„Ruhig. Ruuu-hieeg.“, sie sprach betont langsam. „Das sind wir alle. Der ständige Wechsel zwischen starken Phasen und dem Gefühl, nichts weiter zu sein als Laub im Wind. Das ist normal, das geht jedem so!“ Marianna umfasste Malins Oberarme, weit oben, an den Schultern. „Die Fahne hochzuhalten, das heißt, die Fahne weht im Wind. Aber sie bleibt oben. Gehe den Weg!“
„Wie? Welchen?“
„Es müsste ein Weg sein, der den Geist der Menschen befreit. Das Rezept des trojanischen Pferdes, wenn die Akzeptanz der Wrukolas mit was Gutem einhergeht“, Marianna deutete zum Fenster hinaus.
Natürlich hatte Marianna Malin zwei Adressen mitgegeben. Eine von einer Eva, die andere war von einem Paul. Eva war die Wolle-Aufrollerin. Paul arbeitete bei der Müllverwertung. Zuerst ging Malin zu Eva, sie meldete sich an, Eva war einverstanden, sie daheim zu besuchen. Und davor war der Anruf beim Kommissar, Malin log etwas, bislang noch keine Hinweise auf irgendwelche Russen.
Eva hatte langes glattes rötliches Haar. Sie hatte zwei Kinder, Damian, eineinhalb, Simone, sechs. Beide von verschiedenen Vätern, wo die Kinder sich gerade aufhielten. Sie wohnte etwas außerhalb, in Schniegling, sie hatte ein Haus geerbt. Die strahlende Frau war auf dem ersten Blick eine sehr sympathische Frau von 37 Jahren, sie führte Malin zu einem großen Raum. An der linken Wand schloss sich ein Tisch an, ihr Arbeitsplatz. Hier hatte sie eine Vorrichtung, um die Wollfäden schnell durch die Löcher der Herzen zu stechen und außen an den Rändern zu befestigen, wieder ins Loch und wieder nach außen. Hinter dem Tisch der Linkshänderin standen Kisten mit Wolle in allen möglichen Farben. Die Kisten zogen sich in einer langen Reihe bis ans andere Ende des langen Raumes. An der anderen Wand stand am Tisch ein PC, auf dem pro Bestellung die Anzahl angegeben wurde. Gleich im selben Programm war dann die Möglichkeit gegeben, die Adresse anzugeben, dann sogleich die Rechnung auszudrucken. Weiter hinten am Tisch die Verpackungs- und Versandutensilien und ganz am Ende der Reihe auf einem Postwagen die fertig gepackten Kisten bereit für den Abtransport zur Post, was offenbar durch die hintere Tür passierte.
Das PC-Programm interessierte Malin sehr, der Kommissar hatte ja die Russen und das Programmieren erwähnt. Und tatsächlich, nicht nur dieses Programm, auch die Website des ganzen Unternehmens stammten von einem Russen. Den Sandu während einer Feier im „Twenty-Eight“ kennen gelernt hatte.
„Das Twenty-Eight ist ein Club in Fürth“, klärte Eva sie auf. „Dort finden abwechselnd am Wochenende Russische und Rumänische Parties statt. Die kennen sich etwas.“
„Und du hast die Adresse von dem Programmierer nicht zufällig?“ fragte Malin.
„Die hat Paul. Er kann dir sagen, wen du da suchen sollst.“ Eva strahlte übers ganze Gesicht. „Paul ist nett. Halt manchmal komisch. Aber sehr nett. Du solltest mal sehen, wie lieb er mit den Kindern ist. Er ist halt neidisch auf den Erfolg von Sandu, aber ansonsten ok.“
„Danke. Ich gehe die nächsten Tage zu ihm.“
„Und wann kommt Sandu von seiner Reise zurück?“ fragte Eva. „Weißt du, Sandu ist sehr lieb zu den Kindern, er bringt immer neue Kinderwitze, obschon die beiden doch den mit den Rosinen am liebsten mögen. Kennst du den?“
„Weiß nicht.“
„Zwei Rosinen treffen sich. Fragt die eine: Warum hast du einen Helm auf? Antwort: Ich komme gerade aus dem Stollen.“
„Eva, wer hat dir von der Reise erzählt?“
„Seine Mutter“, nickte Eva eifrig. „Er fährt öfter weg, so alle zwei Wochen, es ist ein fester Turnus, ich habe ihn mal darauf aufmerksam gemacht. Er hat gelacht und mich gelobt für meine Logik. Ich kann manchmal schlau sein...“
„Wohin gingen diese Reisen? Hat er was davon erzählt?“
„Unterschiedliches Ziel. Wenig bis gar nichts. Er hat immer gesagt, es ist nicht so viel dabei. Es sei nur ein großes Fressen und sonst nicht viel dabei. Halt andere Unternehmensgründer und Internet-Verrückte sehen. Wenig Drogen. Keine anderen Frauen.“ Und als sie Letzteres sagte, lächelte sie lieb.
