„Schon“, gab ich zu, „aber es ist eine Sache, kein Baby zu wollen und eine andere, keins haben zu können.“
„Wahrscheinlich“, stimmte er zögerlich zu. „Für euch Frauen ist das bestimmt schwierig.“
„Ja, na sicher. Ihr könnt bis ins hohe Alter zeugen, und wir...“
„Okay, aber ich würde mit meinen Kindern auch gerne etwas unternehmen oder Fußballspielen können. Mit siebzig muss ich das nicht mehr haben. Und einen Teenager mit all seinen oder ihren Ansprüchen an das modernste Smartphone und Spielkonsolen, Markenklamotten ... das kann ich von meiner Rente mit Sicherheit nicht stemmen.“
„Damit wären wir ja noch vor der Rente fertig, und wir verdienen doch jetzt gutes Geld ... ja, ich weiß ja ... wir waren uns ja auch im Grunde einig. Aber ich dachte, ich hätte noch Zeit.“
Er küsste mich auf die Stirn.
„Das Leben verläuft nie so, wie wir es gerne hätten. Wir machen das Beste daraus. In ein paar Jahren geht`s dir wieder richtig gut, wahrscheinlich bin ich dann voll in der Midlife Crisis und brauche dann ganz viel Geduld und Verständnis von dir. Wer weiß, vielleicht fängt das bei mir ja auch früher an.“
„Das fehlte noch. Sportwagen und junge Frau, oh weia.“
„Das ist doch ein Klischee“, lachte er. Er sah so unbeschwert aus, wenn er lachte.
„Na, ich weiß nicht. Wahrscheinlich fühlst du dich dann geschmeichelt, wenn solche Weiber wie die Drachenlady dich anbaggern.“
„Ach wo, mit so oberflächlichen, leeren Schönheiten kann ich nichts anfangen.“
„So, du findest sie also doch schön!“
„Na, da habe ich ja wieder was gesagt“, stöhnte er und ließ mich los.
„Wird wohl stimmen!“, fauchte ich.
„Auf einem rein körperlichen Level ist sie hübsch. Aber sie ist eben oberflächlich, leer und unverschämt. Was soll ich damit?“
„Na, irgendetwas wird dir schon einfallen, was du mit ihr machen könntest.“
„Ich bin aber keiner, der mit einer rein körperlichen Beziehung zufrieden wäre. Das weißt du.“
„Ja ...“
Aber was passierte, wenn eine schöne Frau mit gutem Charakter auftauchte?
„Komm, lass uns lieber über den Schrank reden“, lenkte er ab. „Welche Farbe?“
„Türkis.“
„Türkis?“
„Passt wunderbar zu den Wänden, du wirst schon sehen.“
„Hm ... na gut, könnte sein. Wie weit bis du mit dem Badezimmer-Video?“
„Muss ich noch schneiden.“
„Okay. Dann mach das doch, und ich fahre mit der Farbkarte in den Baumarkt. Dann kann ich heute Nachmittag schon mit dem Lackieren anfangen und das auch filmen.“
„Ja, in Ordnung.“
Er wuschelte mir noch durchs Haar und machte sich auf den Weg. Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen hinterher. Es war ja nicht so, dass meine Eifersucht völlig unbegründet war. Da war der Besuch im Puff mit Sven zum einen, aber da waren wir ja noch nicht zusammen gewesen. Zum anderen war da noch Assen.
Florian war mit Sven und einem Haufen anderer nach Assen in Holland gefahren, um sich das Motorradrennen anzusehen. Ich hatte gerade in diesem Jahr nicht mitfahren können, weil ich noch die Buchhaltung für Jens machte und absolut nicht fertig geworden war. Sich für vier Tage verdrücken – es wäre einfach nicht gegangen.
Also fuhr der fröhliche Trupp alleine los und besoff sich wie immer heftig. Wie ich später erfuhr, betrank sich eine Motorradgang ein paar Meter weiter ebenfalls. Nachts, als Florian und Sven im Zelt lagen, verlor eine ziemlich angeschickerte Motorradbraut die Orientierung. Der festen Meinung, sich vor ihrem Zelt zu befinden, zog sie sich völlig nackt aus und kroch hinein. Flori wurde halb wach, weil „Sven“ ihn fast von der Luftmatratze drängte und sich grunzend umher wälzte. Schlaftrunken brummte Flori: „Gib Ruhe, Mann“ und versetzte dem bloßen Gesäß einen Schlag mit der flachen Hand, dass es nur so klatschte.
„Sven“ gab ein erschrockenes Quieken von sich und lag endlich still. So schliefen die drei friedlich bis zum Morgen.
