Und Frösche können fliegen
Maja Christ
Roman
»Über den Wolken bin ich frei, denn da scheint immer die Sonne.«
Als Fluglehrerin an der väterlichen Flugschule in der Fränkischen Schweiz kann Hanne fliegen, wann immer sie möchte. Doch nicht allen Sorgen am Boden kann man davonfliegen: Die Flugschule schreibt rote Zahlen und dann zerbricht auch noch Hannes Beziehung.
Hanne wäre nicht Hanne, wenn sie sich davon unterkriegen lassen würde. Erst einmal muss sie sich um die Flugschule kümmern. Ein Traumprinz wird sich dann schon finden. Hauptsache, er liebt die Fliegerei so wie sie. Oder lieber doch nicht?
Ein Roman über die Liebe zum Fliegen, das Glück und das Leben drumherum.
Die Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. Auch den Flugplatz Erlangen und die »Flugschule Fränkische Schweiz« von Hanne und Rudi Frantz gibt es nicht in Wirklichkeit. Doch es gibt innerhalb und außerhalb der fränkischen Schweiz viele andere Flugplätze mit netten Fluglehrern und Piloten, bei denen man mal einen Rundflug machen kann (oder einen Pilotenschein). Verwendete Fachbegriffe aus der Fliegersprache sind in einem Glossar am Ende des Buches erläutert – direkt nach den Rezepten aus dem Buch.
Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet.
Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.
Leonardo da Vinci (1452–1519)
Der Wind pfiff unbarmherzig durch die Ritzen des Hangars und rüttelte an den Toren. Meine Finger waren bereits taub vor Kälte und konnten kaum noch die Schraube halten, die ich gerade festzuziehen versuchte.
»Mach schon, du dummes Ding«, flüsterte ich mit zitternder Stimme. Doch statt sich festziehen zu lassen, kullerte die Schraube irgendwo unter das Flugzeug, an dessen Fahrwerk ich hier gerade herumwerkelte. Der Schrotthaufen , wie mein Freund Sven es nannte. Das war nicht besonders freundlich, auch wenn der jetzige Zustand die Bezeichnung Flugzeug vielleicht tatsächlich infrage stellte. Aber der Doppeldecker aus den 1930er Jahren war einmal ein Flugzeug gewesen und sollte auch wieder eines werden. Mein Focke-Wulf FW 44 »Stieglitz« war ein echter Glücksgriff für mich gewesen, denn es gab nicht mehr viele seiner Art und flugfertig waren noch viel weniger. Er war in keinem guten Zustand gewesen, als ich ihn vor ein paar Jahren ergattert hatte und in fast jeder freien Minute restaurierte ich ihn nun liebevoll oder organisierte Ersatzteile in Deutschland oder England oder sonst irgendwo. Im letzten Jahr hatte ich mit der Unterstützung eines befreundeten Bauprüfers und mit Bekannten bereits den gesamten Stahlrohrrumpf überprüfen lassen und restauriert. Jetzt war das Fahrwerk dran, dann die Steuerung. Bis mein »Vogel« wieder fliegen würde, lag noch ein Haufen Arbeit vor mir. Immerhin hatte ich bereits einen funktionstüchtigen Motor: Das Herzstück meines Flugzeugs – ein 7-Zylinder-Sternmotor – stand, bedeckt mit einer Plane, auf einem Bock an der Seite.
Wenn Sven etwas regelmäßiger helfen würde, könnte es viel schneller gehen. Aber mein Freund hatte kein Interesse daran, nachdem er mitbekommen hatte, wie viel Arbeit das bedeutete. Und wie kalt es in diesem Hangar im Winter wurde. Was mein kleiner Petroleum-Ofen an Wärme spendete, war kaum der Rede wert. Vielleicht hätte ich mir eine Art Zelt bauen sollen, damit die Wärme sich nicht so schnell in der Halle verflüchtigte. Langsam fragte ich mich, was ich bei den Minusgraden überhaupt hier tat. Jeder vernünftige Mensch würde an einem Samstag im Februar auf dem Sofa sitzen, vielleicht Kakao trinken und ein gutes Buch lesen oder mit dem Partner kuscheln. Nur Verrückte lagen auf einem kleinen Stück Pappe auf kaltem Betonfußboden in der hintersten Ecke eines Hangars. Na ja, und Piloten vielleicht. Als Pilot war man ja auch immer ein wenig verrückt – zumindest verrückt nach Fliegen und Abenteuer …
Ich seufzte. Tatsächlich hatte ich mir für heute auch eine andere Freizeitbeschäftigung gewünscht. Doch Sven hatte es vorgezogen, den Vormittag im Fitness-Center zu verbringen. Da war ich kurzerhand zum Erlanger Flugplatz aufgebrochen. Bald würde ich kapitulieren. Aber das hier schaffte ich noch. Ich drehte mich, um die Schraube zu suchen. Dabei fiel mir auch noch der Schraubendreher aus der Hand. Kein Wunder, meine Finger waren wirklich schon steifgefroren. Ich angelte mir eine neue Schraube und hielt Ausschau nach dem Schraubendreher.
