„Na, deiner aber auch.“
„Schon, aber deiner hält sich einfach nebenher einen Harem und kommt dann zu dir nach Hause und spielt den guten Ehemann. Das ist doch widerlich.“
„Das schon. Aber deiner spielt in seiner Fantasie auch mit anderen rum.“
„Er tut aber nicht so, als wäre alles in Butter. Na ja, im Grunde ist für beide Männer alles in Butter. Die in den Arsch Gekniffenen sind doch wir.“
„Ja. Das stimmt.“
Ich brachte den Pappkarton und Marens Plastikbehälter in die Küche. Aufräumen konnte ich auch morgen noch.
Oder irgendwann.
Maren: Erinnerungen an N.Y.
Als ich um kurz nach halb zehn nach Hause kam, war Tim wie immer im Keller. Ich erwog, mich noch eine halbe Stunde vor den Fernseher zu setzen, aber darauf hatte ich gar keine Lust.
Mein Blick fiel auf einen großen, gepolsterten Umschlag auf dem Tisch. Er war offen. Es stand zwar Amelies Name darauf, aber wenn sie Sachen auf den Wohnzimmertisch legte, dann durfte sie jeder ansehen. Wahrscheinlich hatte sie etwas für mich oder uns bestellt. Das machte sie häufiger.
„Das Internet macht vieles einfacher“, sagte sie dann, und meistens hatte sie gut gewählt. Es waren drei dünne Bücher darin. Neugierig sah ich mir die Deckel an: Fotobücher! Ich liebte es, Fotoalben durchzublättern. Aber die lagen jetzt auf dem Dachboden, komplett durchorganisiert. Anscheinend war Amelie mal wieder sehr feinfühlig gewesen und hatte die alten Bilder abfotografiert.
Eines der Bücher war von ihrem letzten Ausflug mit ihren Freundinnen, das legte ich erst einmal beiseite. Das sollte ich vielleicht gar nicht sehen. Aber die anderen beiden bestimmt: Das eine war voll mit Bildern von Tims und meiner Hochzeit. Auch das legte ich – mit gemischten Gefühlen, da Jörg mir im Hinterkopf saß – beiseite. Aber das Dritte ...
Es waren die Fotos, die wir in den Neunzigern in New York gemacht hatten. Diese Reise hatten wir uns zusammengespart. Da der Dollar damals sehr niedrig stand, hatten unsere Eltern den Rest übernommen.
„Jetzt oder nie“, hatten sie gesagt. Wir hatten unsere Ausbildungen abgeschlossen und eine Belohnung verdient. Wie jung wir gewesen waren!
Ich schlug das Buch auf. Sofort stürzten Erinnerungen auf mich ein: Wir waren morgens um vier aufgestanden und zum Bahnhof gebracht worden. Mein müder Vater hatte das getan.
Im Zug hatten wir abwechselnd Wache gehalten, damit wir den Bahnhof in Düsseldorf nicht verschliefen. Dann, am Schalter unserer Fluggesellschaft, hatte das Bodenpersonal keine rechte Lust, jedenfalls bewegten sich die Angestellten im Zeitlupentempo. Die Schlange wurde immer länger und wir immer nervöser. Als wir dann endlich drankamen und die Dame unsere Daten in den PC hämmerte, sagte sie: „Tun Sie mir einen Gefallen. Laufen Sie!“
Sie drückte uns unsere Bordkarten in die Hand und scheuchte uns quer über den Flughafen. Am Gate angelangt bekamen wir gerade so den Flug – allerdings den Nächsten. Den Ursprünglichen hatten wir verpasst.
Dafür hatten wir Glück im Unglück, denn es waren nur noch zwei Plätze in der Businessclass frei: Breite Ledersitze und Stewardessen, die uns strahlend jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Wir bekamen Steaks auf echtem Porzellan, kein Plastikgeschirr und berauschten uns an den freien Getränken und Schälchen mit Nüssen.
Spätabends, fast nachts kamen wir völlig erschöpft in Newark an und wurden vom Transferbus in die Innenstadt von New York verfrachtet. Ich sah die berühmte Skyline bei Nacht, die erleuchteten Hochhäuser und das World Trade Center, damals noch mit beiden Türmen. Ein unvergesslicher Anblick.
Im Hotel übergab uns ein gelangweilt wirkender Angestellter unseren Schlüssel. Auf dem Gang unseres Zimmers entdeckten wir einen Getränkeautomaten. Völlig fertig bat Tim mich, ihm eine Cola mitzubringen, und zog unsere Koffer ins Zimmer. Ich besiegelte derweil die ewige Feindschaft mit diesem Automaten, denn der nahm Dollarscheine – und spuckte jeden sofort mit einem pikierten „Bzzz“ wieder aus.
