„Schade“, meinte Rikkart. „Wirklich schade. Ich mag dich nämlich, obwohl du so schnell aus der Haut fährst. Und mir gefällt dein Schwert.“
„Aye, genau das“, hob er Rikkart zuprostend seinen Krug, lachte War leicht betrunken, angeheitert. „Auf mein Schwert.“
Adrian, der entweder nicht viel Bier vertrug oder seins mit Branntwein verdünnte, stierte ihn mit glasigen Augen an. „Du kanns nich auf ein Schwert nich ansch‘osen, Kleiner ... Halbmann ...“
„Doch“, widersprach er kichernd. „Is‘ ein Heldenschwert.“
„Hört, hört“, grölte Stanni und hob gleichsam seinen Krug. „Auf den Helden und sein Schwert!“
Und Adrian lallte: „Er is‘ auch kein Held nich, der hübsche kleine...“ Sein Kopf sank auf die Tischplatte. „... Elfling.“
„Der hat genug“, konstatierte Rikkart. Völlig unnötig.
Jurei wollte Adrian dann nicht ernsthaft ein Schlaflied vorsingen, obwohl ihm die kindische Idee gefiel, reizte – er war betrunken. Und er hatte auch nicht vorgehabt, noch weiter aufzufallen, aus der Gruppe heraus zu stechen, und überhaupt...
Vielleicht nahm er bloß die Melodie auf, die ein anderer – nicht Lonnie, der Kerl sicher nicht –, auf der anderen Seite des düsteren, miefigen Lokals trällerte. Er antwortete, wie er halt auf jede Herausforderung einging. So entstand, entspann sich ein stimmlicher Wettkampf, ein Wechselgesang, in den immer mehr Stimmen einfielen, bis schließlich die Hälfte aller Männer im Lokal mitsang, mitgrölte. Es klang ... eigentlich war es richtig gut.
Doch er hatte seinen Ruf weg und eine Rolle, die er nie angestrebt hatte; nicht mehr nur der kleine, jähzornige Schläger und Heißsporn, sondern der ihr Wortführer. Anführer.
Waldgebiet, zentrales Mandura, im Frühling R. D. 19
Spät am Abend hatten sie schließlich einen Lagerplatz gefunden, der Vadims Ansprüchen genügte. Enisa hatte Hemmungen, dichter an den Mann heran zu rücken. Bis er sie dann näher zog, sogar in seine Arme. Ihr kleines Feuer war fast heruntergebrannt, der Wald ungewohnt still, und auch der Wind hatte sich gelegt.
„Ich fress‘ dich schon nicht.“
„Das war nicht meine größte Sorge.“
„Ich fass‘ dich auch nicht an, wenn du das nicht willst.“
„Aber Ihr wolltet?“
„Es hat mich jedenfalls keine große Überwindung gekostet, wenn du das wissen, hören wolltest.“
„Im Gegenteil, Ihr musstet Euch zurückhalten?“
Er antwortete nicht sofort, schüttelte vielleicht den Kopf, was sie aber nicht sah, er lag ja hinter ihr. Berührte dann leicht ihr Haar, ihren Hals, was ihr eine Gänsehaut bescherte. „Ich wollte dir nicht wehtun.“
„Aber schon mit mir...“
„Ja! Ja, verdammt, du ... Ich war nicht sicher, ob du, ob du schon mal hattest, aber ... es hat mich gereizt. Du.“
Enisa lehnte sich zurück, gegen ihn. Seinen Händen, Fingern entgegen, die über ihr Gesicht, ihre Wangen, ihren Hals tasteten. Neckend und fast ein wenig herausfordernd auf ihre Lippen tippten. Sie presste sie eilig zusammen, wandte den Kopf. „Ich fand es sehr, sehr aufregend, wie Ihr mich geküsst habt.“
„Ja.“ Und natürlich küsste er sie, nicht ganz so wüst und besitzergreifend wie zuvor, am Tag, und seine Hand schob sich in ihre Jacke, kam warm und nachdrücklich auf ihrer Brust zu liegen. Über ihrem Hemd. „Ist das genehm so?“
„Hm, sehr.“ Enisa drückte sich noch stärker an ihn. Sie mochte seinen Geruch, genoss die Berührung seiner Hand, seinen Atem in ihrem Haar. Für den Moment, diese Nacht genug. Ausnahmsweise träumte sie nicht von Jurei.
