„Das müssen wir dann sehen. Eventuell müsste ich dann einen Kredit aufnehmen und dich auszahlen.“
Ich glotzte ihn dümmlich an.
„Du planst das also schon länger?“
„Ich habe überhaupt nichts geplant. Ich habe nur nachgedacht, wie wir das machen könnten. Ich war ja auch noch gar nicht sicher, ob wir das nicht vielleicht doch wieder hinkriegen könnten. Aber ich habe festgestellt, dass da bei mir einfach nichts mehr ist. Und da habe ich mal etwas nachgeschaut, was im Falle einer Trennung zu beachten wäre.“
„Wie lange geht das schon? Dass du das gemerkt und dich innerlich verabschiedet hast?“
Er überlegte. Er überlegte recht lang, fand ich.
„Ich denke, schon seit mindestens zwei Jahren. Ja, ich hätte etwas sagen müssen. Aber ich war mir ja noch nicht im Klaren darüber, wie sich das entwickeln würde. Ich wollte die Pferde nicht scheu machen.“
„Hättest du denn überhaupt etwas gesagt, wenn ich jetzt nicht nachgefragt hätte?“
„Irgendwann schon.“
„Aha. Toll.“
„Tut mir leid, Maren. Es war weder geplant noch absichtlich. Es ist einfach passiert.“
„So was passiert nicht einfach so! Da muss man sich vorher schon vernachlässigt haben!“
„Das haben wir. Beide. Wir haben beide viel und lange gearbeitet, da ist vieles auf der Strecke geblieben.“
„Das tun andere auch und lassen sich trotzdem nicht scheiden!“
„Viele lassen sich scheiden. Und das Auseinanderleben durch den Alltag ist mit Sicherheit der Hauptgrund.“
„Der Hauptgrund ist wohl eher Fremdverlieben. Ist da was?“, forschte ich und sah ihm direkt in die Augen.
„Nein“, erwiderte er, „aber ich fange an, mich umzuschauen.“
Das war ein weiterer Schlag in die Magengrube.
„Ich komme mir vor wie im falschen Film! Du trägst das so mit dir herum, schon seit Jahren, und jetzt...“
„Du tust so, als ob mir das alles schon ewig bewusst ist, aber dem ist nicht so. Das geht phasenweise.“
„Dass du mich nicht mehr liebst und dich umsiehst, wie lange ist das schon so?“
„Meinst du, ich hätte da ein Datum im Kopf? Eine Weile.“
„Aber dass du nichts sagst, dass...“
„Wie stellst du dir das vor? Dass ich mich vor dich hinstelle und sage: Ich liebe dich nicht mehr, Maren?“
„Das wäre ehrlicher gewesen!“
Wieder hob er die Schultern.
„Dann bin ich eben unehrlich. Ich wollte dir nicht wehtun oder so etwas. Du hast das Gespräch darauf gebracht und nun habe ich es eben gesagt. Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Von mir aus können wir erst einmal so weitermachen, so als Wohngemeinschaft.“
„Ich glaube das alles einfach nicht!“
„Tut mir leid, dass es so gelaufen ist. Ich schlafe heute Nacht wohl besser im Keller.“ Er stand auf. Ich sprang ebenfalls auf, griff nach meiner Handtasche, und stürmte zur Tür.
„Wo willst du denn jetzt noch hin?“, fragte Tim verdutzt.
„Mich auch umsehen!“, keifte ich und schlug die Tür zu.
Ich fuhr mit dem Auto ziellos durch die fast menschenleere Stadt. Als ich anhielt, stand ich vor Jörgs Fahrschule. So ganz ziellos war ich wohl doch nicht gefahren.
Ich kämpfte mit mir, ob ich aussteigen sollte.
Es brannte nur das Licht im Fenster, das sein Logo beleuchtete: Fahrschule Blinker – immer benutzen!
Darunter standen die Schulungstermine. Heute war keiner davon. Was wollte ich hier? Er war doch nicht da!
Dann sah ich am Gebäude hoch und machte große Augen: Oben, in dem kleinen Stübchen mit dem Bett, brannte Licht. Die Rollläden waren zwar heruntergelassen, aber durch die Schlitze drang Licht. Gedämpftes Licht.
Mein Herz schlug schneller. Er lag garantiert nicht da oben und las ein Buch. Einen Fernseher gab es dort auch nicht, nur eine Kommode mit Sextoys. Die wir, wie ich zugeben musste, ausgiebig benutzt hatten. In einer Schublade lagen Kondome. Sehr, sehr viele.
‚Was denkst du dir eigentlich?‘ schalt ich mich selbst, ‚dass du die Einzige bist, mit der er es macht? Er hat doch gesagt keine Gefühle, nur Spaß.