Der echte Sven erwachte zuerst, sah die nackten Tatsachen und verdrückte sich schnell aus dem Zelt. Florian wurde kurz darauf ebenfalls wach, erblickte entsetzt den schnarchenden Haufen Fleisch und kroch vorsichtig nach draußen.
Sven hatte den anderen noch nichts erzählt, immerhin würde er nie seinen besten Kumpel verpfeifen. Deshalb machten alle große Augen, als sich während des Frühstücks das Zelt öffnete, eine nackte, über und über tätowierte Rockerbraut herausschlüpfte, ihre Klamotten überwarf und wortlos zu ihrer Gang herüber wankte.
Es dauerte eine volle Minute, bis alle in Gelächter ausbrachen und sich die Geschichte aufklärte. Natürlich wurden Sven und Florian damit ständig aufgezogen, bis heute.
Später traf Flori einen der Rocker im Bierzelt.
„Letzte Nacht hat sich eine von euren Perlen in unser Zelt verirrt“, grinste er. Der Rocker blieb unbeeindruckt.
„Und, war sie gut?“, war alles, was er dazu zu sagen hatte.
Seitdem war diese Geschichte Kult. Sie wurde im Freundeskreis immer wieder erzählt, meistens mit dem Nachsatz: „Was in Assen passiert, bleibt in Assen.“ Und dann wurde ich angegrinst. Ich grinste zurück, aber ...
War da wirklich nichts passiert? Immerhin waren Sven und Florian betrunken gewesen.
Und vielleicht fanden sie so eine Episode nicht schlimm. Sven jedenfalls hätte sicher nichts dabei gefunden, wenn mehr passiert wäre. Dafür kannte ich ihn.
Ein ungutes Gefühl blieb jedes Mal, wenn ich daran dachte.
Nach einer unvergesslichen Nacht voller Leidenschaft wachte ich am nächsten Morgen neben Gabriel auf. Es war also doch kein Traum gewesen! Da lag er, die Decke um sich gewickelt und schnarchte.
Seine Schwester fiel mir wieder ein. Arme Nicole. Dass sie seine Schwester war, daran bestand kein Zweifel mehr. Ich hatte Gabriels Zehennägel gesehen. Sie sahen fast aus wie Krallen, so gebogen und gelblich. Keine Frau würde ihren Mann so dermaßen ungepflegt aus dem Haus lassen. Und er war vielleicht nicht mehr biegsam genug, sich seine Nägel selbst zu schneiden.
Erstaunlich, dass er trotz allem noch so potent war. Aber er trieb ja Sport. Je oller, je doller, sprach meine Oma in meinem Kopf. Da hatte sie wohl recht.
Verschlafen drehte er sich zu mir um und lächelte. Ich überlegte, was uns geweckt haben könnte. Da, da war es wieder: Das Telefon klingelte. Ich wälzte mich aus dem Bett und taperte ins Wohnzimmer.
„Hallo?“
„Hi, Lisa! Schläfst du etwa noch?“
„Ruth?“
„Ja. Ich warte seit einer halben Stunde auf dich. Wie mir scheint, wird das mit dem Frühstück nichts mehr, oder?“
„Oh Gott! Ruth, dich habe ich total vergessen!“
„Wie kommt`s? So was kenne ich von dir nicht, Lisa.“ Ihre Stimme war recht kühl. Ich schluckte.
„Also ... das wirst du nicht glauben“, wisperte ich in den Hörer, „aber gestern klingelte es an der Tür, und...“
„Gabriel?“
„Ja! Er hatte wahnsinnig viel Stress, und dann kam er zu mir, aber da wohnte keiner mehr, und dann fuhr er zum Einwohnermeldeamt...“
„Alles gestern?“
„Ja!“
„Wann ist er denn bei dir aufgeschlagen?“
„Na, nachmittags, ich war gerade zuhause, da...“
„Hat das Einwohnermeldeamt nicht ab Mittag schon zu?“
„Nein, freitags ist es bis drei Uhr offen.“
„Hm.“
„Ruth, sorry, wirklich. Ich bin seitdem im Ausnahmezustand...“
„Ja. Das kann ich zwar verstehen, aber ich befürchte, der verarscht dich doch nur wieder.“
„Nein! Diese Frau ist seine Schwester!“, raunte ich ins Telefon.
„Seine Schwester? Och, komm schon!“
„Nein, wirklich!“
„Ich fürchte, dir ist nicht mehr zu helfen, Lisa. Ruf mich an, sobald er weg ist. Wie ich ihn kenne, dürfte das in einer oder zwei Stunden sein. Dann geht`s ab, heim zu seiner ‚Schwester‘.“ Sie legte einfach auf. Puh. Ruth war heute aber merkwürdig drauf. Ich dachte, sie würde sich über die guten Nachrichten freuen.
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