„Aye“, er hatte nie daran gedacht, jemals ernsthaft darüber nachgedacht. Dann war er jetzt ... „Aber ich bin raus.“
„Muss ja nicht. Wenn du mich fragst, fragtest“, betonte Kev, verzog das Gesicht. „Nimm den Hauptmann, nimm dir ein paar Monate, meinetwegen auch ein halbes Jahr, um dich im Osten umzusehen, und dann komm zurück.“
„Zu Euch?“, scherzte er bitter, verbesserte sich halbherzig. „Den Grenzern?“
Doch der alte Hauptmann, Kev sah nicht nach Scherzen aus. „Junge, ich bin nicht der Mann, dir kluge Ratschläge zu erteilen oder dir zu sagen, was du tun sollst. Du hast selbst ein gutes Gespür dafür, was richtig ist und was falsch.“
„Aber?“
„Verrenn‘ dich nicht in irgendwelche dummen, unsäglichen Rachefantasien, das ist ... Lass es.“
Aber was blieb ihm dann noch, ein vages Versprechen auf den Hauptmannsrang, ein Haufen warmer, bestimmt sehr ernst gemeinter Worte und ... sein blödes Schwert? Er griff zum Becher, nahm einen großen Schluck, um den Kloß im Hals los zu werden.
Das Bier schmeckte gut, nussig-würzig, und er war es so leid, sein Gejammer, das ständige Hinterfragen, die Grübelei. Begegnete einmal mehr dem Blick der hübschen Bedienung, ihr Lächeln eine Bestätigung, wie eine Aufforderung.
„Sie heißt Corinne“, murmelte Kev. „Falls du...“
Jurei nickte nur, er hatte wirklich genug geredet.
Nahe Kirjat, Mandura, Frühling/Frühsommer R. D. 19
Enisa war in dem öden, kargen Zimmerchen ihrer Unterkunft geblieben, lungerte auf dem ollen Bett. Sie fiel Vadim um den Hals, als dieser schließlich spät in der Nacht zurückkehrte. „Du bist wieder da!“
„Ja.“ Vadim lachte und löste ihre Arme, nur um sie seinerseits an sich zu ziehen. „War doch so ausgemacht. Was ist denn los?“
Wenn sie daran dachte, wie der Alte geredet und gegessen hatte, sein Schmatzen, schauderte es sie, und es schauderte sie noch mehr, wenn sie an den anderen, den Kahlköpfigen dachte, der sie hoch, in jenes Zimmer geschafft hatte, seine Blicke, sein grobes Gebaren. Auch wenn er ihr nicht wehgetan hatte, ganz wie es der Alte verlangte. „Nichts.“
Vadim hielt sie an den Schultern ein Stück von sich entfernt, musterte sie. „Doch, du... Ist etwas vorgefallen?“
Sie schüttelte den Kopf und drängte sich wieder an ihn, barg den Kopf an seiner Brust. „Ich habe dich vermisst.“
Er lachte einmal mehr, fuhr ihr durchs Haar, die zerzausten Locken. „Warst du denn ...“
„Nur kurz. Ich mag deinen Bekannten nicht so.“
„Na, der ist auch speziell.“ Er hob ihr Kinn etwas an und küsste sie spielerisch, ihre Mundwinkel, die Nasenspitze. „Musst du auch nicht.“ Vadim setzte die Küsserei noch ein ganzes Weilchen fort und klang ein bisschen atemlos, als er sie zum ... aufs Bett drängte. „Du hast mich wirklich vermisst, was?“
„Das sagte ich.“ Sie schmiegte sich dicht an ihn. „Könntest du ...“
Aber er hatte bereits die Hand unter ihr Hemd geschoben und berührte, liebkoste ihre Brust. „Sehr, sehr gern, auch wenn mich das schnell zu unserem bekannten Problem führt.“
Trotzdem fuhr er mit seiner Tätigkeit fort, zog ihr das Hemd höher, entblößte ihren Oberkörper, öffnete zudem ihre Hose und zerrte sie tiefer, wenn auch noch nicht gänzlich von den Hüften. „Oder wird das zu kalt?“
„Nein“, flüsterte sie gespannt, etwas angespannt. Seine Berührungen waren sanft und gar nicht grob oder derb, waren angenehm, aufregend. „Aber du“
„Darum kümmere ich mich später, erstmal um dich.“ Wieder küsste er sie, nicht mehr so zurückhaltend zärtlich, seine Zunge zwang sich drängend zwischen ihre Lippen, rang mit ihrer. Derweil seine Hand über ihren Bauch, zwischen ihre Schenkel glitt, seine Finger tastend vordrangen.
