Alois Theodor Sonnleitner
Die Hegerkinder im Gamsgebirge
Roman
Anschliessend an „Die Hegerkinder in der Lobau“
Mit Bildern von Ernst Kutzer und Franz Roubal
Saga
Die Hegerkinder im Gamsgebirge
© 1923 Alois Theodor Sonnleitner
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570081
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Es mag uns die Arbeit behagen
In Werkstatt und Stube und Flur;
Doch packt uns zuzeiten die Sehnsucht
Nach der Berge herber Natur.
Wir überwinden die Trägheit
Des Leibes mit Selbstvertrau’n,
Um Täler und Hügel und Weiher
Von oben zu beschau’n.
Glückseliger Wand’rer, der siegreich
Hoch über den Klüften steht
Auf dem Gipfel des Bergesriesen,
Vom Odem des Himmels umweht!
Ein Lichtbad nimmt seine Seele.
Er kehrt geläutert zurück
Dahin, wo er für andre
Und für sich schafft das Glück.
Dr. A. Th. Sonnleitner.
Perchtoldsdorf, Haus „Auf der Sonnleiten“ im Mai 1927.
Verklungen ist das hohe Getön der Glocke, die dem Heger Gschaider zuliebe die Asperner zur Trauerandacht gemahnt hat. Verhallt ist das dumpfe Aufprallen der Erdschollen, unter denen der Sargdeckel gedröhnt hat. Verlaufen haben sich die Befreundeten und Bekannten des Hingeschiedenen.
Aber nicht versiegt sind die Tränen der vier Hegerkinder. Noch können sie es nicht fassen, dass sie nun ganz verwaist sind.
Im vorigen Winter ist ihnen die Mutter gestorben. Im Herbste hatte sie an Sumpffieber gelitten. Da war es dem Arzte gelungen, sie durch reichliche Chinin-Gaben vom Fieber zu befreien. Aber als Nachkrankheit hatte sich eine Erkrankung der Milz eingestellt, die er nicht zu heilen vermochte. Damals war die Bestrahlung mit Röntgenlicht noch nicht bekannt.
Und jetzt stehen die Kinder am Grabe des Vaters, der als Opfer seiner Pflichttreue gefallen ist. Ein Milderer hatte eine Rehgeiss in der Drahtschlinge gefangen. Beim Aufnehmen der zu Tode gequälten Beute war er vom Heger ertappt worden. Er hatte sich mit dem Messer gegen die Festnahme gewehrt und den Heger tödlich verwundet.
Abseits vom offenen Grabe steht Herr Dressler, der Student, im Schatten einer Hängebuche, ein dankbarer Freund des Verstorbenen, den Waisen ein Freund in der Not. Er wartet, bis die Kinder sich ausgeweint haben.
Er hat es übernommen, sie zum Moasen-Thomerl zu geleiten, dem braven Flickschuster, der sich das Recht gesichert hat, als Vormund für die Waisen zu sorgen. Der ist mit seinem Töchterl, der Regerl, längst voraus heimzu, den Hegerkindern eine Mahlzeit zu bereiten. Sommerlich warm brennt die Sonne auf den Friedhof nieder. Sie entlockt den Zypressen und Segenbäumen herben Harzduft. Schmetterlinge umgaukeln die Rosen und Ringelblumen auf den Gräbern, Eidechsen sonnen sich auf bemoosten Grabsteinen; leises Bienengesumm macht die Luft klingen. Das Schluchzen der Liesel und Sepperls wimmerndes Weinen ist aufdringlich hörbar. Bertel und Franzel haben wohl feuchte Augen, aber ihre Lippen sind fest geschlossen.
Der Student wartet und wartet.
Die Liesel ist unbewusst dem Grabesrande zu nahe gekommen; sie sieht alles trüb. Die Tränen haben ihr die Augen verschleiert. Unter ihren Füssen rollt die gehäufte Erde hinunter auf den Sarg.
Franzel reisst sie zurück: „Gehen wir!“
Und sie lässt sich hinwegführen.
Der Student tritt an die Kinder heran.
„Kommt, gehen wir zum Moasen-Thomerl.“
Unterwegs liess Dressler wohl eine Weile die Kinder ihr Leid ausweinen, dann aber versuchte er, sie mit schonenden Worten auf andere Gedanken zu bringen. — Er zeigte ihnen mancherlei Käfer und Falter, die der Betrachtung wert waren. Aber heute waren die Kinder nicht geneigt, mit ihm das Wunderbare in der Natur zu bestaunen und den schulmeisterlichen Belehrungen des jungen Mannes zu lauschen, der es doch so gut mit ihnen meinte.
