Auf der Fahrt in die unbekannte Stadt waren wir alle sehr mit unseren Gedanken beschäftigt und sprachen kaum ein Wort. Einmal fragte uns Paul Mole kurz, was wir denn dort speziell lernen wollten. Mary antwortete ihm, als sie sich bequem zurück in den Sitz lehnte: „Ich will gerne Tänzerin werden. Oder ich schaue irgendwann bei den anderen Kursen herein und entscheide mich später für ein Fachgebiet.“ „Und ich will gerne neue Leute kennenlernen und mich auf die Suche nach dem ultimativen Job begeben.“ seufzte Jessie müde auf dem Rücksitz. Sie hatte die letzten Nächte vor unserer Abreise kaum geschlafen vor Aufregung. Ich selbst wusste noch überhaupt nicht, was mich erwartete und für welche Art Beruf ich mich entscheiden wollen würde. Darum sagte ich leise: „Ich will hauptsächlich etwas neues kennenlernen und zunächst aus unserem kleinen Dorf verschwinden.“ Lachend schaute Paul Mole mich auf dem Sitz neben sich an und war begeistert. „Das ist der beste Grund überhaupt dorthin zu gehen. Ich würde es in diesem Dorf auch nicht mein ganzes Leben aushalten.“ Er hatte ein Lächeln, bei dem man mitlächeln musste. Es war irgendwie ansteckend und sympathisch. Auch konnte man in seinem sonst so markanten Gesicht Lachfalten erkennen, die daraus schließen ließen, dass er oft lachte. Dieses machte ihn auf die ein oder andere Weise sympathisch.
Von weitem erblickten wir unser Reiseziel. Es sah riesig aus. Es dauerte noch einige Zeit, bis wir nah genug herankamen, um Einzelheiten dieser Stadt zu erkennen. Als Erstes sahen wir eine gigantische graue Stadtmauer um die ganzen Häuser herum. Darüber schauten einige große Dächer und eine Kirchturmspitze heraus. Näher an der Stadtmauer, sah ich, dass diese wirklich sehr groß war. Warum sagte mir eine innere Stimme nur, dass etwas Großes nicht hineinkommen sollte? Selbst ein Riese hätte Probleme darüber zu kommen. Das Stadttor war ebenso riesig. Mit zwei breiten schwarzen Torflügeln und einem Fallgitter signalisierte das Tor, dass ungebetene Gäste sich fern halten sollten.
Neben der Mauer lag ein See, der wie Gold in der Sonne schimmerte. Mir wurde bei diesem Anblick richtig warm ums Herz und ich war direkt verliebt in diese Schönheit der Natur. Mit verträumtem Blick schaute ich auf den See hinaus und beobachtete die zaghaften Wellen, die der Wind leicht aufbaute. Selbst diese glitzerten wie Gold. Am liebsten hätte ich mir ein kleines Häuschen an diesem See gebaut und wäre dort alleine glücklich geworden. Aber leider fehlte mir das Geld dazu. Darum musste ich wohl oder übel zunächst mal wieder die Schulbank drücken.
Nachdem wir an dem Stadttor anhielten, kamen zwei Wachen auf uns zu. Einer von beiden sah Paul Mole an und fragte: „Was sind das für Frauen, die sie uns da in die Stadt schleusen wollen?“ „Das sind neue Schülerinnen. Ich werde sie gleich in die Schule bringen. Und danach werde ich mal eurem Bürgermeister einen kleinen Besuch abstatten.“ antwortete Paul Mole etwas genervt. Offenbar kannte er diesen Wachmann schon. Die Wachen hatten gepanzerte Rüstungen an, wie in vergangenen Zeiten, als Kriege und Gewalt noch an der Tagesordnung waren. Der Kopf, die Arme und die Beine waren frei, aber am Rest des Körpers waren sie durch Kettenhemden geschützt. Ich fragte mich wirklich, wovor sich diese Leute hier schützen wollen. Besonders in dieser Zeit des Friedens und des Wohlstandes mit Kettenhemden herumzulaufen, fand ich ziemlich lächerlich.
Mit einer kurzen Handbewegung ließen uns die Wachmänner passieren. Schnell öffnete ein Dritter einen Flügel des großen schwarzen Tores und winkte uns durch.
