Lange erfüllte sich ihr Kinderwunsch nicht, sie gaben aber die Hoffnungen nicht auf. Beteten reichlich in der Synagoge und der Kirche. Gott hatte Abraham in späten Jahren ein Kind geschenkt, warum sollte das bei ihnen nicht auch so sein.
Elsa hatte schon die Vierzig überschritten, endlich gebar sie einen Knaben. Gott hatte ihr Flehen erhört, doch welcher, der der Juden oder der Christen? Sie ließen den Jungen auf den Namen Fedor, das heißt Gottesgeschenk, taufen, aber nicht beschneiden. Heimlich konnte man glauben, was man wollte.
«Er soll es einmal besser haben wie wir», Elsa sah keine Zukunft hier in diesem Land für ihren jüdischen Sohn.
Trotz Namensänderung wurden sie nirgends heimisch, blieben die Fremden. So zogen beide Familien als Fahrende, die Scholtys probierten das Tuchhändlergeschäft und die Holderlinds tingelten mit einer Musikantentruppe durch die Lande. Alle schlugen sich hundsmiserabel durchs Leben.
Wenn sich ihre Wege kreuzten, feierten sie freitags heimlich Passah. Sie waren Juden, da hatte ein wenig Weihwasser zur Taufe nichts geändert. Stellten sich dadurch außerhalb jeder Gesellschaftsklasse, gehörten weder zu den Israeliten noch zu den Katholiken.
Joseph und Elsa erhielten beim Stoffhändler Rosenbaum in Oppeln neue Waren. Hübsch anzusehende frische bunte Sommerstoffe.
«Diese lassen sich gewiss leicht verkaufen, ich überlasse sie euch für einen günstigen Preis. Unterzeichnet mir den Schuldschein hier, wenn ihr alles verkauft habt, bekomme ich mein Geld», Anna Rosenbaum, die Seniorchefin bediente sie heute. Der Tuchhändler hatte keine Zeit für die armen Wanderjuden und schickte seine Frau in den Laden, nicht ohne den Hinweis, sie solle sich nicht erweichen lassen. Anna hatte Mitleid mit den fahrenden Leuten und dem herzallerliebsten Kleinen. «Ich habe euch einen erstklassigen Preis gegeben und der Zins ist niedrig. Jetzt müsst ihr nur schnell alles unter die Dörfler bringen. Zur Abrechnung kommt ihr zu mir persönlich, verstanden!»
«Ja, vielen Dank Frau Rosenbaum, Gott segne Euch, Schalom!»
Die Scholtys zogen froh gelaunt in den herrlichen Sommertag.
«Wir versuchen es diesmal in der Gegend um Oppeln bis hinauf ins Riesengebirge. Die Bauern kaufen lieber bei uns, anstatt in die Stadt zu fahren.» Joseph stemmte sich mächtig in das Zuggeschirr des zweirädrigen Handkarrens. Bergauf schob Elsa von hinten.
Heiß brannte die hochstehende Sonne, er wischte sich den Schweiß ab. «Bis zum nächsten Dorf, Rodanje, ist es nicht mehr weit, lass uns dort oben in dem Wäldchen rasten.»
Der kleine Fedor fing das Schreien an, Elsa nahm ihn vom Wagen. «Der Junge hat Hunger und Durst, es ist gut, wenn wir zu mittagessen.» Sie streichelte den Knaben über den Kopf: «Ist ja schon gut! Gleich legen wir eine Pause ein und du bekommst etwas.»
«Wir haben Zeit, bis zum Abend schaffen wir es leicht bis Rodanje. Mit Franz habe ich mich erst nach Einbruch der Dunkelheit verabredet.»
Sie suchten sich einen Schattenplatz und setzten sich gemütlich zwischen den Bäumen ins Gras. Nach dem Essen tollte der Zweieinhalbjährige herum, bis er müde wurde.
«Ich lege Fedor dort hinten ins Gebüsch, da ist es kühler.» Elsa bettete den Jungen auf eine Decke zum Mittagsschlaf unter einen wilden Holunderbusch.
Gemeinsam lehnten sie an einem Baum und blickten in die vor Hitze flimmernde Landschaft.
«Wären wir doch in Rattenberg geblieben, die Menschen hätten uns so freundlich aufgenommen. Hier wird das nichts mehr, tagelang auf den Dörfern betteln, dass sie uns was abkaufen» sinnierte Elsa mutlos.
«Das war nicht meine Schuld, ich wollte bleiben. Aber Madam fehlte die Sonne», brummte er sarkastisch.
«Da vorne kommen zwei geritten!» Elsa stand auf. «Sollen wir uns verstecken?» Besorgt schaute sie sich um.
«Nein, das sind totsicher Pilger, die dort hinter uns zum Annabergkloster reiten.»
