»Was? Nee, lass mal«, ließ Sven aus der Küche vernehmen.
Ich hatte es mir zu früh mit meinem Bier auf dem Sofa bequem gemacht. Meine Blase drückte. Seufzend stellte ich die halbleere Flasche auf den Tisch und stand wieder auf. Es half nichts, ich musste aufs Klo.
Sven war noch in der Küche beschäftigt. »Ja, fand ich auch«, sagte er leise. Hatte er sich das Handy doch geholt. Kopfschüttelnd wollte ich weitergehen.
»Nein, aber vielleicht am Freitag? Ja. Ich auch.« Sven sprach immer noch leise. Seltsam, so sprach er garantiert nicht mit Joe. Aber mit wem dann? Seine Eltern riefen um diese Zeit nie an. Ich trat in die Küche. »Hey, Schatz, soll ich den Abwasch solange weitermachen, während du telefonierst?« Sven fuhr erschrocken herum.
»Hanne! Nein, nein, ich bin fast fertig.« Er nahm das Telefon wieder ans Ohr und sagte etwas lauter: »Also, Joe, bis dann. Ja. Ciao.«
Während Sven sein Handy in der Hosentasche verschwinden ließ, fuhr er mich an: »Musst du dich immer so anschleichen? Du hast mich schon wieder voll erschreckt!«
»’Tschuldigung«, entgegnete ich jetzt auch etwas gereizt, »Aber du musst ja nicht gleich so rummotzen. Ist ja wohl kaum meine Schuld, dass du gerade ständig schlecht gelaunt bist. Und wenn doch, dann rede mit mir darüber, aber nicht in diesem Ton. Das habe ich nämlich auch satt! Dass du wegen jeder Kleinigkeit an die Decke gehst!«
Sven funkelte mich böse an. »Na prima. Jetzt hast du …«
Den Rest hörte ich nicht mehr, weil ich ihn einfach stehen ließ und die Badezimmertür hinter mir zuknallte. Der hatte sie doch nicht mehr alle.
Als ich wieder aus dem Bad kam, war von Sven nichts zu sehen. Stattdessen lag ein Zettel auf dem Tisch. »Bin bei Joe.«
Freitagabend. Gerade hatte ich bei Meli und Sami geklingelt. Der Summer ging, ich drückte die Tür auf und stieg die Stufen nach oben in den ersten Stock.
»Schön, dass du da bist!«, rief Meli, umarmte mich und drückte mir zwei Küsse auf die Wangen. »Komm rein. Ich bin gleich soweit.«
»Hanne!«, rief Melihas fünfjährige Tochter Nesrin und rannte den Flur entlang direkt auf mich zu.
Lächelnd ging ich in die Hocke und sie warf sich, ohne abzubremsen, in meinen Schoß. »Hey, kleine Maus. Du bist ja schon wieder gewachsen. Du bist ja schon eine große Maus, Nesrin«, sagte ich und wuschelte ihr durch die dunklen Haare.
»Hanne!«, rief eine zweite Kinderstimme. Ein kleiner Junge tapste mir entgegen und warf sich ebenfalls in meinen Schoß. »Uiuiui, und du bist ja auch ganz groß geworden, Oktay.«
»Anne, wir wollen mitkommen«, rief Nesrin ihrer Mutter zu und ich fragte mich, wie Meli diesen großen Kulleraugen jemals einen Wunsch abschlagen konnte. »Anne, bitte!«
»Nichts da, ihr bleibt hier, sonst bin ich viel zu einsam heute Abend!« Das war Sami. Er streckte seinen Kopf aus der Küche in den Flur und winkte. »Servus, Hanne. Ich komme gleich, ich habe nur gerade Milch auf dem Herd.«
»Hallo, Sami! Kommt, Kinder, lasst mich mal in die Küche, damit ich eurem Papa Hallo sagen kann.«
Doch die Kinder hingen an mir wie Kletten. Also nahm ich sie rechts und links auf den Arm und versuchte, vollbepackt in die Küche zu gelangen, um Sami zu begrüßen.
»Baba, wir wollen mit Anne und Hanne gehen!«, rief Nesrin.
Ich grinste. Anne und Hanne , das klang fast wie Hanni und Nanni . Es hatte etwas gedauert, bis ich verstanden hatte, dass »Anne« das türkische Wort für »Mama« war. Bis dahin war es zu einigen komischen Situationen gekommen, weil ich mich im Supermarkt oder im Park immer wieder angesprochen gefühlt hatte, wenn ein Kind nach seiner Mutter gerufen hatte.
Sami fuchtelte mit dem Kochlöffel herum und sagte mit gespieltem Ernst: »Und wer soll dann auf mich aufpassen, Nesrin? Ihr müsst mich doch ins Bett bringen und mir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen.«
»Dann bringe ich dich jetzt ins Bett, Baba!«, rief Nesrin und zerrte an der Hand ihres Vaters.
