Und weil der Hund mit dem Schwanz wedelt und sich offensichtlich freut, wird alles - na gut! - zusammen mit dem Hundefutter auf dem Kassenlaufband platziert.
Der Hund fixiert währenddessen die Kassiererin. Sein Besitzer lächelt stolz: ¨Er weiß doch längst, dass es hier Leckerli gibt!¨
Die Kassiererin turtelt mit dem Hund, greift in ein Glas unter dem Tresen, und alle in der Schlange freuen sich, dass er Männchen macht und nach der Belohnung schnappt. Man ist in heiterer Stimmung, und das hebt auch die Kauflaune. Der Hundebesitzer verdrängt, dass die geschenkte Kleinigkeit einen Bruchteil von dem kostet, was die Kassiererin gerade von seiner EC-Karte abgebucht hat.
Doch die Kassiererin bezahlt die Leckerli nicht aus eigener Tasche, sondern kriegt sie vom Arbeitgeber gestellt, der sich dabei durchaus etwas denkt. Zusätzlich platziert dieser gleich hinter der Ladentür einen Fressnapf, aus dem sich alle Hunde frei bedienen dürfen. Deswegen zerren sie beim nächsten Besuch schon draußen an der Leine, weil sie unbedingt rein wollen in dieses Geschäft. Außer dem Futter suchen sie dort eigentlich nichts.
Der Hundebesitzer lässt sich willig mitziehen. Wieder findet er vieles, was sein Viech seiner Meinung nach brauchen kann: Tierhaarbürste, Kacktütenbehälter, Lutschflüssigkeit mit Leberwurstgeschmack, Regenmäntelchen, Knabberdrops mit Omega 3, Wurfgeschosse aus Plastik, LED-Halsbänder für die Dunkelheit, getreidefreies Dosenfutter, für Welpen, Jagdhunde, und ¨Senioren¨. Eine ganze Wand hängt voller gelber Leinen, grüner Leinen, strassbesetzter und totenkopfverzierter Leinen, jeweils mit passendem Geschirr, und im Internet gibt es noch Abertausend Alternativen. Als Design am weitesten verbreitet sind stilisierte Pfotenabdrücke und Knochen.
¨Na, willste das haben?¨ fragt der Hundebesitzer sein Tier und wackelt mit einem überdimensionalen Plüschhuhn vor ihm herum. Klar, dass der Hund aufgeregt danach schnüffelt, auch wenn er den grellbunt dargestellten Vogel gar nicht als solchen erkennt.
Die Beute wird nach Hause getragen und ausgepackt, der Hundebesitzer gibt hocherfreute Laute von sich, die den Hund wieder neugierig machen. Den Gummiball mit den gebleckten Zähnen schubst er unter das Sofa, wo er erst beim nächsten Frühjahrsputz neben drei weiteren Bällen staubverklebt wieder auftaucht. Die anderen Sachen quieken nach einem Tag nicht mehr, werden zerbissen oder vom Besitzer in irgendwelche Ecken gestopft.
In jedem Zimmer gibt es ein Fach für den Hund:
Im Schlafzimmer Reise- und Ersatzbettchen, Heizdecke, Hundehandtücher.
Im Badezimmer: Zeckenmittel, Krallenzange, Augensalbe, Wurmtabletten, Desinfektionsmittel, Shampoo.
In der Küche: Bürste, Hundefutter, Kackbeutel, Intelligenzspielzeug aus unbehandeltem Holz, drei unausgepackte Bälle aus einem Supermarktangebot, Vitaminergänzungskekse.
Im Flur: Winter- und Regenmäntelchen, Leinen, Halsbänder, Hornpfeife, Dummy-Beutel, die Kiste mit den Spielzeugen.
Ach ja, und beim Schreibtisch noch der Ordner mit Versicherung, Hundesteuer und Impfpass, und die Abstellkammer hatten wir ja schon.
Der Hundebesitzer findet, dass das meiste notwendige Anschaffungen sind. Mit Leuten, die ihren Hunden Schleifchen ins Haar binden, will er aber nichts zu tun haben: „Diese Vermenschlichung!“
Dann pfeift er seinen Vierbeiner heran und geht mit ihm Gassi.
Und der Hund, dessen Habe inzwischen mehrere Umzugskartons füllt, tollt von der Leine befreit, nur mit seinem Fell bekleidet auf einer Wiese herum und denkt immer noch, er brauche nichts außer Futter.
Hundebesitzer brechen das Ansprech-Tabu
Wer sich zum ersten Mal einen Hund anschafft, freut sich auf alles Mögliche, aber wie rasant sich sein Bekanntenkreis erweitern wird, kann er sich nicht vorstellen. Erstaunlicher noch: Er wird von nun an in der Lage sein, hemmungslos wildfremde Menschen anzuplaudern.
