Alois Theodor Sonnleitner
Die Hegerkinder in der Lobau
Saga
Die Hegerkinder in der Lobau Copyright © 1929, 2019 Alois Theodor Sonnleitner und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711570074
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Die Hegerkinder in der Lobau.
Nicht ruhig wie das klare
Sickerwasser
der Donauarme sind die
Jugendtage
der Hegerkinder; ihre hellen
Freuden,
sie wechseln ab mit Kummer
und mit Plage.
Doch muss der Kummer fliehn vor lieber Hilfe, was einen drückt, das wollen alle tragen; so wird es leicht den guten Kameraden; die Plage wird im Schaffen zum Behagen.
Und kommt ein schöner Tag mit Sang und Blüten, teilt eins des andern Lust mit frohem Sinne, auf dass der Kampf mit Widerwärtigkeiten so nach wie vor mit Zuversicht beginne.
A. Th. Sonnleitner.
Wenn auch das Hochwasser in der Lobau täglich sank, hatte der Heger doch noch immer verschärften Nachtdienst.
Bertel und Liesel waren längst zu Bette gegangen. Auch die Hegerin; aber sie schlief nicht. Sie lauschte den ruhigen Atemzügen ihrer schlummernden Kinder und dem gedämpften Brausen des Sturmes, der von Stadtl-Enzersdorf über den Lobauer Pappelwald herübertobte. Der brach aus den Kronen der uralten Bäume abgestorbene Zweige, führte sie mit sich und warf sie da und dort prasselnd gegen die Stämme. Die Hegerin dachte mit Bangen an ihren Mann, der im Pflichteifer seine nächtliche Runde machte, um den Wilddieben die Meinung zu benehmen, dass bei bösem Wetter „die Luft rein“ sei. Jetzt, wo die Wildenten und Fasane schon brüteten und wo die Rehgeissen und Hirschkühe vor dem Werfen waren, sollte kein Nestplünderer und Schlingenleger den Wildstand schädigen; es galt, die Bruten und die Muttertiere zu schützen. Das Weib des Hegers fürchtete weniger, dass ein Wilderer ihn meuchlings anfiele, als vielmehr, dass ein vom Sturm gebrochener Ast ihn im Fallen träfe.
Die windgejagten Wolken gaben den Mond frei, in der Stube wurde es silberig helle. Da setzte sich die Hegerin in ihrem Bette auf und sah zu den Kindern hinüber. Bertel schlief mit offenem Munde, hörbar atmend, sein dunkles Haar hob sich deutlich vom weissen Polster ab, während seine rechte Wange auf den gefalteten Händen ruhte. Neben Liesels Blondkopf lag das Porzellanköpfchen ihrer Puppe, die sie mit der Rechten umklammert hielt. Plötzlich verfinsterte sich das Zimmer, eine Wolkenwand hatte sich unter den Mond geschoben. Dann vernahm die Hegerin von den Fenstern her das Trommeln einzeln angeworfener Tropfen; der Sturm liess nach, der Regen nahm zu. Sein eintöniges Geräusch wirkte einschläfernd. Nur wie im Traume vernahm die Hegerin die Heimkehr ihres Mannes, der die Stubentüre leise zuzog und dann erst in der Küche Licht machte. Als er sich des durchnässten Lodenrockes entledigte, meldete sich ihm leise knisternd die in der inneren Brusttasche vergessene Jagdzeitung. Die hatte der Briefbote schon vor zwei Tagen für ihn auf dem Forstamt abgegeben, aber noch hatte der Heger nicht Musse gehabt, sie zu lesen. Als er die Anschriftschleife abnahm, fiel eine Postkarte heraus, die den Stempel „Gaming“ trug. Die Schrift war fremd. Sollte die verwitwete Schwägerin schon aufgebraucht haben, was er ihr vor wenig Wochen an Geld geschickt hatte? Warum schrieb sie nicht selbst? Hatte sich ihre Krankheit verschlimmert? Mühsam entzifferte er die klobigen Schriftzüge:
Mein lieber Gschaider!
Bin als Flösser des öftern vom Pöchlarner Rechen bis zu die Weissgerber in der Weanerstadt gfarn. Drum trau i mirs zu, dass i di find. I bring dir di zwoa Buam von dein Brudern, wie’s die Gschaider Maria wollen hat, eh vor’s gstorben is. Mittwoch bin i bei enk. Dein alter Schulkamerad
Leopold Neunteufel,
kennst mi eh.
