Bei unserer Cessna war bald eine Motorgrundüberholung fällig und auch bei unserem Ultraleichtflugzeug, einer C42, standen Wartungsarbeiten an. Eine weitere C42 gehörte Werner, einem unserer Fluglehrer. Auch bei Werners Maschine mussten wir uns an den Kosten beteiligen. Dafür konnten wir die Maschine für die Flugschule benutzen – so war der Deal. Ich kam aus dem Stöhnen gar nicht mehr heraus und die Entspannung des vormittäglichen Fluges verflog im wahrsten Sinne des Wortes. Wie sollten wir das alles bezahlen? Und wieso hatte mein Vater mir nicht früher schon erzählt, wie schlimm es um die Finanzen stand? Ach, Papa, dachte ich. Leidenschaft für die Fliegerei reichte nicht, um eine Flugschule am Laufen zu halten.
Um nicht weiteren Grübeleien zu verfallen, beschloss ich, eine Pause zu machen und nach Sven zu schauen. Der schlief schon viel zu lange. Das würde, wenn er dann wach war, seine Laune nicht gerade heben. Und zu meinem Vater musste ich auch noch. Ich schob die Papiere beiseite, stand auf und ging ins Schlafzimmer.
»Hallo, Schatz. Was macht dein Kopf? Besser?«, fragte ich leise und strich Sven sanft über den Kopf.
»Hmgrpf …«, machte er.
Ich kuschelte mich an meinen Freund. Er roch noch immer nach Alkohol. »Du, Schatz, ich muss gleich zu meinem Vater. Kaffee ist in der Küche.«
Langsam wurde Sven wach. »Wie, zu deinem Vater?«, brummte er. »Ich dachte, du willst erst am Nachmittag zu ihm.«
Ich schlang die Arme um Sven. »Ja, genau. Guck mal auf deine Uhr. Es ist gleich drei.«
»Hanne!«, maulte Sven. »Warum hast du mich denn nicht früher geweckt?«
»Habe ich ja versucht. Mehrfach. Dann habe ich erst einmal aufgegeben … Du, die Finanzen der Flugschule sind viel schlimmer, als ich dachte. Willst du vielleicht mitkommen?«
»Nee, danke«, brummte Sven. »Das letzte, wofür ich jetzt einen Kopf habe, sind irgendwelche Finanzen deines Vaters. Oh Mann, hast du eine Kopfschmerztablette für mich?«
Sven war noch nicht ganz wach und hatte Kopfschmerzen. Na prima. Meinen bissigen Kommentar schluckte ich hinunter. Stattdessen küsste ich ihn auf die Stirn und flüsterte: »Neben der Wasserflasche auf deinem Nachttisch.« Dann krabbelte ich aus dem Bett. »Bis nachher, Sven. Ich komme nicht so spät.«
»Hmgrmf«, machte Sven erneut.
Wenn Sven Kopfschmerzen hatte, war nicht mit ihm zu spaßen. Das war noch schlimmer als Hunger. Ich ging leise aus dem Zimmer und zog mir Jacke und Stiefel an. Mit den Papieren der Flugschule, meinem alten Laptop und gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg zum Bus, um zu meinem Vater zu fahren.
»Papa, warum hast du mir nicht gesagt, wie schlimm es um die Flugschule steht?«, fragte ich eine halbe Stunde später aufgebracht. Ich saß bei meinem Vater auf dem Sofa und ging die einzelnen Abrechnungen mit ihm durch.
»Hm«, machte Rudi und strich sich mit den Fingern durch den Bart. »Hmja. Du hast doch deine eigenen Sorgen.«
»Ach, Papa! So ein Blödsinn! Ich hätte schon viel früher was unternommen, wenn du mir etwas gesagt hättest.« Mein Vater sah mich traurig an. Als ich seinen Blick sah, nahm ich ihn in den Arm. »Entschuldige, Papa. Ich will doch nur nicht, dass wir die Flugschule aufgeben müssen.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er sagte: »Du hast ja recht. Aber du hast selbst so viel um die Ohren, Hanne. Da sollst du nicht so viel für deinen alten Vater machen!«
»Dann überschreibst du mir einfach die Hälfte der Flugschule. Dann mache ich es nicht mehr für dich, sondern für mich«, sagte ich scherzhaft und fügte hinzu: »Und außerdem helfe ich dir doch gerne.«
»Hanne, solange die Flugschule sich finanziell nicht trägt, überschreibe ich dir gar nichts. Das letzte, was du von mir erben sollst, sind Schulden«, brummte mein Vater. Ich wollte etwas entgegnen, aber er setzte sich aufrechter, sah mich direkt an und fragte neugierig: »Woran hast du denn gedacht?«
Ich brauchte einen Moment, ehe ich den Themenwechsel verstand. »Na ja«, sagte ich. »Wir brauchen dringend mehr Flugschüler und mehr Gäste.«
»Ja, natürlich. Aber schwierig, jetzt im Winter. Im Frühjahr wird es sicher wieder besser.«
»Papa, das dachtest du letztes Jahr auch. Doch wir hatten längst nicht genügend Flugschüler. Und erst recht nicht genügend Leute, die Gastflüge gebucht haben. Und jetzt kriegen wir noch weniger Geld durch Charter rein. Wenn das so weitergeht, müssen wir die Lima-Echo oder die Mike-India verkaufen.«
Mein Vater nickte traurig.
