«Wilhelm Gustav, gib dem Direktor zwei Taler und dem Jungen drei zum Willkommen.» Entschied die Baronin kurz entschlossen. «Ich hoffe, ihr seid alle einverstanden.»
Damit brach für den jungen Fedor Scholty ein neuer Lebensabschnitt an. Der attraktive achtzehnjährige Bursche, nach dem sich viele Mädchen umdrehten, wurde Schweinehirte auf dem großen Gutshof.
«Schweinehüten macht mehr Spaß, als die Hopserei und das Gesinge bei der fahrenden Truppe», erklärte er jedem, der fragte, warum er nicht mit den Musikanten in die weite Welt gezogen sei. Die Meisten schüttelten mit dem Kopf, dies verstanden sie nicht.
«Ihr könnt das nicht nachvollziehen, mein Dasein war bisher jämmerlich. Ich fühlte mich zu nichts nutze, ständig unterwegs und ohne ein festes Zuhause.»
Sein neues Leben war kein Zuckerschlecken, Tiere waren für ihn unbekannte Wesen, insbesondere Schweine.
«Nur Mut Junge, das bringe ich dir alles bei und in ein paar Jahren, wenn ich mein Altenteil genieße, übernimmst du die Herde», lächelte Karl. Der alte Schweinehirte war froh endlich einen Nachfolger zu haben.
«Wie viele solcher Wildschweine habt ihr hier?»
Karl kicherte, «Das sind Wollschweine, keine Wilden. Im Moment haben wir sieben Eber und fünfzig Muttersauen. Dazu etwa um die einhundertsechzig Ferkel sowie achtzig Jungschweine.»
«Ich habe noch nie eine so große Schweineherde gesehen.»
«Hier in Schlesien gibt es erst wenige Großgrundbesitzer, die sich mit der Schweinezucht beschäftigen. Die Mutter unserer Frau Baronin stammt aus Ungarn, da betreibt man die Zucht schon seit längerer Zeit.»
Fedor nickte und Karl fuhr fort: «Der Familie Streselitz gehört das Anwesen bereits in der zweiten Generation. Der Vater des jetzigen Barons kam als Rittmeister mit den österreichischen Truppen der Kaiserin Maria Theresia 1734 nach Schlesien. Er schlug sich rechtzeitig auf die Seite des Preußenkönigs Friedrich und erwarb sich große Verdienste im Krieg, dafür wurde er geadelt. Zu dem Landsitz, hier in der schlesischen Kornkammer zwischen Oppeln und Breslau, gehören riesige Ländereien. Streselitz ließ in wenigen Jahren Schloss und Rittergut Mooreichen errichten.»
Stolz zeigte der Schweinehirte dem jungen Mann den großen Gutshof. Mit fast zweihundert Schweinen, einhundert Kühen und zwanzig Pferden, ein stattliches Anwesen.
Die Durchfahrt in den Vierseithof führte mittig durch das lange Stallgebäude. Daneben schloßen sich rechts die Scheune und links der Pferdestall, sowie die Remise und die Wirtschaftsgebäude an. Den Abschluss des etwa zweihundert Meter im Geviert großen Innenhofes bildete im Süden das Schloss der Herrschaften.
Fedor war von frühmorgens bis spätabends mit den Tieren beschäftigt. Er sog das Wissen des alten Knechtes regelrecht in sich ein.
Anfangs verstand er nicht, warum sich die Schweine, kaum dass er sie auf die Hutung scheuchte, im Schlamm wälzten. Karl erklärte ihm, dass sie so die Flöhe aus ihrer Wolle vertrieben.
Die Tiere liebten es, wenn er sie zwischen den Ohren oder auf dem Bauch kraulte. Die Schlachttage waren für ihn katastrophal und er verdrückte sich regelmäßig, wenn der Fleischer kam.
Als es wieder einmal so weit war, legte Karl seinen Arm um Fedor: «Es ist traurig, aber das Töten gehört dazu, Junge gewöhne dich daran. Hilf den Tieren, die haben Angst, hören und riechen was passiert. Sprich mit ihnen, du beruhigst sie damit und das Fleisch wird dadurch auch besser, zarter.»
Fedor achtete auf peinliche Sauberkeit bei sich, sprang, selbst im Winter, wenn der kleine See gefror, nach Feierabend ins Wasser und benutzte die eigenhändig gebaute Schwitzhütte.