Der Heger legte die Karte auf den Tisch. Die Todesnachricht traf ihn wie ein Vorwurf. Heute, da er im Forstamt erfahren hatte, dass infolge der Fröste im Quellgebiet der Donau die Hochwassergefahr einstweilen vorbei war, hatte er sich den Urlaub ausgebeten, um die Witwe mit ihren zwei Buben zu holen. Halblaut sprach er vor sich hin: „Versäumt; sie braucht meine Hilf’ nimmer.“ Und heute war Mittwoch; die Waisen waren unterwegs. Er überlegte: Ob der Neunteufel mit den Kindern den Weg von der Reichsbrücke über den Regulierungsdamm kam oder von der Asperner Seite? Ob er nicht gescheiterweis’ mit ihnen in Wien übernachtete? Aber gescheit war der nicht immer. Wenn er einige Gläschen Schnaps getrunken hatte, wie er’s bei der Flösserarbeit gern tat, war er verwegen. Bei der Vorstellung, dass der Flossknecht vielleicht mit den Kindern im Regen und Sturm den langen Dammweg zurücklegte oder gar durchs Wasser watete, befiel den Heger ein Frösteln. Er kleidete sich still an und stellte sich lauschend vors Fenster. Da wars ihm, als hätte er eine rufende Stimme gehört. Dann wieder, als wär’s nur der Schrei der Sumpfeule gewesen oder das Knarren windgedrückter Äste. Der Hund schlug an. Der Heger trat auf die Türschwelle und horchte gespannt hinüber zum Damm. Und deutlich, wenn auch vom Wind abgeschwächt, klang es herüber: „Herr Heeeger! Herr Heeeger!“ Es war eine hohe Knabenstimme, die Stimme des Sohnes vom Wirt Turnovsky, den die Leute den „Roten Hiasel“ nannten. Gschaider zündete die Kerze in der Stalllaterne an und ging in den strömenden Regen hinaus. Als er drüben an der Dammböschung anlangte, vernahm er die Stimme Hiasels aus der Nähe: „Herr Heger, i bring’ die zwoa Buam.“ Und schon vermochte er die Umrisse der drei Knaben zu unterscheiden, die nach ihm hintasteten. „Wo ist denn der Neunteufel?“ „Der sauft bei uns,“ gab Hiasel zur Antwort; „er hat uns alle wachgepumpert. — Und i hab’ mir’s vom Vater ausbeten, dass i die zwoa Buam herweisen därf. Hiazt aber ,Guate Nacht‘ alle miteinander!“ — Und er verschwand in der Finsternis, als hätt’ ihn der Erdboden verschluckt. Der Heger rief ihm seinen Dank nach, dann wendete er sich seinen zwei Bruderskindern zu: „Von heut an sagt ihr Vater zu mir, und zu meinem Weib Mutter.“ Durch den strömenden Regen führte er sie still hinüber zum Hegerhaus. Er brachte die Kinder in die noch warme Küche, legte sachte Holz auf die glimmenden Herdkohlen und goss Wasser auf den Kaffeesud in der Kanne, die er zustellte. Jetzt erst besah er sich die Knaben, die unbeweglich an der Tür standen und verlegen die durchnässten Lodenhüte in den Händen hielten. Von den Rändern der Wettermäntel, die sie über ihre mächtigen Rucksackhöcker gezogen hatten, tropfte das Wasser und die nassen Haare hingen ihnen tief ins gebräunte Gesicht. Ihre Augen irrten über die Gegenstände der Küche. „Der welche von euch ist denn der Franzel?“ Der kleinere und stämmigere trat einen Schritt vor. Scheu sah er zum Heger auf. Seine dunklen Augenbrauen zogen sich finster zusammen. — „Dann bist du der Sepperl.“ Der grössere nickte: „Alleweil“ und lächelte gutmütig. — „Müssts euch umg’wanden,“ sagte der Heger und entledigte sich seiner Stiefel. Sie streiften die Wettermäntel ab. Und nun half er ihnen die überfüllten Rucksäcke ablegen, deren gespannte Schulterriemen tief einschnitten. Als er Sepperls Rucksack niederstellen wollte, traf ihn ein bittender Blick aus den graublauen Augen des Kindes: „Bitt, nit gach niederstellen; san unsere Kaffeehäferln drein und aa das von der Muatter.“ Dem Heger fiel auf, dass aus Franzels Rucksack ein verrosteter, allem Anschein nach auf halbe Länge gekürzter Flintenlauf ragte.
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