„Eva“, Malin konnte sich nicht helfen. „Er ist verschwunden. Seit drei Wochen fast.“
„WAAAAS?“
„Und ich will dich nicht verletzen. Aber es gibt andere Frauen. Da kenne ich ihn her...“
Da fiel der Eva die Kinnlade herunter. Dann aber funkelten deren Augen:
„Du machst hier auf Freundin. Dabei suchst du ihn. Weil du ihn lieeebst.“ Eva verschränkte die Arme, schüttelte den Kopf. „Und ich bin darauf hereingefallen. Du blöde Kuh. Verschwinde hier! Raus! Raus!“
Nur einen Tag später hatte Malin schon Angst, Paul könnte von Eva benachrichtigt worden sein. Und er würde deswegen abweisend sein. Ersteres stimmte. Zweiteres ganz und gar nicht.
„Ich danke dir. Aus ganzem Herzen“, empfing Paul Malin sehr herzlich.
„Für was?“
„Sandu ist weg. Plus, du hattest was mit ihm. Und Eva weiß das.“ Er strahlte über beide Backen. „Sie wird darüber hinwegkommen.“ Und dann ernsthaft, weil er Malins Gesichtsausdruck erkannte. „Ich liebe Eva.“
„Aber du kamst gegen Sandu nicht an, oder?“ fragte Malin ahnungsvoll. „Gegen den Chef.“
„Nein. Nicht gegen den Chef“, der Paul druckste nicht lange herum. „Gegen einen mit einem großen Penis.“
„Ach, das sehen Frauen nicht so...“ sagte Malin was Frau halt so sagt in solchen Fragen.
„Ich weiß. Aber ich habe nach einem Unfall ein Schrumpfexemplar. Deswegen habe ich früh gelernt zu lecken“, Paul schien nicht schüchtern zu sein. „Und ich mache es gerne.“ Seine Augen leuchteten. „Das Ding steht den meisten Männern eh nur im Wege. Sie glauben, es wäre wichtig. Dabei sollte DIE FRAU wichtig sein.“
„Völlig richtig!“ Malin war begeistert.
„Aber das konnte Sandu anscheinend auch besser. Manchmal zumindest.“ Er war wieder resigniert, schaute sie fragend an. „Oder?“
„Ich weiß nicht...“ antwortete Malin gedankenverloren. „Anders? Ja. Gut? Ja. Aber ob es nicht andere auch gibt, die auch so anders sind, auch so gut auf eine Frau eingehen können?“ Sie zuckte mit den Achseln.
„Er war ein Gefühlvoller“, sagte Paul sinnierend. „Er hat mich einmal auf eine Neumond-Party eingeladen zu sich. Angeblich habe da der Alkohol, ein spezieller aus Rumänien, eine andere Wirkung.“
„Was ist passiert?“ Malin war interessiert. Sie wusste, an Neumond konnte Sandu heilen. Sie wusste, er habe ihn heilen wollen.
„Nichts“, Paul schüttelte kurz und heftig den Kopf. „Er hat dann gesagt, er habe sich wohl geirrt. Und außerdem musste er schnell ins Krankenhaus. Mehr ist nicht passiert… Vielleicht liegt bei dieser Sache das Auge im Betrachter...“ er griente übers ganze Gesicht.
„Sicher“, gab Malin lächelnd zurück. „Kinderauge sieht die Wahrheit.“
„Und der Vogel fängt den Wurm“, lachte Paul.
„Alles Liebe mit Eva. Einfach auf mich schimpfen und das wird schon.“, lachte auch Malin. „Weil man sieht das Herz gut. Das Wesentliche ist unsichtbar.“
„Mit der Zeit. Es ist ja noch kein Meister in den Himmel gefahren.“
„Und ansonsten: andere Töchter haben auch schöne Mütter.“
„Hohecker, du bist raus. Das stimmt so nämlich ganz genau...“
Paul hat Malin die Namen der zwei russischen Programmierer gegeben. Sie würde am nächsten Wochenende ins Twenty-eight fahren und sie suchen. Davor war aber das Gespräch mit dem Kommissar, wo sie Neueres erfahren wollte, sie wollte es unbedingt wissen, sie fuhr gleich im Anschluss zum Kommissar nach Hause, nachts um halb elf.
„Ich will mehr über das Heilen wissen!“ stieß sie atemlos vor seiner Haustür aus. Sie nahm ihren Schal vom Hals.
„Ausnahmsweise“, der Kommissar öffnete die Tür. „Komm rein.“
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