Autsch, das saß. Werner, du hast ein Taktgefühl wie eine Dampfwalze, dachte ich. Ich schluckte und spürte die aufkommenden Tränen. »So in der Art«, presste ich mühsam hervor.
»Werner? Hallo? Bist du schon da?«, rief jemand vom Vorfeld in den Hangar hinein. Der andere Pilot war gekommen. Werner drehte sich um, rief ihm einen Gruß zu, murmelte etwas zum Abschied und ging nach draußen.
Ich ließ mich zurück auf den Boden sinken. Etwas zu schnell. Aber als ich es bemerkte, war es schon zu spät. Mit einem heftigen Klong schlug mein Kopf auf den Beton. »Verfluchte Scheiße!«, schimpfte ich und rieb mir den Hinterkopf. Das tat weh. Aber es half mir, mich etwas zu beruhigen. Als Werner weg war, krabbelte ich unter dem Flieger hervor. Vorsichtig tastete ich meinen Hinterkopf ab. Die Beule spürte ich jetzt schon. Die zweite innerhalb einer Woche. Ich bückte mich, um die Bespannungsreste aufzusammeln und in einen Müllsack zu stopfen.
Erst, als es dunkel war und der Flugplatz schon geschlossen hatte, trat ich auf das Vorfeld hinaus. Ich schloss die Tür zum Hangar ab und ließ meinen Blick über die Landebahn schweifen. Vom Flugplatzcafé drang leises Gelächter herüber. Maria und Carlo, die das Restaurant betrieben, machten gerade Feierabend und ich sah, wie die beiden die Tür abschlossen und dann Arm in Arm Richtung Parkplatz gingen. Ansonsten war niemand mehr zu sehen. Ich sog die kühle Luft tief ein und machte mich auf den Weg zum Büro der Flugschule. Es lag nicht weit vom Hangar entfernt in einem Nebengebäude.
Das Neonlicht ließ mich blinzeln und es dauerte etwas, bis ich mich an das grelle Licht gewöhnt hatte. Ich legte meine Tasche auf einen der Tische und mein Blick fiel auf die Luftaufnahmen an den Wänden. Einige hatte ich mit Sven gemacht, letzten Sommer während einer Tour nach Dänemark. Mit vier Maschinen waren wir mit Flugschülern, Freunden und Charterkunden eine Woche lang unterwegs gewesen.
Langsam bemerkte ich, dass ich nicht nur komplett durchgefroren war, sondern außerdem den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Appetit hatte ich nicht, aber mir war inzwischen etwas flau in der Magengegend. Kein Wunder. Ich war heute Morgen sogar laufen. Und die Brezen lagen wahrscheinlich immer noch auf dem Küchentisch, wenn Sven nicht zurückgekommen war und sie aufgegessen hatte. In einer Ecke des Raumes war eine kleine Teeküche eingerichtet. Dort fand ich in einem der Schränke noch ein paar Tütchen mit Fertigsuppen. Lustlos füllte ich Wasser in den Wasserkocher und wartete, dass es kochte.
Mit Suppe und Tee hockte ich mich auf einen der Stühle und schob die Luftfahrtkarten beiseite, die auf dem Tisch lagen. Ich hatte schon eine ganze Weile in der Suppe herumgerührt, ohne einen Löffel davon gegessen zu haben, als mein Telefon vibrierte. Ich fischte es aus der Jackentasche und starrte auf das Display. Insgesamt 15 Nachrichten, davon 13 von Sven. Eine Nachricht war von Meli, die sich erkundigte, ob ich gut geschlafen hatte. Ich fragte zurück, ob sie die nächste Woche ohne mich zurechtkämen, ich würde mich nicht gut fühlen und es später erklären. Die letzte Nachricht war von Marcus. Er fragte, wann genau die Teambesprechung morgen bei Rudi stattfinden würde. Die Teambesprechung … Die hatte ich ganz vergessen. Ich würde sie absagen müssen. Das Letzte, was ich jetzt wollte, war eine Besprechung mit Werner, Rudi und Marcus. Der Arme. Anscheinend wusste er noch nicht Bescheid. Ob Sven bei Caro war und mit ihr diskutierte, ob und wie sie das alles Marcus erklären wollten?
Ich drückte auf »Sven« und löschte seine Nachrichten, bevor ich sie gelesen hatte. Es war mir egal, was er geschrieben hatte. Ich wollte nichts von ihm hören, lesen oder wissen und schaltete das Handy aus.
Müde rollte ich mir nach dem Essen Schlafsack und Isomatte in unserem kleinen Büro neben dem Vorbereitungsraum aus. Bevor ich von zu Hause losgefahren war, hatte ich sie zusammen mit ein paar Klamotten, meiner Zahnbürste und meinem Laptop eingepackt. Natürlich hätte ich auch bei Meli oder meinem Vater pennen können, aber ich hatte weder Lust auf Familientrubel noch auf Erklärungen, die ich Rudi hätte geben müssen. Außerdem war er ja krank und hatte somit eigene Sorgen. Kaum hatte ich mich in meinen Schlafsack gelegt, fiel ich auch schon in einen unruhigen Schlaf.