Natürlich hat er da oben eine, was denn sonst? Dumme Kuh, Maren, das bist du. Vielleicht wäre ja doch noch was zu retten gewesen, aber du hast dich monatelang vom Blinker benutzen lassen, nicht umgekehrt. Und darüber deine Ehe vergessen.‘
Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken und zitterte.
Silke: Was in Assen passiert, bleibt in Assen
Nach einem weiteren fast schlaflosen Wochenende saß ich Montag um ein Uhr vor dem Behandlungszimmer meiner Gynäkologin. Das Wartezimmer war inzwischen leer und die Tür stand offen. Ich war die letzte Patientin vor der Mittagspause.
Zu meiner Überraschung war Maren nicht da, aber ihre Kollegin hatte Gott sei Dank keine Probleme gemacht, als ich sagte, ich wolle kurz die Ergebnisse besprechen. Flori war in seinem Schuppen am Werkeln, aber komischerweise vor zehn Minuten online gewesen. Seit der Tussi beim Chinesen hatte ich etwas Angst.
Was, wenn die ihm doch am Büffet ihre Nummer zugesteckt hatte? Und so, wie die aussah ... wer konnte da schon widerstehen?
Die Tür zum Behandlungsraum öffnete sich und eine ältere Dame schlurfte heraus. Nun würde es ja nicht mehr lange dauern.
Tatsächlich kam schon bald die Ärztin aus dem Zimmer und setzte sich auf den Stuhl neben mich.
„Hallo, Frau Perschke. Die Ergebnisse sind da. Sie haben einen Progesteronmangel.“
„Oh! Und davon kommt das alles?“
„Ihre Symptome waren typisch dafür. Tja, das bedeutet allerdings leider auch, dass Sie in die Vorstufe der Wechseljahre eingetreten sind.“
„Wechseljahre? Aber ich bin doch erst dreiundvierzig?!“
„Ab vierzig kann man damit rechnen. Wenn Sie früh Ihre erste Periode hatten ...“
„Mit elf!“
„Sehen Sie. Früh angefangen, früh fertig damit. Aber keine Sorge, das kann man alles gut behandeln. Sie bekommen von mir Kapseln mit natürlichem Progesteron. Und zwar nehmen Sie die vom zwölften Tag nach Ihrer Periode vierzehn Tage lang. Der erste Tag der Periode ist Tag eins. Soll ich Ihnen das aufschreiben?“
„Nein, danke. Das kann ich mir merken.“
„Gut, dann holen Sie sich Ihr Rezept an der Rezeption ab, und dann machen wir in einem Monat einen Termin und sehen mal, wie es Ihnen damit geht.“
„Da ... da sind wir noch im Urlaub“, murmelte ich.
„Oh, wie schön! Wo geht`s denn hin?“
„Dänemark.“
„Prima, dann gute Erholung. Kommen Sie gleich nach dem Urlaub wieder rein. Mit dem Progesteron werden Sie auch wieder fit sein.“
„Okay, danke.“
Sie gab mir die Hand und verschwand hinter ihrer Tür. Ich ließ mir das Rezept aushändigen und ging zur Apotheke und dann zum Auto.
Zuhause angekommen, eilte ich sofort in die Werkstatt. Der Geruch nach Holz hatte etwas Beruhigendes. Flori hatte den Kleiderschrank komplett abgeschliffen und bearbeitete nur noch ein paar der Rundungen mit etwas feinem Schleifpapier.
„Hey! Und? Was sagt die Ärztin?“
Ich erklärte es ihm. Auch er schien etwas entsetzt.
„Wechseljahre? Du? Jetzt schon? Ich dachte, das geht erst so ab Mitte fünfzig los?“
„Ab vierzig kann es losgehen, sagte sie“, schniefte ich. „Mensch Flori, ich werde alt! Ich habe mich bisher noch kein bisschen anders gefühlt, und auf einmal bin ich alt!“
Er nahm mich in die Arme und knuddelte mich durch.
„Du bist doch nicht alt! Nur Kinder kannst du keine mehr kriegen, und wir wollten doch sowieso keine.“
Nun ja, Flori wollte keine, er hatte schon eine Tochter, die den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, weil ihre Mutter sie gegen den Vater aufgehetzt hatte. Nur für Unterhalt war er noch gut genug.
Ich hätte schon ganz gern eins gehabt, aber nach Maik ... und Flori war erst in mein Leben getreten, als das Thema altersmäßig quasi abgeschlossen war. Ich fand immer, mit vierzig sollte man mit der Familienplanung durch sein.
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