Traurig nickte er. »Ja, oft. Und du ähnelst ihr immer mehr, Prinzessin.« Ich nahm ihn in den Arm und er drückte mich fest an sich.
»Willst du dich auch einmal schütteln?«, fragte ich. »Dann hole ich die Schachtel wieder runter.«
»Nein, nein, die hat gerade genug zu verdauen«, sagte er und lächelte schon wieder. »Apropos. Hast du schon einen Namen für sie?«
»Für die Schachtel?«
»Ja, natürlich. Du gibst doch hier immer allem irgendwelche sonderbaren Namen.«
Hm, ein Name für eine Sorgenschachtel? »Soscha«, sagte ich kurzerhand.
Mein Vater schmunzelte erneut. »Das passt«, nickte er. »Kommst du mit zu mir? Ich habe noch Kartoffelsuppe. Die hilft immer.«
Wollte ich mit meinem Vater kommen? Ich nickte. »Ja, Papa, ich komme mit. Wie könnte ich bei deiner Kartoffelsuppe Nein sagen? Danke.«
Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging nach nebenan ins Büro, um meine Sachen zu holen.
»Jetzt besser?«, fragte mein Vater, als er die leeren Suppenteller abräumte.
»Danke, Papa.« Ich lehnte mich zurück und streckte mich. Dank einer langen warmen Dusche und der Kartoffelsuppe war mir wieder warm geworden. Allerdings hatte ich Kopfschmerzen und im Hals kratzte es verdächtig. »Ich glaube, jetzt werde ich auch krank.«
»Ach, herrje. Und ich bin schuld!«, rief mein Vater.
»Nee, Papa, bist du nicht. Ich habe das halbe Wochenende in der Kälte im Hangar gewerkelt. Da habe ich mich verkühlt. Wenn jemand die Schuld dafür hat, dann höchstens Sven. Aber nicht mal der kann was dafür, dass ich nicht auf die Kälte geachtet habe.«
»Ach, Hanne. Leg dich doch aufs Sofa.«
Ich nickte, ging ins Wohnzimmer und kuschelte mich in die alte Wolldecke, die auf dem Sofa lag.
»Ich habe dir auch schon das Gästebett bezogen«, rief mein Vater aus der Küche. Mehr hörte ich nicht, denn ich schlief sofort ein.
***
Es ging mir schlecht. Nicht nur wegen Sven. Ich hatte Fieber, höllische Kopfschmerzen und Husten. Wäre ich allein gewesen, hätte ich die letzten Tage wahrscheinlich weder gegessen noch ausreichend getrunken. Aber mein Vater umsorgte mich wie zu den Zeiten, als ich noch ein Kind war. Und manchmal fühlte ich mich tatsächlich wieder wie ein Kind. Ich träumte sogar mehrmals von meiner Mutter. Von den Urlauben, die wir zusammen unternommen hatten. Wir waren so glücklich gewesen. Bis zu dem blöden Unfall. Eigentlich hatte ich gedacht, dieses Glück mit Sven teilen und eine eigene Familie mit ihm gründen zu können. Doch auch das hatte nicht geklappt. Als ich an ihn dachte, versetzte es mir sofort einen Stich ins Herz. Meli mochte recht haben – in der letzten Zeit war er oft an die Decke gegangen und hatte seine schlechte Laune an mir ausgelassen. Doch ich liebte ihn immer noch und es verletzte mich zutiefst, was passiert war. So drehten sich meine Gedanken im Kreis, bis mir ganz schwindlig wurde.
Das Telefon klingelte. Mein Vater war nicht da, also angelte ich mir den Hörer. »Frantz«, krächzte ich.
»Hanne.«
»Sven? Was willst du?« Ich wollte das Gespräch wegdrücken, doch Sven rief: »Bitte, Hanne, nur ganz kurz!«
»Was?«
»Ich wollte dir nur sagen, ich werde am Wochenende meine Sachen aus der Wohnung räumen. Ich habe kurzfristig etwas anderes gefunden.«
»Ähm«, machte ich. Na prima. Und jetzt? So weit hatte ich in den letzten Tagen noch gar nicht gedacht. Was sollte ich jetzt machen? Die Miete war für mich allein doch viel zu hoch. Außerdem lief der Mietvertrag auf Sven. »Und ich?«
»Na, wir können den Vertrag auf dich ändern. Das sollte kein Problem sein.«
»Sven, ich kann mir die Miete aber allein nicht leisten!«
»Hanne, ich wollte nicht, dass es so endet, aber …« Ich legte auf. Was jetzt? Sven hatte das verbockt, sollte er sich um die Wohnung kümmern. Ich kochte innerlich. Vorsichtig stand ich auf. Ich war noch ziemlich wacklig auf den Beinen, aber es ging mir besser. Körperlich jedenfalls. Das Fieber war weg und die Kopf- und Gliederschmerzen auch. Ich rief Meli an.