Enisa spürte ihr Herz schneller schlagen, merkte, wie ihr der Schweiß ausbrach, ihre Beine wie im Krampf zitterten. „Vadim?“
„Was denn?“ Seine Hand verharrte, reglos, beinah eine Drohung. „Soll ich nicht?“
Sie sollte überhaupt nicht mehr darüber nachgrübeln und seine Berührungen, Zärtlichkeiten einfach genießen. „Doch, sollst du. Es ist sehr aufregend.“
„Das die Absicht dahinter“, erwiderte er lächelnd, und Enisa ließ ihn atemlos gewähren, seufzte nur leise ... ein wenig lauter, gedankenlos. Ganz frei, nur noch ihr Körper und das Empfinden der Lust.
Südwestliches Kalimatan, früh im Jahr R. D. 19
Der Weg, eine Spur, ein Pfad, immer wieder anders, immer wieder gleich, manchmal fast verschwunden, unsichtbar, endlos, wand sich unter dem wolkenverhangenen Himmel dahin, zwischen mit Salbei, vereinzelt auch Lavendel und hartblättrigen Sträuchern bewachsenen schroffen Hügeln hindurch. Stillstand und Veränderung zugleich, es war seltsam beruhigend, besänftigend. Für kurze Zeit, nur eine Weile, aber zumindest wenigstens das: Die Gewissheit, er war auf dem, einem Weg.
Doch besänftigt, er, Jurei musste lachen. Presste gleich darauf die Lippen zusammen, seine Miene wieder düster. „Ich übernehme“, wandte er sich an Treis, den Lenker des Wagens. Einer von einem guten Dutzend des Handelszuges. „Dann kannst du dich hinten aufwärmen, ein bisschen ausruhen.“
Der schlaksige junge Mann war nur wenige Jahre älter als er selbst, knochig und hochgewachsen, das lange, dunkle Haar trug er im Nacken locker zusammengenommen, dazu ein ansprechendes Gesicht; ein richtiger Frauentyp. Obwohl Jurei vermutete, dass Treis mehr auf Männer stand. Er erinnerte ihn an Pola, ein enger, guter Freund trotz des gewaltigen Altersunterschieds. Doch Pola, Inhaber des Rosengärtchens in Samala Elis, hatte nie etwas versucht, nie auch nur Andeutungen gemacht.
Und Treis im Gegensatz zu diesem nicht der hellste. „Ja, klar, damit du mit dem Wagen abhauen kannst.“
Jurei griente halbherzig. „Dreck, du hast mich durchschaut.“
„Nichts für Ungut, Kleiner. Weißt du“, er drückte Jurei etwas grob seinen Schlapphut mit der weichen, breiten Krempe auf den Schädel. „ich kenn‘ halt die Tricks. Das ist mein achter, neunter, bestimmt mein elfter Handelszug ostwärts.“
„Den zehnten hast du ausgelassen?“
„Der“, Treis verzog das Gesicht, zögerte. „... nicht gut, gar nicht gut. Wir wurden überfallen, und die Angreifer waren äußerst brutal. Etliche unserer Leute wurden verletzt, zwei sogar getötet. Du“, er sah Jurei hastig an, schien beinah verlegen. „Singst du mir was?“
„Äh, ich wüsste nicht ...“ Wie kam der Kerl darauf? „Ich kenne keine passenden Lieder.“ Seine Mutter hatte ihm viele Lieder vorgesungen, beigebracht, Jahre her, aber die würde er hier und heute sicher nicht vortragen. Könnte sie vermutlich auch nicht richtig singen.
„Och, bitte! Ich trau dir nicht eine Handbreit über den Weg, aber ich mag deine Stimme.“
Jurei verkniff sich das Lachen, das Kopfschütteln, jeden weiteren Protest und begann leise. Ausgerechnet das Lied der Garde, unpassender ging es kaum, aber es war halt einfach zu singen.
Treis strahlte ihn begeistert an. „Das kennst du?“
„Kennt doch jeder.“ Immer noch, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach dem Krieg; das würde sich nie ändern.
„Bei euch“, betonte Treis. „In Mandura.“
„Jepp. Wird bald dunkel sein.“
Treis stimmte ihm zu. „Ich schätze, wir fahren noch ein Stückchen, dort hinten kreuzt ein Seitenarm des Jamburs unseren Weg. Ist seit vielen Jahren ein guter Lagerplatz.“
Auch seit vielen Jahren bekannt als ein Lagerplatz der Händlerzüge? Jurei unterdrückte seine Skepsis, sein Misstrauen nicht und beäugte, keine halbe Stunde später, die Sonne war noch nicht gänzlich hinter dem Horizont versunken, das Gelände. Zur Ebene hin geschützt durch einen niedrigen, über mannshohen Felsabbruch und einen Wall, zum Fluss hin, der erfreulich viel Wasser führte, aber recht offen. Schnell erblühten zwei, drei, weitere Lagerfeuer in der Dämmerung, versprachen Licht und Wärme, doch er suchte sich seinen Schlafplatz außerhalb des Wagenrunds, etwas abgeschiedener. Er mochte es, über sich die Sterne zu sehen.
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