»Wir müssen was machen, um bekannter zu werden«, fuhr ich fort. »Zuerst müssen wir die Webseite der Flugschule auf Vordermann bringen.« Ehrlich gesagt hätten wir das schon längst machen müssen, nur hatte mir bisher die Zeit gefehlt. Und ich hatte die finanzielle Schieflage wirklich unterschätzt. »So jedenfalls findet uns niemand. Das ist ganz wichtig, dass wir eine gute Internetpräsenz haben, Papa. Vielleicht können wir auch was in den sozialen Medien machen. Auf Facebook oder Instagram.«
Mein Vater runzelte die Stirn. Soziale Medien waren nicht seine Welt. »Hanne, wenn du das sagst, dann machen wir das. Aber du weißt, dass ich mich da nicht auskenne.«
»Vielleicht kann Sven mal schauen. Oder Marcus. Die kennen sich bestimmt mit so etwas aus.«
Und so diskutierten wir noch eine ganze Weile, gingen die Rechnungen durch und überlegten, was wir machen könnten. Für den nächsten Sonntagnachmittag setzten wir eine Art »Brainstorming« mit Werner und Marcus an. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht gemeinsam hinbekämen. Schließlich hatten die anderen Fluglehrer auch ein Interesse daran, dass sie weiter schulen konnten – auch, wenn sie das in ihrer Freizeit machten.
Als ich auf den Gehweg trat, schwirrte mir der Kopf vor lauter Finanzen. Ich schnupperte in die Abendluft. Es roch nach Frühling. Von meinem Vater zum Flugplatz war es nicht weit und ich beschloss, mein Mofa zu holen.
Der Wind hatte weiter nachgelassen und die Sonne schien weiterhin zu versuchen, die Erde aus dem Winterschlaf zu locken. Ich reckte die Nase ins Licht, ließ mich von den Sonnenstrahlen kitzeln und musste unweigerlich niesen. Wie gut die Sonne tat. Und wie befreiend so ein Nieser sein konnte. Lächelnd lief ich zum Café. Es war Dienstagmorgen. Sven war bereits seit einiger Zeit bei der Arbeit, einem Sportgeschäft in der Erlanger Innenstadt, und ich hatte bis eben mit meinem Bauprüfer telefoniert, um die nächsten Schritte mit meinem Doppeldecker zu planen. Meliha war bereits da, als ich durch die Hintertür des Cafés trat.
»Meli, wie geht es dir? Du siehst aber immer noch etwas blass aus.«
»Hanne!« Meine Freundin drückte mir links und rechts einen Kuss auf die Wangen. »Es geht mir viel besser. Die Kinder sind auch wieder im Kindergarten. Die sind ja zum Glück schnell wieder fit.«
»Und Sami?«
»Den haut so schnell nichts um. Jedenfalls hat er nichts abbekommen von unserem Infekt. Zum Glück!« Meli senkte ihre Stimme etwas und ergänzte dann mit einem gequälten Grinsen: »Wenn er allerdings doch mal krank wird, sollte man ihm aus dem Weg gehen. Dann ist er nicht auszuhalten.« Sie zeigte nach oben. Das Paar lebte in der Wohnung direkt über dem Café. Über ihnen in der Dachwohnung wohnte dann noch Samis Mutter.
Ich nickte wissend. Das kannte ich von Sven. Wenn der krank war, musste seine gesamte Umgebung mitleiden. Ich wusch mir die Hände und band meine Locken, die der Wind ganz durcheinandergebracht hatte, zu einem Pferdeschwanz zusammen. Während Meli hinterm Tresen herumwerkelte, machte ich mich daran, die Stühle von den Tischen zu räumen.
»Hanne? Hier, für dich!«, rief Meli und stellte einen Espresso auf den Tresen.
»Danke, Meli! Kannst du Gedanken lesen?«
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