***
»Hanne? Was machst du denn hier?«
Ich blinzelte. Es war bereits hell, aber wie spät war es? Und wo war ich? Ach ja, im Büro der Flugschule. »Marcus? Wie spät ist es? Ich dachte, du bist bei deinen Eltern?«
»Das war ich auch, bis …« Er schaute auf seine Armbanduhr. »… bis vor drei Stunden. Wieso schläfst du hier? Mannomann, siehst du fertig aus. Hast du mal wieder zu lange an deinem Flieger gebastelt und wolltest Sven nicht wecken?«
Er wusste es noch nicht. »Warst du noch nicht zu Hause?«, fragte ich vorsichtig.
»Nee. Ich wollte erst noch was holen wegen unserer Besprechung nachher.«
Ach, verdammt. Ich hatte doch noch vergessen, das Treffen abzusagen. »Oje, die wollte ich absagen und habe es vergessen. Bist du extra deshalb früher gekommen?«
»Nein, nicht nur deshalb. Caro und ich haben heute unser Fünfjähriges und ich wollte noch mit ihr essen gehen. Soll eine Überraschung werden.«
Ich schluckte. »Du, Rudi ist total erkältet. Und ich fühle mich auch nicht gut. Lass uns das Treffen verschieben, ja? Kannst du noch Werner Bescheid geben? Bitte?«
»Klar, wenn es dir nicht gut geht. Was ist denn los? Du siehst wirklich nicht gut aus. Und wieso schläfst du hier?«, wiederholte er seine Frage.
Ich starrte ihn einfach nur an, spürte, wie die Tränen sich schon wieder ihren Weg bahnten und konnte nicht anders. Ich heulte einfach los. Marcus sah mich bestürzt an, ging in die Hocke und nahm mich in den Arm. Irgendwann richtete ich mich auf. »Oh, entschuldige. Ich habe dein ganzes Hemd vollgesabbert.«
Marcus schaute an sich hinunter und lächelte. »Halb so wild. Hey, was ist denn passiert? Ähm, wenn du darüber reden möchtest.« Er stand ebenfalls wieder auf und schaute mich mitfühlend an. Was sollte ich jetzt machen? Halbe Wahrheit? Die ganze Wahrheit konnte ich ihm doch nicht antun.
»Sven …«, brachte ich nur hervor. Da war ein dicker Kloß in meinem Hals, der mich am Weiterreden hinderte.
»Du musst nicht mit mir darüber reden. Soll ich dich lieber erst einmal allein lassen? Dann schreibe ich den anderen, dass wir das Treffen verschieben und mache mir bis dahin einfach selbst noch ein paar Gedanken, wie wir die Bekanntheit der Flugschule steigern können. Okay? Ich mache mich dann mal auf den Weg zu Caro. Sie hat heute Vormittag wieder hier in Erlangen Dienst. In der neuen Filiale vom Fitness-Studio.«
Ich sagte nichts. Sah ihn einfach nur an. Marcus nickte, drückte meinen Arm und ging aus dem Büro. Ich stand da wie festgewachsen. Hatte er Fitness-Studio gesagt? Caro arbeitete in der neuen Filiale, in der Sven seit Neustem immerzu abhing? Ich riss mich aus meiner Lethargie und rannte aus dem Büro. »Marcus?« Aber er war schon weg.
»Hanne!«
Erschrocken drehte ich mich um. Meli stand vor dem Büro und klopfte gegen die Fensterscheibe. Sie winkte. Ich deutete ihr an, zur Tür zu kommen und stand auf. Inzwischen war es um die Mittagszeit.
»Hanne, hier steckst du!«, rief sie, als sie mir gegenüberstand.
»Woher weißt du, dass ich hier bin?«, fragte ich müde.
»Hanne, ich habe deine Nachricht bekommen, dass du Vertretung brauchst, aber ich konnte dich nicht mehr erreichen. Und bei dir zu Hause war auch niemand. Wo könntest du dann wohl sein?« Meli drängte sich an mir vorbei. »Hast du einen Tee für mich? Mir ist echt kalt.« Ich nickte und schlurfte zur Teeküche, um Wasser aufzusetzen. Meli folgte mir und sagte: »Komm mal her, du.« Als ich mich zu ihr umgedreht hatte, nahm sie mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich spürte neue Tränen in mir aufsteigen, aber noch konnte ich sie unterdrücken. In den letzten Stunden hatte ich mehr als genug geweint. Als der Wasserkocher aussprang, löste ich mich aus der Umarmung, holte eine Packung mit Teebeuteln und zwei Tassen aus dem Schrank über der Spüle und goss das kochende Wasser auf.
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