«Irgendwann hast du vor lauter Schruppen keine Haut mehr dran. Man kann es auch übertreiben!», schüttelte sein Freund der Pferdestallbursche den Kopf.
«Ich rieche lieber nach Seife, als nach Schweinekot.»
Wenn er nach Feierabend in die Stadt fuhr, im schwarzgestreiften Anzug, weißem Stehkragenhemd, Fliege und weißen Handschuhen, vermutete niemand den Schweineknecht in ihm.
Zwei Jahre später kam die fünfzehnjährige Lohnmagd Adelheid Hammer auf den Hof. Für ihr Alter war sie schon prima entwickelt, groß und schlank, etwas schlaksig noch, aber eine Oberweite, die fast das Mieder sprengte. Die blonde Haarpracht war zu zwei Zöpfen geflochten und hochgesteckt. Das runde von Sommersprossen übersäte Gesicht zierte ein roter auffälliger Schmollmund.
Fedor verguckte sich in das hübsche Mädchen. Bei jeder Gelegenheit suchte er ihre Nähe.
Am Sonnwendfest 1837 gab er sich einen Ruck und sprach sie endlich an: «Jungfer erlaubt ihr, dass ich euch zum Tanz führe?» Adelheid lachte lauthals.
Lacht sie mich aus? Erschrocken wollte Fedor einen Rückzieher machen.
«Nein, bleib – liebend gerne tanze ich mit dir!»
Sie hatte schon lange darauf gewartet, nur seine umständliche Frage erheiterte sie.
Oft hatte sie sich überlegt, die Initiative zu ergreifen. Er war einfach zu schüchtern.
«Warte ab», hatte Annamaria, die Küchenmagd sie gebremst, «der kommt schon in die Gänge.»
Adelheid nahm die Beziehung in die Hand. Zwei Jahre später und hochschwanger führte sie den Bräutigam zum Altar.
Im achten Monat erlitt sie eine Fehlgeburt.
Endlich am 13. Januar 1840 wurde der langersehnte Stammhalter geboren. Freudestrahlend hielt Fedor den Jungen hoch.
«Hier seht, unser Friedrich!», damit präsentierte er seinen Sohn der Taufgemeinde.
Es war eine schwere Geburt, Adelheid hatte viel Blut verloren, zwölf Tage später starb sie im Kindbett.
Trotzdem blieb Fedor positiv, hatte für jeden ein gutherziges Wort, freute sich an dem Kind.
Die Jahre vergingen, Fedor war sehr nachsichtig mit seinem Sohn, verzärtelte ihn geradewegs. Versuchte ihn zum künftigen Schweineknecht zu erziehen. Dies misslang vollkommen. Friedrich war ein Eigenbrötler, ihm fehlte nicht nur die Mutter, sondern auch ein Vater, der ihm sagte, wo es lang ging. Der Junge hatte die große kräftige Statur seines Vaters, überdies die blonden Haare sowie die hellblauen Augen der Mutter geerbt, aber nicht deren Zielstrebigkeit und freundliches Gemüt. Friedrich war ein Verweigerer, lernte nicht in der Schule, war unzufrieden, schimpfte auf jeden und alles, beschuldigte immer die anderen.
Fedor diskutierte gerne nach dem Gottesdienst mit seinem Freund, dem Pater Reuther bei einer Tasse Kaffee, verschiedene Bibelstellen. Oft klagte er ihm sein Leid: «Ich weiß nicht, was ich mit dem Jungen noch anfangen soll, er arbeitet nichts Richtiges, hockt nur herum, ist zu jedermann ruppig.»
«Lass ihm Zeit, das wird schon», erwiderte der Pfarrer, «er braucht etwas länger zum Erwachsenwerden.»
«Du hast gut reden, wie lange noch? Andere sind mit Zwanzig schon verheiratet und tragen Verantwortung», Fedor hob resigniert die Arme: «Ich habe einen grantigen Nichtsnutz daheim rumhocken, dazu einen der stinkt wie ein Iltis. Er wäscht sich nicht, läuft nach der Arbeit weiter in den dreckigen Stallklamotten herum.»
«Hättest dir doch wieder eine Frau nehmen sollen, dem Jungen fehlte schlichtwegs die erziehende Hand und die Fürsorge einer Mutter.»
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