Meli saß schon am Tisch, als ich mit dem dampfenden Tee aus der Teeküche kam und sah mich erwartungsvoll an. »Danke. Ich weiß ja gar nicht, was seit Freitag passiert ist. Hast du mit Sven gesprochen? Magst du reden?«
Ich nickte, setzte mich auf einen Stuhl neben meine Freundin und zog ein Bein hoch, um mein Kinn auf dem Knie abzustützen.
»Und? Muss ich dir jetzt jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?« Meli stupste mich an. Also erzählte ich. Meli hörte einfach nur zu. Als ich an dem Punkt angekommen war, an dem ich meine Sachen gepackt und zum Flugplatz gefahren war, nahm sie mich in den Arm.
»Willst du eine Weile zu uns ziehen?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein, das ist lieb von dir, aber ich hätte lieber etwas mehr Ruhe. Bitte entschuldige.«
»Hey, du musst dich nicht entschuldigen! Das verstehe ich doch. Und jetzt? Hat Sven sich schon gemeldet?«
»Ich habe seine Nachrichten gelöscht. Keine Ahnung, was er geschrieben hat. Du, ich fühle mich total elend.«
»Na, das ist ja auch kein Wunder!«, schimpfte Meli. »Was ist denn in den Kerl gefahren, dass er dich betrügt! Und dann auch noch mit der Freundin eures Fluglehrers!«
»Marcus war vorhin hier und er wusste das noch gar nicht. Und ich habe ihm nichts erzählt.« Ich machte mir inzwischen wirklich Vorwürfe, dass ich zu feige gewesen war, ihm etwas zu sagen.
»Hanne, das ist auch nicht deine Aufgabe. Das muss Caro tun.«
»Aber er tut mir so leid. Er hatte eine Überraschung für sie geplant«, rief ich und schluchzte doch wieder los.
»Das macht es natürlich nicht einfacher. Aber mach dich doch deshalb nicht fertig.« Meli stand auf. »Hast du überhaupt schon etwas gegessen?«
»Keinen Hunger.«
»Nix da, du isst jetzt etwas. Ich hole uns was vom Restaurant nebenan, in Ordnung?«
»Meli, danke, aber musst du nicht ins Café?«
»Mach dir keine Gedanken. Meine Schwiegermutter ist da. Ihre Schwester ist gestern aus München gekommen und passt auf die Kinder auf. Bin gleich wieder da.«
Ehe ich noch etwas erwidern konnte, war Meli schon weg. Keine halbe Stunde später kam sie mit zwei Tellern Pizza zurück und stellte einen vor mich auf den Tisch.
»Danke, Meli.« Ich nahm ein Stück von der Pizza und biss vorsichtig ab. Eigentlich hatte ich wirklich Hunger. Und die Pizza hier war gut. Unter normalen Umständen hätte sie mir sicher bestens geschmeckt. Heute aber schmeckte sie fad, trotz Artischocken und Champignons.
»So«, sagte Meli kauend. Ihr schmeckte ihre Quattro Formaggi anscheinend sehr gut. »Wie geht es jetzt weiter?«
»Wenn ich das wüsste«, sagte ich mit einem Seufzen.
Ich kaute lustlos an meinem letzten Pizzastück herum, als Sven den Kopf durch die Tür steckte. Was wollte der denn jetzt hier?
»Hey, Hanne, hier steckst du. Hallo, Meli.« Sven nickte ihr kurz zu, während Meli ihn böse anfunkelte. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Hanne, kann ich bitte mit dir reden, du gehst nicht an dein Telefon.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich will aber nicht mit dir reden.«
»Wir müssen aber reden!«
»Ach, jetzt auf einmal müssen wir reden?«
Meli schaute zwischen uns hin und her. »Soll ich mal lieber gehen, Hanne?« Sie stand auf, aber ich hielt sie zurück.
»Nein, bleib.« Dann wandte ich mich an Sven. » Du solltest jetzt besser gehen!«, sagte ich.
»Hanne!«, rief Sven. »Das ist doch albern.«
»Albern? Du findest es albern, dass ich gekränkt bin, weil du was mit Caro hast?«
»Ich wollte nicht so mit dir Schluss machen, Hanne!«
»Wie denn dann? Erstmal gucken, ob das gut passt mit euch beiden? Weißt du, wie ich mich fühle?!«, schrie ich aufgebracht.