»Meli, ich brauche eure Hilfe.«
»Hallo, Hanne. Wie geht es dir überhaupt?«
»Geht so.«
»Wie können wir dir helfen?«
»Ich muss meine Sachen aus unserer Wohnung holen.«
»Hat er dich rausgeschmissen?« Meli brauste schon wieder auf.
»Nein, er will ausziehen und die Wohnung mir überlassen. Das kann ich mir aber nicht leisten.« Außerdem wollte ich ganz sicher nicht in unserer gemeinsamen Wohnung leben, in der mich jede Ecke an Sven erinnern würde. »Kannst du mir helfen?«
»Ja, natürlich. Und wohin willst du deine Sachen tun? Hast du schon eine neue Bleibe?«
»Nein, aber ich dachte, ich frage Kristian, ob am Flugplatz noch eine Ecke im Westhangar frei ist. Da könnte ich vielleicht die Sachen lagern. Viele Möbel sind ja nicht von mir.«
»Okay … Wann willst du ausziehen? Geht es dir besser?«
»Ein bisschen schwach. Habt ihr heute Abend Zeit?« Ich musste Sven unbedingt zuvorkommen.
»Was, so schnell?«, rief Meli. Eine Weile sagte sie nichts. Bevor ich fragen konnte, ob sie noch da wäre, fügte sie hinzu: »Ich frage Sami und melde mich gleich wieder. In Ordnung?«
»Danke, Meli.«
Ich legte auf, straffte die Schultern und ging in die Küche, um mir erst einmal einen Kaffee zu holen. In den letzten Tagen hatte ich nur Kamillentee getrunken. Der Kaffee war zwar schon kalt, aber er half mir. Langsam spürte ich, wie meine Energie wiederkam. Als Nächstes rief ich Kristian an, einen der Flugleiter vom Flugplatz. Er bestätigte mir, dass es für eine kurze Zeit kein Problem sein sollte, ein paar Kartons am Flugplatz abzustellen, solange sich der benötigte Platz in Grenzen hielt. Und er hatte sogar Zeit, mir am Abend beim Ausräumen zu helfen.
Als ich meine Jeans anzog, stellte ich fest, dass ich in den letzten Tagen wirklich nicht viel gegessen hatte. Jedenfalls rutschte die Hose und ich musste mir einen Gürtel von meinem Vater suchen.
Sven war glücklicherweise nicht da, als ich die Wohnung betrat. Seltsam, sie kam mir total fremd vor. Sie roch auch fremd. Dabei war ich doch nur wenige Tage nicht hier gewesen. Ich stellte die Umzugskartons in den Flur, die ich aus dem Keller geholt hatte. Dann ging ich durch die Räume und es versetzte mir einen Stich. Wie konnte das alles nur so schnell passiert sein? Es war doch gar nicht lange her, dass ich hier mit meinem Freund glücklich war und Zukunftspläne geschmiedet hatte. Meinem Ex-Freund. Der Kloß in meinem Hals drückte noch mehr, als ich ins Schlafzimmer ging. Das Bett war nicht gemacht. Dabei war Sven doch so ein Ordnungsfanatiker. Vielleicht hatte er gar nicht hier geschlafen, sondern in Nürnberg? Und Marcus? Was war mit dem? Der musste sich doch bestimmt genauso beschissen fühlen wie ich. Armer Kerl, dachte ich wieder.
Ich nahm meinen Trecking-Rucksack, der auf dem Schlafzimmerschrank lag und warf ihn aufs Bett. Dann holte ich Kleidungsstück für Kleidungsstück aus dem Schrank und aus den Schubladen. Es war schon von Vorteil, wenn man nicht viel Krempel besaß. Nach der Kleidung kamen die Bücher und meine CDs. Was sollte ich mit den CDs machen, die wir uns gemeinsam gekauft hatten? Ich legte sie auf den Wohnzimmertisch. Der blieb eh hier, denn Sven hatte ihn damals mit in die Beziehung gebracht, so wie die gesamte Wohnzimmereinrichtung. Sollte er entscheiden. Ich legte meine Sachen in einen Karton, ebenso meine Luftfahrtkarten und Ordner. Bald waren alle Kartons voll, obwohl ich noch nicht einmal in der Küche oder im Bad gewesen war. Anscheinend besaß ich doch mehr, als ich gedacht hatte.
Es klingelte. Meli und Sami waren gekommen. Die beiden begrüßten mich mit einer herzlichen Umarmung und sahen mich fragend an. »Hanne, du siehst furchtbar aus. Geht es dir wirklich besser?«
»Geht schon, danke«, entgegnete ich und versuchte mich an einem Lächeln.
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