Dass die Sonne so grell schien, dass die Lerchen so laut jubelten, dass die Grillen so schrill zirpten, alles tat ihnen weh. Aber sie weinten nicht mehr. Still näherten sie sich dem Hause des Flickschusters. Sein Töchterlein erwartete sie schon auf der Schwelle und lief ihnen ein gut Stück Weges entgegen. Sie empfing die Ankömmlinge mit der Frage: „Wo bleibt ihr so lange? Der Kaffee wartet und ich hab’ einen Gugelhupf gebacken.“
Da folgten sie ihr in den Hausgarten, wo im Schatten der Obstbäume der Tisch weiss gedeckt war wie an einem Feiertag.
Regerl fühlte sich gar wichtig als Hausmütterchen und sie war stolz darauf, dass ihr der Gugelhupf geraten war. Das sollte ihr eine nachmachen, die noch drei Jahre in die Schule gehen musste wie sie. Sie schenkte ein und legte vor. Da begannen sie zu essen.
Der Moasen-Thomerl aber war nicht da: „Der Vater ist ins Hegerhaus hinüber, das Vieh tränken und füttern,“ erklärte Regerl. So handelte der Vormund 1für seine Mündel. Das Vieh, welches sie geerbt hatten, sollte nicht Durst und Hunger leiden am Begräbnistag.
Erst beim Abendläuten kam der Schuster zurück. Als Liesel ihm dankte, dass er der Vormund wollte sein, wehrte er ab:
„Schaut, Kinder, wenn einem jungen Spatzerl, das noch nicht fliegen kann, die Katz die Eltern wegfrisst, da nimmt sich irgendein anderer Spatz um das verlassene Vogerl an und lässt es nicht verkommen. Wär eine Schand, wann’s bei uns Menschen anders wär.“
Nach dem Moasen-Thomerl kam der Turnowsky-Hiasel, der grosse Bub des Buschenwirtes. Er wollte die Kinder heimgeleiten und in der Nacht bei ihnen bleiben, wie er es als guter Nachbar in den letzten zwei Nächten getan hatte.
Verwaist waren die Hegerkinder, aber verlassen waren sie nicht.
Am liebsten hätte der gute Moasen-Thomerl seine vier Mündel bei sich behalten im Haus; aber er war zu arm. Sein Handwerk nährte ihn und sein Töchterlein nur so, dass sie gerade noch satt wurden. Seitdem eine Menge Händler schöne und billige Schuhe verkauften, wie sie in den Fabriken hergestellt werden, liess selten jemand bei dem Dorfschuster ein Paar nach Mass machen. Zu flicken hatte er genug, aber das trug nicht viel ein.
Da war es für ihn die erste Sorge, die drei Knaben anderwärts unterzubringen; sie mussten aufgeteilt werden. Aber zu guten Menschen sollten sie kommen, dass sie nicht verdürben. Die beiden schulmündigen Ziehbrüder, Franzel und Bertel, mussten sich jetzt entscheiden, was sie werden sollten. Der Vormund befragte die Knaben darum und suchte Rat beim alten Oberlehrer Leitel und beim neuen Oberlehrer Wagner, aber auch bei den Forstleuten. Franzel wäre am liebsten Jäger geworden, aber er hatte auch Lust zum Schlosserhandwerk. Bertel, der ein sehr gutes Entlassungszeugnis hatte und der seinen Oberlehrer Wagner als Vorbild verehrte, bat, der Vormund möchte ihn Lehrer werden lassen.
Gern hätte dieser ihm willfahrt, aber er hatte Angst, die Mittel für das lange Studium nicht aufbringen zu können. Hiezu kam, dass der Forstmeister, der ihm für Liesel einen Erziehungsbeitrag zu erwirken versprach, sich bereit erklärte, den Bertel sofort als Forstpraktikanten anzunehmen und für dessen spätere kostenlose Unterbringung in der Aggsbacher 2Forstschule zu sorgen.
In seiner Armut unfrei, ergab sich Bertel in das von dem wohlwollenden Herrn bereitete Schicksal. Der Gedanke, dass sein Vater in treuer Pflichterfüllung dem Messerstich eines Strolches erlegen war, erfüllte ihn mit einem Ernste, der ihn älter erscheinen liess, als er war. Als Forstpraktikant wurde er dem Oberförster in Wolfsgrund 3zugeteilt und tat schon am dritten Tage nach dem Begräbnis als Aufseher Dienst beim Holzschlagen. In den Augen der Taglöhner war der junge Forstpraktikant eine Amtsperson wie jede andere. Sein Dienstkleid gab ihm das Ansehen; der graue Lodenrock mit grünen Tuchaufschlägen kleidete ihn gut; das vergoldete Eichenlaub am Kragen, der schwertartige Hirschfänger an der Seite und die alte Büchsflinte, welche er als Erbstück vom Vater übernommen hatte, sie waren Abzeichen seiner Pflichten und Rechte. Und bei seinen Dienstgängen war Treff, der Hund, den der Vater aufgezogen hatte, sein lieber Begleiter.
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