„Swinger-Club“, murmelte er vor sich her.
Einmal hatte er so einen Club besucht und es ekelte ihn nachher irgendwie, das mit dem „Jeder mit Jedem“. Zugegeben, es hatte ihn erregt und das Motto „Spaß steht immer an vorderster Stelle“ hatte ihn angesprochen. Obendrein diese Fleischberge, die sich am Boden suhlten, ihn an Schweine im Schlamm erinnerten und ein Zuordnen der Geschlechtsteile zu seinem Besitzer unmöglich machten, hatten überhaupt nichts mehr mit den sexy und äußerst hübschen Frauen auf der Willkommensseite der Website zu tun. Wurz fand es einfach nur widerlich, war enttäuscht, hatte das Thema „Swinger-Club“ aus seinem Gedächtnis verscheucht. Sein Zeigefinger drückte noch immer den Klingelknopf, als sich endlich das kleine Fensterchen in der Tür öffnete. Er musste sich auf die Zehen stellen, um ihr mit seinen Einsachtundsechzig in die Augen sehen zu können.
„Was wollen Sie hier? Sind Sie verrückt geworden? Haben Sie nicht unsere Öffnungszeiten gelesen?“, plärrte ihm eine Frauenstimme entgegen. „Wir haben geschlossen!“
Gerade in dem Moment, als sie das Fenster wieder schließen wollte, hielt er ihr die Polizeimarke vor das Gesicht.
„Wurz, Kriminalpolizei, ich hätte da ein paar Fragen an Sie. Können wir das drinnen besprechen?“
„Wurz“, erwiderte sie, als sie die Tür öffnete, musterte ihn von den Haaren bis zu seinen Schuhspitzen und ihre Silikonbrüste wippten gefährlich nahe vor seinem Gesicht auf und ab. Der Flur war mit einer schwachen Glühbirne beleuchtet und er hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Es erforderte sein gesamtes akrobatisches Geschick, um nicht die Stufen hinunterzustolpern. Sie erreichten die Bar, die ebenso spärlich beleuchtet war wie der Eingang, und er nahm Platz auf einem dieser Hocker. Stand bei dem Gedanken, dass hier erst vor kurzem ein nackter Hinterteil gesessen hatte, möglicherweise noch Spermaspuren auf dem Kunstleder waren, wieder auf und wischte sich ein paar Mal mit der Handfläche über die Hose. „Was will denn die Polizei bei uns?“, fragte sie misstrauisch. „Bei uns hat alles seine Ordnung, wir bezahlen rechtzeitig die Steuern und unsere Kunden sind total zufrieden. Und sauber ist es auch“, sagte sie mit Bestimmtheit. „Darauf schau ich schon, dass immer die Bettlaken frisch sind und die Handtücher.“
Wurz fokussierte sie. Mitte fünfzig, dachte er, vielleicht älter. Schwer zu schätzen bei dieser schummrigen Beleuchtung. Er sah in ihr Gesicht, in ihre Augen, die unruhig flackerten. Sah ihre schmierigen Haare, wasserstoffblond, die ihr in Strähnen ins Gesicht fielen, das fleckige Kleid, die Brüste, zu aufdringlich, zu synthetisch und seine Nackenhärchen stellten sich bei der Vorstellung, sich hier vergnügen zu müssen, auf. Er zückte sein blaues Heftchen, stellte die üblichen Fragen und notierte sich hin und wieder etwas darin. Natürlich hatte sie nichts gehört und gesehen schon gar nichts. Sie sei hinter der Bar gestanden, habe sich um die Gäste gekümmert. Natürlich. Wurz wollte gerade dieses Etablissement verlassen, da polterte jemand die Treppe herunter.
„Kundschaft um die Zeit?“ Der Mann lachte laut auf, ging hinter die Theke, goss sich ein Glas Whisky ein und leerte es in einem Zug.
„Darf man fragen, wer der junge Mann ist?“
„Das ist mein Sohn, der Fredi, der hilft mir ein bisschen im Club, macht den Türlsteher. Ja, in der heutigen Zeit kann man nicht gleich jeden hereinlassen. Bei uns hat alles seine Ordnung und unsere Gäste sind alte Bekannte. „Wir“, und sie zeigte mit dem Zeigefinger auf sich und ihren Sohn, „waren den ganzen Abend da im Club, also, Herr Inspektor, da müssen Sie schon woanders nach dem Mörder suchen. Sie werden es nicht glauben, aber es gibt genug Perverse, die frei herumlaufen. Aber jetzt auf Wiedersehen, Herr Inspektor, ich muss noch die Laken tauschen, bevor die ersten Gäste kommen.“
Und zu Fredi gewandt: „Geh sei so lieb und begleite den Herrn Inspektor zur Tür.“
„Und Sie haben wirklich nichts gehört und nichts gesehen, wo sie doch der Türsteher sind? Zu diesem Glashaus ist es ja quasi ein Katzensprung.“
„Wie meine Mutter gesagt hat, Ihren Mörder müssen Sie sich schon woanders suchen. Also dann, Herr Oberinspektor, auf Nimmerwiedersehen.“
Er alleine lachte über seinen Witz, öffnete die Eingangstür, mimte einen Kratzfuß und Wurz war froh wieder die Sonne zu sehen, frische Luft einatmen zu können. Er fuhr ins Kommissariat, wollte die Vermisstenmeldungen durchschauen, nach Hinweisen stöbern. Keine zehn Minuten waren vergangen, seit er sich vor den Bildschirm gesetzt und die Anzeigen verschwundener Personen der letzten Monate durchgeschaut hatte, als er auf das Foto von einem gewissen Hans Albert stieß. Er klickte auf den Namen, die Datei öffnete sich.
