Jeanny O‘Malley
Die Stadt der lauernden Bestien
Teil 1
Jeanny O‘Malley
Die Stadt der lauernden
Bestien
Roman Fantastik
Impressum
Texte: © 2021 Copyright by Jeanny O’Malley
Umschlag: © 2020 Copyright by Jeanny O’Malley
Verantwortlich
für den Inhalt: Jeanny O’Malley
c/o Heidi Kirschhausen
Am Mahlstück 7
53809 Ruppichteroth
E-Mail: jeanny-o@gmx.net
Facebook: @JeannyOMalley
Instagram: @Jeannyomalley
Twitter: @JeannyMalley
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1: zu Hause
Mein Name ist Melissa und die Ereignisse, von denen ich berichte, liegen so lange zurück, dass sie für einige von denjenigen, die ich früher kannte, schon gar nicht mehr wahr sind. Andere wiederum haben den Ausgang dieser Geschichte, die ich erzählen möchte, leider nicht mehr erlebt. Manchmal kommt mir diese Begebenheit, die einen Wendepunkt in meinen Leben bedeutete, selbst mir unwirklich vor, obwohl mein heutiges Leben das Ergebnis der Dinge ist, die damals geschahen. Zu diesem Zeitpunkt war ich fast noch ein Kind.
Inzwischen bin ich verheiratet und habe zwei Töchter im Teenageralter, die Zwillinge sind. In meinem Haar zeigen sich erste graue Strähnen und in meinem Gesicht finden sich nicht nur Lachfalten. Mein Mann behauptet zwar augenzwinkernd, dass ich genauso jugendlich sei wie zu der Zeit, als er mich kennen lernte, aber ich weiß es besser: Früher als andere junge Frauen habe ich gelernt, wie grausam die Welt sein kann und das hat mich in meiner Entwicklung um Jahre vorausgeworfen.
Meine Geschichte fängt im Jahr 1992 an. Wo es geschah, spielt keine Rolle mehr, aber ich werde im Laufe meiner Erzählung der Stadt den liebevollen Namen Yellowtown geben, weil alles dort an Sand erinnert.
Ausgangspunkt meiner Abenteuer ist das kleine Dorf Norfolk, in dem ich geboren wurde. Dort gab es nicht viel zu sehen, außer den Überresten einer alten Burg inmitten von einigen Häusern und Bauernhöfen. Es passierte wenig in meinem Heimatdorf. Die Leute, Bauern und Handwerker meist, taten ihre Arbeit und waren so zufrieden. Ab und an schmiedete der ein oder andere Dorfbewohner Pläne, um etwa das Bewässerungssystem zu modernisieren, um so als Genie in die Dorfannalen aufgenommen zu werden. Oder er entwickelte künstlerischen Ehrgeiz und wurde als Freigeist bezeichnet.
Freigeist zu sein, also nicht dem gewohnten Trott zu verfallen, sondern das Neue und die Abwechslung zu suchen, das war etwas, das nicht geheuer war, wenn nicht gar gefährlich. Aber selbst für die Freigeister gab es genug Raum in der kleinen heilen Welt, in der ich aufwuchs. Man bedachte sie mit gutmütigem Spott und gab ihnen eine Arbeit, damit sie wenigstens die Butter aufs Brot verdienen konnten.
Überhaupt war die Butter auf dem Brot sozusagen die Devise, nach der bei uns gehandelt wurde. Wenn einer sein Auskommen hatte, dann hat man nicht viele Fragen gestellt. Die Menschen bei uns waren gutmütig, aber nicht dumm, und besagte Butter ließen sie sich bestimmt nicht vom Brot nehmen. Man vertraute sich, nie war eine Tür verschlossen. Man kannte sich ja schon seit Generationen, selten kamen Fremde in unsere Gegend, um sich hier niederzulassen. Eher brach der ein oder andere junger Mensch auf, um seinen Teil von der Welt zu sehen. Schließlich musste man sich im Alter ja was zu erzählen haben, wenn man auf dem Dorfplatz in der Sonne saß und das Jungvolk kritisch beäugte. Am liebsten war den Leuten jedoch, wenn alles seinen Gang ging und in der Familie blieb.
Ich hatte eine unbekümmerte Kindheit mit viel Lachen und Liebe und wenig Komplikationen. Mit meinem Vater baute ich Vogelhäuschen und bekam auch sonst immer handwerkliche Unterstützung bei meinen Kleinmädchenplänen. Er war derjenige, der mich gegen den oft strengen Ton meiner Mutter in Schutz nahm. Wenn diese wieder einmal nicht so mit meiner Nadelarbeit oder meinem manchmal gar zu jungenhaften Benehmen zufrieden war und mir die Leviten las. Aber mit einem älteren Bruder und einem großen Tatendrang geschlagen, blieb mir oft nichts anderes übrig, als des Nachbarn Äpfel zu stibitzen, anstatt die in der Schule geforderte Stickerei zu fertigen.