Westhänge Kitainagebirge, im Winter R. D. 18
Jurei hauchte gegen seine eiskalten, tauben Fingerspitzen und klemmte dann hastig die Hände in die Achselhöhlen. Die Kälte war grausam, der Wind noch grausamer, jaulte und fegte in wüsten, launischen Böen über den Grat und trieb den mit feinem Schnee vermischten Graupel in dichten Wogen vor sich her. Und sein voraussichtlich letzter Einsatz hatte gerade erst begonnen. Er blinzelte, spähte den Hang hinab. Die vereinzelten Lichter im Tal grüßten zu ihm hinauf, lockten und sprachen von Wärme und freundlicher Gesellschaft. Nicht für ihn und die anderen Grenzsoldaten, Männer in seiner Einheit, nicht heute Nacht.
Rikkart stampfte fluchend mit den Füßen auf, sein Gesicht bis zur Nasenspitze in einen dicken Schal gewickelt; nicht vorschriftsmäßig, aber angeraten. Der alte, graue Kev – sein Haar mittlerweile schlohweiß –, ihr Hauptmann, legte auf dergleichen keinen großen Wert. War altersmilde geworden, wie Jurei Rikkart gegenüber spöttisch bemerkt hatte. Bevor ihn eben jener altersmilde Kev bei nächster Gelegenheit gehörig mit dem Stock verdroschen hatte. Jurei nahm es ihm nicht übel, respektloses Verhalten verdiente Strafe. Gleichwohl sein Rücken, Oberschenkel und die Arme selbst nach über einer Woche noch wehtaten.
Der Kampf war gut gewesen und hatte seinen immer wieder aufflackernden Zorn, seine innere Unruhe kurzfristig besänftigt. Immerhin hatte er sich nichts gebrochen. Und Hauptmann Kev schätzte ihn, jedenfalls behauptete der Mann das, lobte Jurei sogar recht häufig, seine feine, saubere Kampftechnik. Nur hätte seine Mutter ihm öfter mal den Mund mit Seife auswaschen sollen, so Kev, der wie Hauptmann Remassey seinen Vater gut gekannt hatte. Sie kannten sich alle gut, schon lange, jene Männer, zu denen er laut Rikkart und einiger anderer angeblich so guten Kontakt hatte, und Domallen wäre als erster zu nennen.
Dabei waren das alles gute Bekannte ... Nein, musste er sich korrigieren, nicht Bekannte, sondern sehr, sehr gute und enge Freunde seiner Mutter, und das ... Ohne es zu wollen hatte er die Fäuste geballt, er hatte da ein Problem, wie er sich unwillig eingestand, eine Art Eifersucht, je älter er wurde. Falsch verstandener Beschützerinstinkt, vielleicht noch mehr seinem Vater gegenüber. Oder dem Andenken seines Vaters?
Doch das alles müßige, vollkommen sinn- und nutzlose Grübeleien, derweil er sich auf Grenzpatrouille in den Bergen den Arsch abfror, noch schlimmer des Nachts in ihren Unterkünften. Das waren uralte Geschichten, längst vergessen und vergeben. Als sei es an ihm, darüber zu urteilen, zu richten; wer war er denn? Ihr Sohn, so lange Zeit seine erste Antwort, sein, Davians Sohn die Antwort, seit er ein gewisses Alter erreicht hatte, und schon lange nicht mehr: Ihr Bruder.
Jurei dachte an den Brief in seiner Tasche. Er sollte ihn wegschmeißen, hätte ihn längst vernichten sollen. Was sollte das denn jetzt noch, nach bald zwei Jahren? Nur, um sich, sein Handeln zu erklären, die alten Gefühle, die Wunden wieder aufzureißen? Gefühlsduseliger Schmarrn.
Einmal mehr suchte er mit schmal zusammengekniffenen Augen die umliegenden, schneebedeckten Hänge und abweisenden, zerklüfteten Bergrücken ab, auf jede Bewegung, jegliches Lebenszeichen ... Da! Er stieß Rikkart mit dem Ellenbogen an. „Dort oben. Siehst du das?“
„Aye“, brummte sein Kamerad. „Scheint ‘ne ganze Gruppe ... Keine Soldaten.“
„Nope, und die haben Kinder dabei.“ Zumindest drei der neun Gestalten, die sich hastig den Abhang hinab bewegten, mochten halbwüchsige Kinder sein, soweit sich das aus der Entfernung sagen ließ. Andere hatten Schwierigkeiten mit dem steilen Terrain, dem rutschigen Geröll, kamen deutlich langsamer, stockender voran. Eh kein sonderlich guter Weg, den die Leute gewählt hatten, schon gar nicht bei den Wetterverhältnissen: Wind und dermaßen viel Neuschnee, außerdem würde es bald dunkel sein. Ihr Ausflug – er ahnte, die waren nicht freiwillig unterwegs – musste ja ein schlechtes Ende finden. Direkt ins Unglück führen.
Jurei und die übrigen Grenzer konnten nur zusehen, nichts tun, die Menschen nicht einmal vor der Lawine warnen. Dazu waren sie zu weit entfernt.
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