Als die Hegerin mit der Zubereitung des Abendmahls beschäftigt war, sammelte sich alles im Lichtkreis der Lampe. Die Kinder unterhielten sich damit, die Hautporen ihrer Hände durch Bertels Vergrösserungsglas zu begucken. Huscherl, die Hauskatze, sass vor dem Alschenloch im Bereich der strahlenden Wärme. Neben ihr lag Treff; seine Augen folgten den Bewegungen der Hegerin; er war darauf gefasst, dass sie ihn wegjagte. Wieder hörte er sie schelten: „Müssts denn ausgerechnet grad mir im Weg sein, ihr Viecher?“ — Der Hund tat, als ginge ihn die Frage nichts an. Ab und zu kratzte er sich mit einer Hinterpfote, was ihm die Drohung eintrug: ,,I wer’ di glei’ stampern, du Flohbeutel, du.“ Dann nahm er wieder eine seiner Vorderpfoten ins Maul und biss daran herum. Das fiel dem Heger auf; er wendete sich zu seinem Buben: ,,Geh, Bertel, hol’ mir die Teersalbe aus dem Werkzeugkammerl; weisst die, mit der wir den alten Küon eingerieben haben; nimm auch das Petroleumkandel mit.“ Bertel brachte das Verlangte. Der Heger verdünnte die Salbe mit etwas Petroleum und begann dem Hunde damit die Pfoten zu bestreichen.
„Beim Küon hat die Räude zwischen den Zehen angefangen. Da in den Hautfalten haben die Milben ihre beste Zuflucht gehabt.“ — „Wie schaun denn die Milben aus?“ fragte Liesel. — „Garstige, borstige, winzige Viecherln sind’s, viel, viel kleiner als die Flöh’; man kann s’ nur durch ein starkes Vergrösserungsglas sehn. In der Jagdzeitung sind s’ aufgezeichnet.“ — Der Heger brachte das Heft und schlug den Aufsatz über „Ungeziefer als Krankheitserreger“ auf. Brrr, wie hässlich waren da die vergrösserten Bilder der Krätzmilben, der Flöhe, der Flohlarven, der Federläuse! Da erinnerte sich Sepperl, dass der Heger gesagt hatte, die Flöhe legten ihre Eier in den Staub. Er verliess die Stube und brachte aus der Hundshütte eine Handvoll Strohzerreibsel und Staub; das gab er auf ein Stück Papier und rückte die Lampe heran. „Das ist aus der Hundshütten; da müssen Floheier drin sein.“ — Liesel hatte sich des Vergrösserungsglases bemächtigt, die anderen Kinder zappelten vor Ungeduld. Franzel aber sah schon mit freiem Auge gleich dreierlei. Eine erbsengrosse Zecke. „Der Zeck ist so dick, weil er sich sattgesoffen hat mit Blut vom armen Treff; und der da, der magere, ist noch hungrig. Und da ist ein Weberknecht, der ist tot, den hat der Treff zerdruckt.“ Der Heger schob das langbeinige Spinnentier aus dem Zerreibsel aufs reine Papier: „Der Weberknecht ist kein Ungeziefer. Der ist als guter Freund zum Treff in die Hütten gekommen. Der hat wollen die Milben wegfressen.“ — „Der is ja über und über voll rote Punkterln!“ rief Bertel und nahm der Liesel das Glas aus der Hand. „Und die roten Punkterln sind lebendig!“ Jetzt nahm der Heger das Glas. „Das sind ja lauter junge Samtmilben, ,Glücksspinnen‘ nennen s’ die Leut. Als Schmarotzer haben sie Blut gesaugt am Weberknecht. Seine Aufgab’ist’s, die Milben zu fressen, und wenn er ihrer nicht Herr wird, plagen sie ihn.“ Das Glas ging von Hand zu Hand. Die forschenden Augen der Kinder entdeckten im Staube winzige borstige wurmartige Tierchen. „Das sind die Jungen von den Flöhen, so wie die Raupen die Jungen sind von den Schmetterlingen.“ Auch weissliche Kügelchen fanden sie im Staube, kleiner als Grieskörner. „Das sind die Floheier.“ Liesel war entsetzt. „Der arme Treff! Wie könnt’ mer ihm helfen von dem Ungeziefer?“ — Mach’ ihm die Hütten rein!“ gab der Vater zur Antwort. „Ausreiben?“ fragte Liesel. „Noch besser auskalten. Weisst, liebe Liesel, die Kalkmilch ist eine gar scharfe Lauge, die bringt das Ungeziefer um. Es gibt allerhand, von dem das Ungeziefer hinwerden muss. Da ist einmal die Seifenlauge, dann Teer, Karbol, Lysoform, Petroleum; aber übers Auskalten geht nix; das macht auch keinen üblen Geruch.“ — „Drum kalk’ ich ja auch den Hendeln die Legnester aus, dass die Milben nicht überhandnehmen,“ mengte sich die Mutter ins Gespräch. „Und ich streich’ doch in jedem Herbst die Obstbaumstämm’ mit Kalkmilch, damit die Ungeziefer-Eier und Puppen hin werden,“ bemerkte der Heger und holte zu einer Belehrung aus, wie er sie bei jeder Gelegenheit den Kindern zu geben pflegte. — Er hob das Vergrösserungsglas und begann: „Schaut euch einmal das Vergrösserungsglas an. Wer’s erfunden hat, weiss ich nicht. Geschliffen hat’s irgendein Glasschleifer in einer böhmischen Glasfabrik. Mit dem Glas habt ihr das winzige Ungeziefer gesehen, das ihr mit freiem Auge nicht hättet sehen können. Und jetzt wisst ihr, wie dem Hund zu helfen ist.“ „Ich kalk’ ihm die Hütten jede Woche einmal aus,“ unterbrach Bertel.