Sven senkte den Kopf. »Wir wollten es euch sagen. Bald.« Er schwieg kurz. Dann fuhr er fort: »Und du musst doch einsehen, dass es mit dir und mir nicht mehr lange gutgegangen wäre.«
Meli stand nun doch auf. »Hanne, ich lasse euch lieber mal in Ruhe reden, in Ordnung?«
Sie nahm ihren leeren Teller, um ihn zurück zum Flugplatzcafé zu bringen und griff nach meinem Teller. Gerade noch rechtzeitig, denn ich hatte plötzlich das Bedürfnis verspürt, Sven etwas an den Kopf zu werfen und den Teller erspäht. Alles, was meine Hand nun zu greifen bekam, war ein Kugelschreiber. Den schmiss ich mit voller Wucht nach Sven. Der wehrte ab und schimpfte: »Spinnst du? Du bist ja verrückt geworden!«
Meli ging mit den Tellern in der Hand zu Sven und schob ihn aus der Tür. Er wollte protestieren, ging dann aber mit ihr nach draußen. Ich hörte noch, wie die beiden vor dem Gebäude diskutierten. Dann wurde es ruhig. Draußen jedenfalls. Ich war alles andere als ruhig. Ich bebte und fühlte mich so gedemütigt. Wie lange lief das zwischen den beiden schon? Wie oft hatten sie sich getroffen? Ich wusste es nicht und ich wollte es auch nicht wissen. Oder doch? Damit ich mich noch schlechter fühlen konnte? Jetzt kamen sie schon wieder, die Tränen. Ich löschte das Licht, ging zu meiner Isomatte und verkroch mich in meinen Schlafsack.
Ich wurde wach, weil mir jemand über die Haare strich. Erschrocken richtete ich mich auf, doch dann sah ich, dass es mein Vater war. »Hallo, Prinzessin.« Seit ich denken konnte, nannte mein Vater mich schon so. Er nahm mich in den Arm. Ich fühlte mich gleich geborgen in seinen Armen. Wie früher.
»Woher weißt du …?«
»Meli hat mich angerufen. Wie geht es dir?«
»Ach, Papa. Nicht gut.«
»Hey, das wird wieder. Der kriegt sich wieder ein.«
»Der muss sich nicht wieder einkriegen.«
»Was denn, so schlimm?«
»Papa, Sven hat ein Verhältnis mit der Freundin von Marcus«, klagte ich.
»Oh, das hat Meli mir nicht erzählt. Mit der Caro? Sven? Das ist ja ein Ding! Und was sagt Marcus dazu?« Mein Vater schniefte und suchte ein Taschentuch.
Ich zuckte mit den Schultern und reichte ihm eins von meinen. »Hier, ich habe genug. Wie geht es denn deiner Erkältung?«
»Och, der geht es gut«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. »Aber keine Sorge. Mir geht es auch schon wieder besser. Soll ich dir mal einen Tee machen? Oder einen Kaffee?«
»Danke, Papa. Kaffee wäre prima.«
»Dann schau ich mal, ob ich Elsa erwärmen kann, uns was Gutes zu tun.«
Elsa, das war die gute Seele unserer Flugschule: unsere Kaffeemaschine. Den Namen hatte ich ihr gegeben. Ich krabbelte aus dem Schlafsack und folgte meinem Vater in den Nachbarraum. Er werkelte noch an der Kaffeemaschine herum.
»Guck mal, da!«, rief er und zeigte auf einen kleinen Pappkarton, der auf dem Tisch stand. Am Vortag hatte er da noch nicht gestanden. Ich ging zum Tisch und schaute in den Karton, aber er war leer. Fragend sah ich meinen Vater an, der mit zwei Tassen duftendem Kaffee zum Tisch kam.
»Was meinst du?«, wollte ich wissen.
»Na, die Schachtel.«
»Die ist leer«, stellte ich fest.
»Ja«, brummte mein Vater. »Und deshalb ist da jetzt auch genügend Platz für deine Sorgen. Das ist eine Sorgenschachtel und du füllst die jetzt. Dann geht es dir besser.«
Nun musste ich doch schmunzeln.
»Ha, wusste ich doch, dass ich dich wieder zum Lächeln bringe. So, einmal schütteln und dann verschließen wir das Ding und stellen es hoch auf das Regal.«
Ich lachte, schüttelte mich und schloss schnell den Karton. »So?«
»Perfekt!«, grinste Rudi. »Besser?«
»Etwas …«
»Dann machst du das heute Abend nochmal und später einfach bei Bedarf.«
»Alles klar, Herr Doktor«, sagte ich und rieb mir den restlichen Schlaf aus den Augen. »Aber kommen die Sorgen dann nicht wieder raus?«
»Nein, nein, davon ernährt sich die alte Schachtel. In einer Stunde ist sie wieder leer.«
»Aha«, machte ich und stellte die Schachtel auf ein Regal. Mein Vater war wirklich etwas Besonderes. Kein Wunder, dass meine Mutter so viel mit ihm gelacht hatte, als sie noch lebte. »Papa, denkst du noch viel an Mama?«
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