Genauso wie die Amerikaner, die ich in den nächsten Tagen dabei beobachten sollte, strich ich den Schein glatt, redete beruhigend und freundlich auf den Apparat ein und schob gar zärtlich den Schein in den Schlitz.
„Bitte, bitte, bitte, lieber guter Automat, wir haben solchen Durst, wir sind seit Stunden unterwegs, bitte...!“
„Bzzzz.“
„Du blödes Scheißding!“
„Bzzzz!“
„Dämlicher Kackautomat!“
„Bzzzz!“
„Ach, komm schon!“
„Bzzzz.“
„Menno!“
„Flupp.“
Da endlich, ohne erkennbaren Grund – es war ja der gleiche Dollarschein – schluckte der Automat, nachdem er seinen Spaß mit mir gehabt hatte, meinen Schein und spie dafür laut rumpelnd eine Dose Cola aus.
Als ich in unser Zimmer kam, stand Tim am Fenster und starrte in die Tiefe. Er hatte den oberen Teil mit einem Hebel geöffnet, und nun drangen das Gehupe, die Sirenen und das Gebrüll der Angestellten der Tiefgarage, die sich unter uns befand, zu uns herauf.
New York schlief tatsächlich niemals.
„Dabei sollen wir schlafen?“, flüsterte ich entsetzt und reichte ihm seine Cola.
„Nein, das geht nicht. Aber die Luft hier drinnen ist schrecklich, und wenn man die Klimaanlage anmacht, kommt die gleiche verbrauchte, muffige Luft heraus, die man im Zimmer schon hat. Nur gekühlt. Wir lassen das jetzt offen, bis wir geduscht haben, und dann machen wir es wieder zu.“
„Einverstanden. Ob das überhaupt schon mal jemand geöffnet hat?“, fragte ich zweifelnd.
„Bestimmt nicht. Der Hebel ließ sich kaum bewegen und quietscht furchtbar.“ Dankbar nahm er seine Dose, öffnete sie und trank sie in fast einem Zug leer.
Er duschte als Erster und kam schnatternd zurück.
„Ruf mal an der Rezeption an. Da kommt nur kaltes Wasser raus.“
Ich wollte zum Telefon greifen, aber eine Idee hielt mich zurück.
„Lass mich mal.“ Er folgte mir murrend ins Bad, zweifelte ich doch die Diagnose eines frischgebackenen Mechanikers an. Ich drehte den Hebel der Dusche nach rechts. Wasser strömte aus dem Duschkopf. Kaltes Wasser.
„Siehst du? Ruf an, es sei denn, du willst auch kalt duschen. So wie ich. Ein ganzer Kerl.“
Ich bewegte den Hebel ein Stück zurück nach links. Das Wasser wurde wärmer. Ich lächelte. Tim schmollte.
„So ein dämliches Prinzip!“ Fröstelnd verließ er das Bad und ich duschte lang und warm mit den herrlich duftenden Shampoos und Duschgelen des Hotels.
Irgendwann morgens gegen halb zehn Ortszeit wachte ich auf und sah zu der großen Fensterfront. Wir lagen unter den Schichten aus Laken und etwas, das wie eine Tagesdecke aussah, aber wohl die Bettdecke war. Wie ich so zum Fenster sah, erschrak ich, denn das nächste Gebäude war nur wenige Meter von unserem entfernt. Es war ein Bürogebäude, in dem nun Menschen an Computern saßen und durch die Gegend liefen.
Es war so nahe, dass man wirklich alles gut erkennen konnte. Und unsere Fenster hatten weder Jalousien noch Vorhänge. Wie lange hatten uns die Angestellten da drüben wohl beim Schlafen beobachtet?
Beide hüllten wir uns in Laken und zogen uns im Bad an, denn so exhibitionistisch pflegten wir sonst nicht zu leben.
New York machten wir tagsüber zu Fuß unsicher. Vor allem an den Fußgängerampeln waren wir als Deutsche sofort erkennbar.
Denn wir blieben als einzige stehen, wenn sie „Don`t walk“ anzeigte. Keinem New Yorker wäre es eingefallen, sich von einer Fußgängerampel etwas sagen zu lassen. Sie betraten einfach die Fahrbahn und auch angehupt zu werden, war ihnen völlig gleichgültig.
Gleichgültigkeit wurde hier großgeschrieben. Niemand sah einem anderen ins Gesicht. Es sah sich auch niemand neugierig um, als mitten im Gewühl jemand anfing, eine religiöse Hymne zu singen. Die Gesichter waren abweisend und alle hasteten durch die Gegend. Uniformierte sammelten jeden Zigarettenstummel vom Bürgersteig und alle paar Meter stand ein Baum. So sauber und grün hatte ich mir die Stadt nicht vorgestellt. Dann bogen wir rechts ab und standen auf einmal in einem schmutzigen Slum mit löchrigen Gehwegen und verfallenen Gebäuden.
Читать дальше