»Ach, herrje.«
Die Bäckerin räusperte sich und fixierte uns ungeduldig. Ich nickte ihr entschuldigend zu und bezahlte meine Brötchen.
»Zwei Brezen und zwei von den Doppelsemmeln, bitte«, gab Jessica ihre Bestellung auf.
Ich wandte mich wieder Jessi zu. »Aber nicht, dass er Sven angesteckt hat!«
»Glaube ich nicht. Letztes Wochenende ging es ihm noch gut und danach haben sie sich ja nicht mehr gesehen.«
Ich zuckte zusammen. Was hatte Jessi da gerade gesagt? »Waren die beiden gestern nicht zusammen im Kino?«, fragte ich vorsichtig nach.
Jessica schüttelte den Kopf. »Nee, du, das wüsste ich«, sagte sie. »Joe ist gestern das erste Mal überhaupt aufgestanden. Der hustet sich die Lunge aus dem Leib. Du, ich muss los. Grüß Sven und sag ihm, Joe meldet sich nächste Woche sicher mal wieder bei ihm. Ciao, Hanne.« Jessica bezahlte, winkte mir noch einmal zu und verließ die Bäckerei. Ich war wie festgewurzelt und sah ihr immer noch verwirrt nach, obwohl sie längst weg war. Erst als die Bäckerin fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob ich etwas vergessen hätte, klappte ich den Mund wieder zu, schüttelte den Kopf und stolperte hinaus auf die Straße.
Das heiße Wasser konnte die Kälte in mir nicht vertreiben. Ich weiß nicht, wie lange ich schon unter der Dusche stand, als ich langsam wieder zu mir kam und bemerkte, dass ich bereits zu Hause war. Das Hungergefühl war weg. Stattdessen hatte sich ein sehr unbehagliches Gefühl in meiner Magengegend breit gemacht. Sven war gar nicht bei Joe. Wo war er dann? Verzweifelt versuchte ich, mich zu konzentrieren, aber mein Kopf konnte keinen klaren Gedanken fassen. Scheiße, dachte ich, er geht tatsächlich fremd! Das durfte einfach nicht wahr sein. Aber eine andere Erklärung fand ich nicht. Zitternd zog ich mich an und kuschelte mich mit einer dicken Wolldecke auf das Sofa. »Beruhige dich, Hanne«, sagte ich zu mir selbst, während ich die letzten Wochen Revue passieren ließ.
»Hallo, Hanne.« Sven war gerade in die Wohnung gekommen und lugte ins Wohnzimmer. Ich saß schon eine ganze Weile in die Decke eingewickelt auf dem Sofa. Diese innere Kälte wollte einfach nicht weichen. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, verschwand Sven schon wieder Richtung Küche. »Oh, du warst beim Bäcker. Hast du noch gar nicht gefrühstückt?«
Ich schluckte. »Keinen Hunger.« Sollte ich ihn direkt mit meinem Verdacht konfrontieren? Ich rief: »Du hast gar nicht erzählt, dass Joe total krank ist.«
Sven kam gerade mit einem Hörnchen in der Hand zurück ins Wohnzimmer und hielt abrupt inne. »Hä? Wieso? Hast du mit Joe gesprochen? Hast du mir nachspioniert oder was?«
»Wieso sollte ich dir nachspionieren? Dazu habe ich doch gar keinen Grund, oder? Ich habe Jessi zufällig in der Bäckerei in der Nürnberger Straße getroffen. Viele Grüße von ihr.« Ich atmete einmal tief durch, bevor ich fortfuhr: »Und Joe war gestern definitiv nicht im Kino. Habe ich da irgendetwas verpasst?«
Es dauerte einen Moment, bis Sven antwortete. »Ja, er fühlte sich nicht gut, da bin ich allein ins Kino. Komm schon, Hanne, was denkst du denn?«
Meine Stimme zitterte leicht, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben. »Was glaubst du denn, was ich denke? Wenn du nachts noch extra schreibst, du bleibst bei Joe und warst da gar nicht. Was soll ich denn da denken?«
»Das ist doch Quatsch!«, rief Sven aus. »Denkst du etwa, ich habe ein Verhältnis oder was?«
»Hast du?«, fragte ich aufgebracht.