„Die gelehrten Herren, die Doktoren und Professoren, die Naturforscher, haben, noch viel bessere Vergrösserungsgläser. Damit haben sie herausgebracht, was für winziges Ungeziefer auf Menschen und Tieren, ja sogar in ihnen lebt, und sie sind darauf gekommen, dass Menschen und Tiere vom Ungeziefer krank werden.“ — „Die Gelsen impfen den Leuten das Sumpffieber ein,“ warf Liesel dazwischen. „Ja,“ fuhr der Heger fort, „und Läus’, Flöh’, Milben, Wanzen, Fliegen, auch andre noch viel, viel kleinere Schmarotzer wandern von Kranken auf Gesunde und machen sie krank. Die Doktoren sagen: Sie infizieren die Gesunden mit der Krankheit. — Da hilft nix, als die Schmarotzer umbringen mit allerhand scharfen Mitteln; das heisst desinfizieren. Auf schmutzigen Händen, besonders im Schmutz unter den Fingernägeln gibt’s allerhand Schmarotzer und Gi fte, die Krankheiten erregen. —
So mancher Mensch ist an Blutvergiftung
gestorben, weil er sich ein Wimmerl aufgekratzt hat.“
„Aha! jetzt versteh’ ich, warum der Oberlehrer
agner s o scharf darauf schaut, dass die Kinder
rein in die Schul’ kom- men,“ warf Liefel ein.
„Erst vorgestern hat er einem zugesiedelten Buben
mit Seife und Bürste die Händ’ gestriegelt, dass der
geflennt hat. Und wenn ein Mädel Ungeziefer im
Haar hat, ladet der Oberlehrer die Mutter vor; er
duldet nicht, dass von einer die anderen das
Ungeziefer kriegen könnten.“ — „Und jetzt verstehst du
auch, liebe Liefel, warum wir jede Woche am
Samstag die Wohnung gründlich rein machen,“
sprach die Hegerin darein, ,, und warum ich als
Mutter gar s o versessen bin auf eure Reinlichkeit.
Die Reinlichkeit ist ja die halbe Gesundheit. — Jetzt
aber ist’s genug
mit dem Diskurs. Jetzt wird aufgedeckt zum Nachtmahl. — G’schwind, g’schwind die Händ’ waschen vorm Essen!“ Da knüllte Bertel das Papier mit dem durchforschten Staub zusammen und steckte es ins Herdfeuer.
Während des Händewaschens mahnte Liesel den Franzel: „Seif’ die nur die Händ’ brav ein; hast ja g’hört, dass die Seif’ desinfiziert.“ —
Nach dem Abendmahl aber trugen die Kinder die Hundshütte in die Mitte des Hofes, fegten alles alte Stroh samt dem Staube heraus und zündeten es an. Liesel wusch den Boden der Hütte mit Seifenwasser ab, rieb ihn trocken und machte dem Treff ein reines Bett von frischem Stroh. Morgen sollte die Hütte gekalkt werden.
Als die Kinder in aller Frühe die Dachstube betraten, waren sie entzückt von dem freundlichen Raum. Da Bertel am Vorabend das Fenster geöffnet hatte, war die Luft frei durch den Raum gestrichen. Die Wände zeigten beim Trocknen grosse, lichte, gleichmässig weisse Flecke, und Sepperl hatte nichts mehr zu tadeln. — Wiewohl die Kinder wussten, dass die Dachkammer erst in einiger Zeit bezogen werden sollte, brannten sie doch schon darauf, dieselbe mit dem notwendigsten Gerät auszustatten, ehe der Weg nach Aspern wieder gangbar wurde und das Schulgehen einsetzte. Liesel aber bestand darauf, dass zuerst Treffs Hütte ausgekalkt wurde, damit sie trockne, während er mit dem Vater Dienst machte. Da taten sie ihr den Willen. Dann aber überlegten sie, was alles notwendig war; zwei Bettgestelle, ein Tischchen, zwei Sitzgelegenheiten, zwei Wandbretter, zwei Kleiderrechen und etwas zum Unterbringen der wenigen Wäsche. Aber an Brettern war schon Mangel, da mussten Rundhölzer dran. Davon gab es hinterm Haus einen grossen Vorrat, da der Heger das selbst geschlagene Holz frei hatte. Und Bertel wusste, dass er davon nehmen konnte, was nötig war. Nun suchte er zunächst armdicke, gut ausgetrocknete Rundhölzer hervor zur Herstellung der Bettgestelle, die wegen des kleinen Raumes nur 7 Dezimeter breit werden sollten. Auch brauchten sie nicht hoch zu sein, nur musste der Bettrost so angebracht werden, dass darunter hervorgewischt werden konnte. Mit dem Vormessen wartete Bertel nicht auf den Vater. Er bezeichnete zunächst die Schnittstellen für die meterhohen Ständer, dann für je zwei Querhölzer am Kopf- und Fussende und für je zwei Langhölzer von 2 Meter Länge. Er dachte voraus, dass Franzel und Sepperl die Betten benützen sollten, auch wenn sie schon grosse Männer geworden wären. Kaum hatte er die Schnittmarken mit dem Taschenmesser eingekerbt, als das Sägen um die Wette begann. Weil aber nur drei Sägen da waren, ging Liesel leer aus. Ihr blieb Zeit, die Frettchen zu füttern, die im Kuhstall ihre Wohnkiste hatten.
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