Vorsichtshalber packten sie aber alles auf ihren Wagen.
«Wir haben Durst, gebt uns was zu trinken!», forderte forsch ein stämmiger Mann ungehobelt, sprang, ohne den Gruß der beiden Scholtys zu erwidern, vom Pferd.
«Hier Herr, wohl bekomms!» Eilig reichte Elsa ihm den Krug.
«Pfui Teufel, das ist ja lauwarmes Wasser!», schnauzte er sie an und schmiss ihr das Gefäß vor die Füße, es zerschellte in unzählige Scherben.
«Herr, sachte, was hat euch der Krug getan? Wir haben nichts anderes.» Versuchte Joseph ihn, zu beruhigen.
«He Max, ich rieche Juden, schau die hübschen Stoffe an, da kannst deiner Alten was mitnehmen.»
Der kleinere Kerl warf die Ballen vom Wagen.
«Aufhören! Bitte! Lasst das, die teuern Stoffe werden schmutzig!»
Die beiden Reiter grinsten hämisch und kippten den Karren um.
«Nein, bitte, das ist unsere Existenz!»
«Oh, die Judenhure spricht wie eine gebildete Dame.»
Der Grobschlächtige ergriff Elsa und riss sie zu Boden. Der Stoffhändler sprang seiner Frau zu Hilfe. Da schlug ihm der andere mit einem Knüppel auf den Kopf. Blutend stürzte Joseph ins Gras.
Abwechselnd vergewaltigten die Galgenvögel, die sich verzweifelt wehrende schreiende Frau. Je mehr sie sich widersetzte, umso größeren Spaß hatten die Kerle.
«Heino, mir reichts, die macht keinen Muckser mehr.» Max stand auf, warf den schlappen Körper ins Gebüsch. «Ich stech sie ab oder willst du noch mal ran?» Der Kleine schüttelte den Kopf: «Die taugt zu nichts mehr.»
Max zog sein Messer und schnitt Elsa eiskalt die Kehle durch, schaute zu dem leblos daliegenden Joseph: «Ich glaube, der Kerl ist auch hinüber. Lass uns abhauen.»
Beide durchsuchten den Karren nach etwas Brauchbaren und verschwanden schleunigst mit ein paar Silberlingen.
Stunden später erwachte Joseph, mühsam richtete er sich auf, sein Blick fiel auf Elsa. «Neiiin!» Verzweifelt warf er sich laut aufheulend über Elsa.
Schlagartig erinnerte er sich an seinen Sohn, lief zum Gebüsch, die Decke war leer. Suchend rannte er kreuz und quer, rief immer wieder nach Fedor. Nichts, kein Laut, bedrückende Stille.
«Was soll ich noch auf der Welt? Die Frau tot, das Kind geraubt. Warum Gott tust du mir das an? Wieso dieses Elend - bin ich schuld?», händeringend suchte er eine Antwort im Himmel. «Mein Gott, war es falsch zu konvertieren? Bruder Ignatius hat behauptet, du bist der Eine , für beide Religionen.»
Er sank auf die Knie, betete das Vaterunser der Christen und das Kaddisch[Fußnote 8] zum Gott Abrahams - fand keinen Trost.
In seiner Ausweglosigkeit zerriss Joseph einen Stoff zu langen Streifen, kletterte auf den nächsten Baum und erhängte sich.
Die Kirchturmuhr schlug die elfte Stunde, es war schon stockdunkel, Franz Holderlind sorgte sich, sein Freund war immer noch nicht aufgetaucht. Das ist nicht seine Art, Joseph war für gewöhnlich früher am verabredeten Ort wie ausgemacht.
Sie wollten kurz im Nachbardorf Tuch abliefern.
Bei Sonnenaufgang weckte er den Vorarbeiter: «Bartholomäus, ich schaue einmal nach den beiden Scholtys, die wollten gestern Abend schon zurücksein. Baut ihr einstweilen das Zelt dort hinten vor der Hecke auf.»
Zweimal lief er die Strecke ab, bevor er sie etwas abseits des Weges entdeckte. Zuerst die Frau, geschändet, erstochen, dann seinen Freund an einem Ast, im Wind hin und her baumelnd. Er sah sich näher um und kam zu dem Schluss, sie waren überfallen worden. Elsa brutal vergewaltigt und ermordet. Bei Joseph war er sich nicht sicher, hatte er sich aus Verzweiflung selbst erhängt? Wo war der Junge? Er rief nach dem Kind, suchte den ganzen Hügel ab, fand endlich Fedor einige hundert Meter entfernt schlafend unter einer kleinen Fichte. Er nuckelte am Daumen, sein Kopf knallrot, er hatte lange gebrüllt und war vor Erschöpfung eingeschlafen.
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