»Du spinnst!«, schimpfte Sven und lief aus dem Zimmer. »Ich hinterfrage ja auch nicht, was du gestern gemacht hast!«, rief er zurück. »Ob du wirklich mit Meli unterwegs warst.«
Wie bitte? Was sollte das denn jetzt? Ich stand auf und ging ihm nach. »Ach, ich spinne?«, rief ich lauter, als ich beabsichtigt hatte. Ich senkte die Stimme wieder und fügte hinzu: »Weißt du, ich war wirklich mit Meli unterwegs. Und weißt du, wo wir waren? In der Tapas-Bar, in der wir mal mit Marcus und Caro waren. Und rate mal, wo wir geparkt haben. Da, wo du und ich damals auch geparkt haben – in der Seitenstraße, in der Marcus und Caro wohnen. Und weißt du, wen ich da zufällig gesehen habe?« Es war ein Schuss ins Blaue. Aber ich hatte in den letzten Stunden viel gegrübelt. Und der Gedanke, den ich anfangs noch kopfschüttelnd weggewischt hatte, hatte sich immer wieder in den Vordergrund meiner Grübelei gedrängt. Bis er sich nicht mehr wegwischen ließ.
Sven senkte den Kopf. »Hanne«, sagte er ertappt. Er kam einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück.
»Du und Caro?«
»Hanne, das ist einfach so passiert!«
»Einfach so passiert? Seit wann, Sven?«
»Ach, das ist alles gar nicht so, wie du denkst!« Sven drückte sich an mir vorbei. Er trat die Flucht an. Wenn es unbehaglich für ihn wurde, flüchtete er. Ich lief hinter ihm her und stellte mich ihm in den Weg.
»Seit wann, Sven?«, wiederholte ich meine Frage mit zitternder Stimme. »Hast du dich in der letzten Zeit mir gegenüber deshalb wie ein Arschloch verhalten? Damit mir die Trennung nicht so schwerfällt?«
»Hanne, das ist doch Quatsch!«
Fassungslos starrte ich ihn an. »Das ist Quatsch? Du vögelst mit einer gemeinsamen Bekannten und denkst, danach kannst du mich gemütlich anmotzen?«
»Hanne, jetzt halt mal die Luft an! Wenn ich dich in der letzten Zeit angemotzt habe, dann, weil du mich genervt hast!«
»Und das ist ein Grund, fremdzugehen?« Das wurde ja immer besser.
»Du verdrehst mal wieder alles!«, fauchte Sven.
»Ich verdrehe alles? Ich glaube, du verdrehst! Immer, wenn du schlechte Laune hast, versucht du, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben! Ich bin doch immer schuld!«, schimpfte ich.
»Lass mich durch, Hanne, ich muss raus!« Sven drückte sich an mir vorbei und zog sich seine Jacke über. Er war schon im Treppenhaus, als ich ihm hinterherrief: »Das war ja klar, dass du jetzt abhaust! Weiß Marcus eigentlich Bescheid?«
Sven hielt inne und drehte sich um. »Wehe, du sagst …!« Mehr hörte ich nicht. Mit einem Rumms schlug ich die Wohnungstür hinter Sven zu und sank in mich zusammen.
Immer noch zitternd schloss ich die Seitentür des Flugzeughangars auf. Wie hatte er mir das antun können? Was hatte ich gemacht, was ihm Anlass zum Fremdgehen gegeben hatte? Wir waren doch eigentlich ein tolles Paar. Wir hatten ein gemeinsames Hobby. Und guten Sex hatten wir auch. Zumindest früher. In der letzten Zeit war der tatsächlich nicht mehr so stürmisch gewesen. Aber das lag nicht an mir. Jedenfalls nicht nur. Oder doch? Den ganzen Weg zum Flugplatz hatte ich geweint. So ein Arschloch, fluchte ich immer wieder, während ich mir einen Weg zu meinem Flugzeug bahnte. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Dann begann ich, die restliche Bespannung von den Flügeln zu entfernen.
»Hanne? Hallo, wie geht es dir? Was machst du denn hier? Hast du keine gemütlichere Beschäftigung für einen Samstagnachmittag gefunden?« Das war Werner.
Ich lugte hinter meinem Flugzeug hervor. Von der Vorderseite des Hangars schien Licht herein, sodass man den Staub tanzen sah. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand hereingekommen war. »Oh, Werner. Grüß dich. Geht deine Flugstunde schon los?« Ich verbarg mein Gesicht, so gut es ging. Werner musste ja nicht gerade mitbekommen, wie verheult ich war. Zum Glück blieb er mit einigem Abstand stehen.
»Ja, gleich. Ich wollte etwas früher kommen und schon mal tanken. Ich habe dein Mofa gesehen, da dachte ich mir, dass du hier bist. Alles klar bei dir?«
»Hmja, ich musste ein bisschen arbeiten.«
»Ein bisschen?« Werner grinste und ließ seinen Blick über den Fußboden schweifen. Er zeigte auf die Fetzen. »Was sagt denn dein Mann dazu, dass du ihn an so einem schönen Wochenende allein zu Hause sitzen lässt? Oder hat er dich etwa versetzt?«, fragte er lachend.
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