Wenn mein Vater der Held in meinem Leben war, dann war mein Bruder John der Strolch. Ein Strolch, den ich vergötterte, solange ich klein war. Denn er wusste, wie ich unbemerkt an den Vorräten meiner Mutter naschen konnte, wo es die feinsten Stachelbeeren zu klauen gab und wie man auf einem dünnen Baumstamm über den Dorffluss balancierte. Als ich die Oberschule für Mädchen besuchte, liebte ich meinen Bruder vielleicht noch mehr als vorher. Stets nahm er mich großzügig mit auf seinem Motorrad und stellte mich seinen ungemein interessanten Freunden vor, was mir den Ruf einer frühreifen Person unter meinen Altersgenossinnen eintrug, was mit enormem Ansehen verbunden war. Allerdings behandelte ich John nun oft wie einen großen, tollpatschigen Hund, denn wie ein solcher schmachtete er meine beste Freundin Jessie an.
Meine Mutter hingegen war kein großer tollpatschiger Hund, sondern eher ein Säbelzahntiger. Sie konnte von ganz besonders liebevoll auf unheimlich streng umspringen. Wie ein Vollblutpferd auf einer Sixpence Münze, so pflegte mein Vater zu schmunzeln, wenn wieder einmal die ganze Familie vor einer ihrer Launen in Deckung ging. Sie war die perfekte Hausfrau und Mutter, mein Vater der perfekte Landwirt und Ehemann, und sie erwartete von ihren Kindern, nun eben perfekte Kinder zu sein. Aber dennoch war sie eine liebende Mutter und wir alle liebten sie auch.
Oft hatte ich wegen meiner Zukunft Streit mit meiner Mutter. Ich musste unbedingt raus aus diesem Ort und irgendwo etwas anderes aus meinem Leben machen als Ehefrau und Mami auf einem Bauernhof zu sein. „Ein glücklicher Mensch ist jemand, der weiß, wo sein Platz ist!“ sagte meine Mutter häufig. Doch mir gefiel der Platz nicht, den meine Eltern für mich vorgesehen hatten. Mein älterer Bruder John verstand mich wohl am besten. Ihm ging es in meinem Alter ähnlich, denn unsere Eltern wollten ihn auch am liebsten im Dorf behalten, aber er ging nach Osten, um dort eine Ausbildung als Schlosser zu machen. Ich fragte mich oft, ob ich es ihm gleich tun könnte und auch woanders hingehen sollte.
Zum Glück war ich mit diesen Plänen nicht allein. Meine beiden besten Freundinnen Jessie und Mary sahen sich ebenfalls überall, nur nicht als Hausfrau und Mutter hinterm heimischen Herd. Wir drei besuchten die gleiche Klasse und steckten auch sonst die Köpfe zusammen wie nichts Gutes. Jessie und Mary waren Zwillinge und hatten drei Wochen vor mir Geburtstag. Ihre Eltern waren Bauern, genauso wie meine und sie hatten auch wohl ähnliche Ansichten über die Zukunft ihrer Töchter, wie die meinen. So waren wir also nicht nur beste Freundinnen, sondern gleichsam eine Schicksalsgemeinschaft junger Frauen, die etwas aus ihrem Leben machen wollten. So sahen wir uns auch. Die anderen Mädels aus unserer Klasse hatten bereits einen festen Freund. Das letzte Schuljahr brachten Sie gerade so hinter sich, da sie eigentlich schon längst mit der Frage nach der Farbe des Brautkleides beschäftigt waren. So blieben wir drei unter uns und ließen uns auch nicht auf die Anmache und die Sprüche der Jungs aus unserem Dorf ein.
Ab und an gingen wir mal mit jemandem aus, aber meist blieb es beim harmlosen Händchenhalten, zu mehr fehlte den Jungs der Mut und uns die Lust. Nur einmal war Jessie, die tollkühnste und unbekümmertste von uns Dreien weiter gegangen: Mein Bruder John hatte sich, kurz bevor er in den Osten ging, unglaublich in sie verguckt und ließ nicht locker. Er ging mit ihr aus, arrangierte romantische Treffen und holte ihr einfach die Sterne vom Himmel. Jessie mochte ihn wohl auch ganz gern, war jedoch eher amüsiert und geschmeichelt als wirklich verliebt.
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