos bekamen viele Klicks.
Das Geld rollte so herein, dass Florian seinen Vollzeitjob in der Tischlerei zunächst auf einen 450-Euro-Job herunterschraubte und schließlich ganz kündigte. Er fuhr nun den ganzen Tag im Umkreis von zweihundert Kilometern umher und sammelte alte Möbelstücke ein, die er im Internet oder in der Zeitung fand. Er reparierte sie, schliff sie ab und lackierte sie neu. Oft genug hatte ich Ideen, wie man ein langweiliges Schränkchen aufmotzen konnte. Unser letztes Projekt, das ich natürlich auch mit der Kamera begleitet hatte, waren zwei alte Nachttischchen gewesen. Das Holz war noch völlig in Schuss.
Florian wechselte lediglich die Bänder in den Schubladen und schliff die Farbe ab, mehrere Schichten scheußlich-schönes Gelb. Dann kam ich ins Spiel. Ich ersetzte die schlichten Metallknäufe durch blaue zwiebelförmige Porzellanknöpfe und strich die Schränkchen mit weißer Kreidefarbe.
Die Platte wurde genauso blau wie die Porzellanknöpfe. Innen hatte ich Klebefolie angebracht. Sie war weiß, durchzogen von dunkelblauen Schnörkeln.
Das Endergebnis war so überwältigend, dass wir die Nachttischchen am liebsten selbst behalten hätten. Aber „Geschäft ist Geschäft, und Schnaps ist Schnaps“, pflegte Florian zu sagen. Das Video der „Transformation“ der Tische hatten wir hochgeladen. Es war wie immer im Zeitraffer, sonst wurde es dem Zuschauer zu langweilig. Am Ende erwähnte ich, dass wir die Tischchen verkauften.
Es stritten sich dreizehn Zuschauer darum. Daher bekam der Meistbietende den Zuschlag. Samstag wurden sie abgeholt.
Bis zu unserem nächsten Projekt hielt ich unsere Zuschauer mit dem Organisationsvideo von Florians Schublade bei Laune. Viel war es nicht, es würden kaum zehn Minuten dabei herauskommen. Dann putzte ich das Bad noch mit einem umweltfreundlichen Reiniger, der gestern per Post gekommen war.
Was das Putzen betraf, wurde es langsam eng. Daher beschloss ich, Ruth noch einmal auf den Sack zu gehen.
„Eberharth“, erklang die Stimme meiner Freundin.
„Hi, Ruth. Ist die Rufnummer nicht angezeigt worden?“
„Oh, Silke, hi! Nee, leider nicht. Komisch.“
„Eigentlich nicht. Flori deaktiviert sie manchmal.“
„Gehen euch eure Abonnenten wieder auf die Nerven?“
„Es muss ja transparent sein. Und die Nummer am Ende der Videos ist nur eine Handynummer. Flori ist da übervorsichtig. Ich glaube kaum, dass es schlimm wäre, wenn jemand unsere Festnetznummer hätte.“
„Transparent?“, fragte Ruth zweifelnd.
„Na ja, wer uns finden will, schafft das innerhalb weniger Minuten. So ist das eben, wenn man ein Gewerbe hat und sich in Videos der ganzen Welt zeigt.“
„Oh weh.“
„Nix oh weh. Bisher ist noch nie etwas passiert. Samstag kommen die Tische weg, und der Käufer kennt unsere Adresse. Na und? Der mit dem Tisch hat sich danach auch nie mehr gemeldet.“
„Trotzdem, ich finde das unschön.“
„Ist dein gutes Recht. Wie geht`s euch denn?“
„Och, der alte Trott. Jens ist unten, nahe Düsseldorf. Brandneue Heizungsanlage einbauen. Hat sich spontan ergeben.“
„Das ist doch gut!“ Ich streckte mich auf der Couch aus.
„Na ja schon, aber er arbeitet zu viel, denke ich. Wenn er mehrere Tage bleiben muss ...“
„Das hat Flori auch früher oft mitgemacht. Beim letzten Mal ist er mit seinem Chef nach München gegurkt, Montage in einem Restaurant. Da angekommen stellte sich raus, dass der Fußboden noch gar nicht drinnen war und sich das Ganze um mindestens vier Wochen verschiebt. Die Maler waren auch sauer. Stell dir vor, du mietest einen Lkw, kommst da an mit zwei Mitarbeitern, willst die Elemente einbauen, und dann ist noch nicht mal der Fußboden drin. Und keiner sagt dir Bescheid. Mann, war der sauer. Als der Auftrag endlich erledigt war, hat Flori gekündigt.“
„Deswegen?“
„Nein, wollte er schon früher. Aber er wollte seinen Chef nicht hängenlassen. Eigentlich war er nur auf 450-Euro-Basis beschäftigt, der Einbau war da schon weit drüber. ‚Ich komme mit dahin und baue ein und bleibe über Nacht, aber dann sind meine Stunden für diesen Monat voll‘, hat Flori gesagt. Der Chef guckte ganz doof. Ich bin froh, dass er da weg ist. Der hätte Flori Überstunden kloppen lassen, bis er ins Grab sinkt.“
„Ja, deswegen mache ich mir auch Sorgen wegen Jens. Aber kürzertreten will er nicht.“
„Du verdienst doch auch gut? Könnte er dann nicht eigentlich weniger arbeiten? Und Montagen so weit weg ablehnen?“
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