»Nesrin! Lass den armen Baba!«, rief Meliha dazwischen. Sie hatte sich fertig umgezogen und sah umwerfend aus. Mit Samis Hilfe befreite sie mich von den süßen Kletten. »Ade, ihr Lieben«, sagte sie und gab erst ihren Kindern und dann ihrem Ehemann einen Kuss. »Bis später!«
Wir liefen die Treppe hinab auf die Straße. Von oben aus dem Fenster winkten noch einmal die Kinder. »Anne! Hanne! Hallo! Und tschüss!«, rief Nesrin. »Ich bleibe wach, bis du kommst, Anne, okay?«
»Untersteh dich!«, rief Meli zurück. »Zum Glück schafft sie das nicht«, sagte sie zu mir, während sie auf ihren Wagen zusteuerte, der in einer Nebenstraße parkte. »Eine Milch mit Honig von Sami und in einer Stunde schlummert sie hoffentlich tief und fest.«
»Heute wollten sie dich ja gar nicht gehen lassen«, wunderte ich mich.
»Wahrscheinlich, weil sie letzte Woche krank waren. Und sie haben sich gefreut, dich zu sehen. Sie vergöttern dich.«
»Vielleicht sollte ich mal wieder zum Babysitten kommen?«, überlegte ich.
»Oh ja!« Meli startete den Motor. »Und jetzt?«
»Hm, hast du Lust auf Tapas?« Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen und einen Bärenhunger. »Ich kenne da eine ganz hübsche Tapas-Bar in Nürnberg«, sagte ich.
»Sehr gerne«, erwiderte Meli. »So, jetzt erzähl, was passiert ist … Wenn dir danach ist«, ergänzte sie mit einem kurzen Blick in meine Richtung.
Ich starrte geradeaus auf die dunkle Straße. Die letzten Tage waren hart gewesen. Sven war mir aus dem Weg gegangen und wenn ich versucht hatte, zu fragen, was los war, hatte er sofort mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden abgeblockt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Im Café war es in den letzten Tagen sehr voll gewesen, sodass ich noch nicht mit Meli darüber hatte sprechen können. Aber jetzt waren wir unter uns. Also schüttete ich meiner Freundin mein Herz aus. Sie hörte einfach nur zu, obwohl ich ihr genau ansehen konnte, dass sie den einen oder anderen bissigen Kommentar hinunterschluckte. Nachdem ich Meli alles erzählt hatte, ging es mir ein wenig besser.
Nach einer halben Stunde Fahrt hatten wir unser Ziel erreicht. Meli suchte in einer Seitenstraße einen Parkplatz, schaltete den Motor ab und sah mich erwartungsvoll an. »Hey«, sagte sie und drückte meinen Arm. »Geht’s?« Ich nickte und versuchte es mit einem Lächeln. Meli lächelte zurück und sagte: »Sollen wir dann mal? Ich will ja nicht ungeduldig sein, aber ich habe echt Hunger.«
Wir stiegen aus dem Wagen und gingen Arm in Arm die Straße entlang, bis wir die kleine Tapas-Bar erreichten. Es war voll. Natürlich, es war Freitag und wir hatten nicht reserviert. Aber ab und zu war das Glück wohl auch mit denen, die es dringend brauchen, denn in der hintersten Ecke wurde gerade ein Tisch frei.
»Und, wie soll das jetzt weitergehen?«, fragte Meli, nachdem wir uns etwas bestellt hatten.
»Ach, wenn ich das wüsste, Meli.«
»Ich habe dir das ja schon gesagt. Entschuldige, wenn ich mich wiederhole. Aber du lässt dir von ihm wirklich viel zu viel gefallen. Sven mag irgendwo in seinem Herzen ein lieber Kerl sein, aber es ist nicht in Ordnung, wenn er seine schlechte Laune ständig an dir auslässt.«
»Aber ich liebe ihn«, sagte ich. »Doch gerade verstehe ich ihn wirklich nicht.«
»Wie lange seid ihr jetzt zusammen? Drei, vier Jahre, oder?«
»Hm. Ja.« Ich stocherte etwas lustlos in meinem Essen herum. Eben hatte ich noch so einen Hunger, doch nun war mir der Appetit schon wieder vergangen. Ich schaute auf und sagte leise, was ich bislang nicht auszusprechen gewagt hatte: »Ich glaube, er hat neulich gar nicht mit Joe gesprochen, als er mich so angefahren hat. Das klang viel zu liebevoll. So, als hätte er mit einer anderen Frau geredet.« Ich schluckte. »Aber so etwas würde er doch nie tun. Fremdgehen, meine ich.« Die Möglichkeit, dass Sven etwas mit einer anderen haben könnte, schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Oder zumindest wollte ich es mir nicht vorstellen. Aber es würde einiges erklären. »Ach, Meli, was soll ich denn machen?«
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