Ein Knall ließ mich zusammenzucken. Eiskalte Luft kroch über den Boden – als ob mir nicht schon kalt genug gewesen wäre. Jemand musste die Seitentür des Hangars geöffnet und nicht festgehalten haben. Wer kam denn außer mir bei diesem Wetter zum Flugplatz? Jemand fluchte, dann war die Tür wieder zu.
»Hanne?« Das war Svens Stimme. Ich versuchte, mich aufzurichten und ein dumpfer Schlag traf meine Stirn. Ich hatte mir den Kopf gestoßen. Aua, das tat weh. Stöhnend ließ ich mich zurück auf den Boden sinken.
»Hanne! Bist du hier?« Diesmal war der Ton schon leicht gereizt.
»Hallo, Schatz! Ich bin hier hinten!«, rief ich und tastete nach meiner Stirn. Das würde eine hübsche kleine Beule geben.
Sven bahnte sich leise fluchend seinen Weg durch den Hangar. Außer meinem Flugzeug standen in der Halle noch zwei weitere Flugzeuge, die auf Reparaturen warteten und von der Decke hing zwischen den Neonlampen der kaputte Rumpf eines alten Segelflugzeugs.
»Hey, mein Schatz! Schön, dass du da bist«, rief ich.
»Hallo, Hanne.« Sven beugte sich zu mir herunter und gab mir einen flüchtigen Kuss. Als er sich aufrichtete, musste ich lachen.
»Was?«, wollte Sven wissen.
»Du hast da einen Ölfleck auf der Nase!«, gluckste ich.
»Na, von wem habe ich den wohl?«, presste Sven mürrisch hervor. »Du bist ja schließlich voll Schmiere im Gesicht.«
»Hey, macht doch nichts. Hinten auf dem Werkzeugwagen sind saubere Tücher. Warum so mürrisch?«, fragte ich.
»Na, vielleicht, weil ich mir Schöneres vorstellen kann, als mein Wochenende hier in dieser Eiseskälte zu verbringen. Ich wollte dich abholen, damit du hier nicht wieder ewig versumpfst. Ich habe schon mehrmals versucht, dich anzurufen. Aber du gehst ja nicht an dein Handy«, schimpfte Sven.
»Oh, entschuldige, meine Tasche liegt im Büro«, antwortete ich. An mein Handy hatte ich gar nicht gedacht. »Ich muss hier nur noch etwas festdrehen, dann kann ich gerne Schluss machen. Wenn du ein bisschen hilfst, geht es sicher schneller. Magst du mir mal den Schraubendreher geben? Der muss da irgendwo zu deinen Füßen liegen.«
Sven ging zum Werkzeugwagen, wickelte ein paar Tücher ab, rubbelte sich die Schmiere aus dem Gesicht und sah sich um. »Da sind bloß Splinte, Kabelbinder und Schraubenschlüssel. Aber keine Schraubendreher.«
»Auf dem Boden, Sven. Da vorne, unter dem Werkzeugwagen.«
»Du und deine Ordnung«, brummte Sven.
»Der ist mir gerade weggerollt«, setzte ich zu meiner Verteidigung an.
»Ah, ja.« Sven bückte sich, hob das Werkzeug auf und reichte es mir.
»Danke!«
»Hanne, du hast Eisfinger! Du holst dir hier echt noch den Tod.«
Ich verkniff mir einen Kommentar. Sven war manchmal ziemlich mürrisch. Außerdem hatte er einen kleinen Ordnungsfimmel. Er war wie ich fast 30 und Sportpilot, aber im Gegensatz zu mir mochte er lieber modernere Maschinen. Nicht solche Oldtimer. Dabei war das Fliegen mit einem solchen Schätzchen viel echter als mit einem hochmodernen Flugzeug. Das war jedenfalls meine Meinung.
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