Das ist in einer Großstadt ja tabu, wie man in x-beliebigen U-Bahn-Wagen besichtigen kann: Jeder Fahrgast ist bemüht, die Augen niederzuschlagen, eng an ihn gepresste Mitfahrer sind für ihn Luft. Unterirdisch, überirdisch und rund um die Uhr bewegen sich Menschenmengen durch die Stadt, doch jedes Millionstel davon trägt einen inneren Elektrozaun mit sich herum und sitzt darin ganz allein.
Man liest ja auch so viele Suchanzeigen: Sah Dich im Bus XY, Du trugst eine gelbe Bluse. Die Traumfrau war in greifbarer Nähe, doch diesen Schicksalsmoment hatte der Inserent verpasst, denn das Ansprech-Tabu riss zwischen ihm und der angebeteten Fremden einen abgrundtiefen Spalt in die Welt. Das kann man auch in Wartezonen von Ärzten und Ämtern beobachten, wo die Menschen in Reihen vor sich hindösen und zusammenzucken, wenn einer hustet.
Und doch ist der Abgrund bloß ein Schrittchen breit und würde sich spurlos schließen, streifte nur einer seine Hemmung ab und sagte meinetwegen: ¨Ist das aber stickig hier!¨ Eine Welle der Erleichterung würde durch die Bänke rollen, man änderte seine Sitzposition und antwortete: ¨Ja, finde ich auch!“. Die grimmigen Mienen verlören ihre Festigkeit, eine Erörterung käme in Gang, ob man das Fenster öffnen solle. Das Warten wäre auf einmal weniger quälend.
Aber praktisch geschieht sowas beinahe nie.
Ganz anders bei Hundebesitzern: Die ersten Gassigehrunden mit einem Welpen sind ja noch kurz. Doch Sie werden den Nachbarn von oben im Hausflur treffen, der gewöhnlich grußlos an Ihnen vorübergeht. Jetzt wird er augenblicklich in die Knie sinken, um mit entzücktem Lächeln das Hundeviech zu betatschen, das sich erfreut um Nachbars Füße wickelt. Und mit dem ersten ¨Wie alt Esser denn?¨ bis zum ¨schönen Tag noch!¨ bricht das uralte Eis und wird nie wieder zusammenfrieren, denn mit wem man einmal Worte gewechselt hat, der ist vom Ansprech-Tabu für alle Zeiten ausgenommen.
Binnen weniger Wochen legt der frischgebackene Hundebesitzer seine zukünftigen Spazierrouten fest. Auf ihnen wird er über kurz oder lang immer dieselben Leute treffen, die er bald schon aus weiter Ferne an ihrem Schritt und den Umrissen ihres vierbeinigen Begleiters erkennt. Und weil die Leute stehenbleiben, wenn sie ihm begegnen, hält er auch an, und mit den Augen auf die einander beschnüffelnden Tiere gerichtet beginnt mühelos ein kleines, unbedeutendes Gespräch über Zecken oder Leckerli. Noch kennt man gegenseitig nur die Hundenamen. Bei einigen wird das auch so bleiben.
Doch nach drei Monaten hat sich der Bekanntenkreis des Hundebesitzers locker um dreißig Leute erweitert, wenn nicht mehr. Einige grüßt man, mit anderen geht man ein Weilchen mit, weil die Tiere so schön spielen, alle warnt man vor dem Ordnungsamt, das im Park herumschleichen soll. Noch wieder andere lädt man sogar zum Kaffee ein.
Nach einem halben Jahr ist man Teil einer losen Gruppe, die sich jeden Morgen zum Gassigehen trifft. Beim Laufen erörtert sie Weltgeschehen oder Hundedurchfall. Und weil man für all das praktisch nichts machen muss, als ein Tier mitzuführen, gelingt das noch dem Schüchternsten. Den einzigen Tipp, den man ihm geben kann, ist, sich gelegentlich über die Hunde der anderen lobend zu äußern. Da genügt aber ein genuschelter Satz.
Weil sich manche Vierbeiner besonders gut verstehen, läuft man sogar mit Leuten, die einem weniger sympathisch sind oder welchen aus fremden Milieus, in denen man sonst nicht verkehrt. Hierbei erwirbt man neue soziale Kompetenzen. Dosenfutter oder Frischfleisch als gemeinsames Thema geht immer und nebenbei baut man Vorurteile gegen Staubsaugervertreter, Sozialpädagogen und Rechtsanwälte ab. Denn jeder, der auch einen Hund hat, ist immer irgendwie ein Einheimischer des eigenen Lebens. Und das sind ganz schön viele.
Bald verfügt der Hundebesitzer über ein eindrucksvolles Netzwerk, das sich beinahe von selbst knüpft und noch die entferntesten Stadtteile erreicht. Denn bis auf einen winzigen Bruchteil von Ignoranten grüßen Hundebesitzer einander, und sei es nur mit einem unmerklichen Kopfnicken. Weil man aus diesem Anfang jederzeit etwas knüpfen kann, fühlt man sich nirgends mehr ausgesetzt.
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