Neugierig fragte ich unseren alten Lehrer: „Wieso tragen die Wachen hier Kettenhemden? Diese Sachen sind doch ein bisschen übertrieben kriegerisch, oder?“ Einen kurzen Moment überlegte Paul Mole und antwortete dann schließlich: „Ich glaube, dass diese Männer hier traditionelle Wachkorps sind und daher auch die historischen Ausrüstungen wie früher anhaben müssen. Das mag ich an dieser Stadt. Sie ist sehr alt und ihre Bräuche sind aus alten Zeiten. Und doch sind viele moderne Sachen hier zu finden. Ihr werdet es auch bald feststellen, wie toll es hier ist.“ Mary lächelte und meinte belustigend: „Ich hoffe ja wirklich, dass es hier besser ist, als in unserem kleinen Dorf.“
Paul Mole fuhr uns durch die halbe Stadt und zeigte uns wo die Post ist, wo sich das Rathaus und die Schule befindet. Die Häuser, die wir von den Straßen aus gesehen hatten, waren sehr alt. Es hatte den Anschein, dass sich dort seit Hunderten von Jahren nichts verändert hätte.
Mir fiel auf, dass die Stadt von Rollwegen übersät war. An jeder Straße auf dem Bürgersteig gab es diese Rollwege. Sie sahen so aus, wie die Rolltreppen, die ich mal in einem Einkaufszentrum gesehen habe bei einem Ausflug in die große ferne Stadt, nur dass sie nicht nach oben oder unten verlaufen, sondern geradeaus. Irgendwie fand ich das lustig. Jessie fragte müde: „Was sind das für selbstfahrende Wege?“ Paul Mole antwortete erklärend: „Die Leute hier sind ziemlich faul. Es gibt hier nur wenige Autos. Wenn die Menschen hier problemlos etwas transportieren wollen, wird es einfach auf so einen Weg gestellt. Für einen selbst ist es auch praktisch, weil man sich damit umherfahren lassen kann. Es ist wirklich bequem.“ Mary lachte. Dann fügte sie belustigt hinzu: „Hoffentlich werden wir nicht auch so faul. Ich will meine dünne Figur noch eine ganze Weile behalten.“
„So wir sind da. Ab jetzt seid ihr auf euch alleine gestellt. Ich verlasse euch nun.“ sagte Paul Mole etwas seufzend. Kurz darauf packte er unsere Sachen aus dem Auto und danach verabschiedeten wir uns.
Kapitel 3: die neue Schule
Da standen wir drei Mädchen nun vor diesem unbekannten Ort. Wir waren alleine und auf uns gestellt. Jessie nahm ihre Koffer in die Hand und fragte: „Na, was ist, ihr beiden? Wollt ihr hier Wurzeln schlagen, oder wollt ihr wieder nach Hause?“ „Natürlich kommen wir mit. Ich bin nur beeindruckt von diesem Gebäude.“ meine Mary staunend. Sie hatte recht. Unsere neue Schule sah wirklich unglaublich aus. Ein riesiger Komplex mit vielen Fenstern. Das Haus war aus alten Steinen gebaut, wie fast alles in dieser Stadt. Die Treppe zum Haupteingang hatte breite flache Stufen, auf denen man einfach laufen konnte. Unterhalb der Treppe kam einer der Rollwege aus dem Gebäude. Das Schulgebäude hatte, wie man von außen sehen konnte, fünf Stockwerke.
Jessie war schon im Haupteingang verschwunden, als Mary und ich uns noch von der Treppe aus umschauten. Mary zupfte ihre Haare zurecht, sah mich an und erklärte: „Falls hier nette Jungs rumlaufen.“ Ich lachte, gab ihr einen Stups und nahm dann meine Koffer in die Hände.
In der Eingangshalle des Schulgebäudes sahen wir uns dort ein wenig um. In der Mitte der Halle gab es einen Pförtner, der uns merkwürdig anstarrte. Mary fragte leise: „Sieht man uns an, dass wir aus einem langweiligen Dorf kommen?“ Jessie antwortete flüsternd: „Wahrscheinlich werden alle neuen Mädchen von ihm so beäugt.“ „Vielleicht ist ihm dieser Blick angeboren und er kann nicht anders.“ flüsterte ich, um so die Sache zu entschärfen. Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass ich diesen Blick unsympathisch fand.
„Seid ihr drei von den Mädchen, die sich für das neue Schuljahr hier angemeldet haben?“ fragte der Pförtner langsam und prüfend mit krächzender Stimme. Als Erste von uns ging Jessie auf ihn zu und sagte: „Das ist richtig. Können sie uns den Schlüssel für unser Zimmer geben? Mein Name ist Jessie Higgins und das ist meine Schwester Mary.“ Ich kam auch an dem Tresen an und sagte ihm, dass ich Melissa Thomson bin. Der Pförtner blätterte in seinem Buch und sagte: „Ah ja! Hier steht es. Mary Higgins Zimmer 517, Jessie Higgins Zimmer 518 und Melissa Thomson Zimmer 516. Hier habt ihr die Schlüssel.“ Mit einem breiten Grinsen übergab er uns die Schlüssel und wir verschwanden mit den Koffern im Treppenhaus.
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