ALBERT Hans
ALBERT Hans ist seit 5. Mai von seiner Wohnadresse in Schwinbach/Listgasse 7 abgängig. Er hat am Morgen pünktlich um 7:30 das Haus verlassen und ist in die Arbeit gefahren. Seine Spur verliert sich, nachdem er um 12:00 das Schulgebäude verlassen hat. Er ist nicht mehr an seine Wohnadresse zurückgekehrt.
Familienname
ALBERT
Vorname
Hans
Geburtsdatum
04.05.1965
Staatsangehörigkeit
Österreich
Abgängig seit
05.05.2017
Sonstiges
Personenbeschreibung:
167 cm groß, mittelgewichtig, kurzes dunkelbraunes Haar, Teilglatze, braune Augen, volle Lippen
Wurz scrollte weiter, betrachtete das Foto, rief sich die männliche Leiche im Glashaus wieder ins Gedächtnis. Er druckte sich die Personenbeschreibung aus und fuhr damit in die Gerichtsmedizin. Leiner hatte gerade die Leiche vom Glashaus vor sich am Seziertisch liegen, als er eintrat. Nie würde er sich daran gewöhnen, an diesen süßlichen Geruch, vermischt mit Desinfektionsmittel.
„Grüß dich Andreas, du bist zu früh. Ich muss dich enttäuschen, ich habe den Kerl gerade erst aus der Kühlbox geholt. Aber eines kann ich dir mit Sicherheit sagen, der ist erstickt in diesem Plastikbeutel. Weil siehst, die Totenflecken sind tiefviolett und das sagt uns, dass er zu wenig Sauerstoff im Blut und Gewebe hatte. Wir werden das aber noch im Labor nachprüfen lassen. Ob es jetzt ein Unfall oder ein geplanter Mord war, das musst du herausfinden und ich wünsche dir viel Spaß in der Sadomaso-Szene. Soll ja ziemlich heiß her gehen dort.“ Wurz ignorierte die sarkastische Bemerkung des Mediziners, zerrte den Zettel aus seiner Jackentasche, strich ihn glatt und überreichte ihn Leiner.
„Na, was sagst du dazu. Ich glaub, das ist der Tote. Wird seit dem fünften Mai vermisst.“ Beide betrachteten das Foto, hielten es neben das Gesicht der Leiche.
„Eindeutig“, sagte Wurz, „ich werde gleich mal zu dieser Adresse fahren. Seine Frau hat ihn nämlich als vermisst gemeldet.“ Mit den Gedanken bereits in dieser kleinen Vorstadtsiedlung, murmelte er ein „Ciao, Franz, wir telefonieren!“, und verließ das Gebäude
Wurz hatte die Adresse in sein Navi eingegeben und vor dem Einfamilienhaus Listgasse 7 meldete die monotone Stimme aus dem Gerät: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ Er atmete noch einmal tief durch, ehe er anläutete, räusperte sich und strich seine Haare glatt. Das tat er immer. Es war zu so einer Art Ritual geworden beim Überbringen schlechter Nachrichten. Bevor sich die Tür öffnete, hatte er noch genügend Zeit, sich ein bisschen im Garten umzuschauen. Perfekt, dachte er bei sich und beobachtete den Solarrasenmäher, wie er seine Bahnen zog. Öfters hatte er überlegt sich so einen Roboter anzuschaffen. Der Gedanke, beim Mähen in der Hängematte zu liegen und in seinen Autozeitschriften zu schmökern, war äußerst verlockend gewesen, der Preis weniger - und deshalb startete er wöchentlich sein in die Jahre gekommenes Modell. Außerdem „Bewegung hat noch keinem geschadet, mein Junge“, der Spruch seiner Mutter, der ihn, seit er denken konnte, verfolgte. Jetzt hörte er das Klackern von Stöckelschuhen und gleich darauf stand er einer sehr zierlichen Frau, etwa in seinem Alter, siebenundvierzig, vielleicht auch ein, zwei Jahre jünger, und nicht größer als ein zwölfjähriges Schulkind, gegenüber. „Die Frauen von Stepford“ fielen ihm ein. Sie war genauso perfekt gestylt wie der Garten. Beinahe, nur eine kleine Locke hatte sich aus ihren streng zu einem Dutt frisierten Haaren gelöst und wippte frech bei jeder ihrer Bewegungen auf und ab.
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