Werner Heinemann
Spuren von Gestern
30 kurze Erzählungen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Werner Heinemann Spuren von Gestern 30 kurze Erzählungen Dieses ebook wurde erstellt bei
Werner Heinemann Werner Heinemann Spuren von Gestern 30 kurze Erzählungen
Am Staketenzaun
Auf dem Balkon
Blues
Blumenstiel
Das Treffen mit Hildchen
Der Hauptmann der NVA
Der Juden Max
Der kleine Klausemann
Der kunstlederne Koffer
Die Beerdigung
Die Grillparty
Die himmlische Königin der Unterwelt
Die Wut der alten Männer
Ein Wort zu Elisabeth Ritter
Eric am Sonntagvormittag
Hermann Löns, die Heide brennt
Hollmann im Hotelzimmer
Janik
Lebenshunger
Leichengeruch
Mama hat Geburtstag
Nachrichtenmacher
Nazi Schlampe
Probleme und solche Dinge
Reisebericht für Karlina
Sille, Torben und der Prediger
Teuflische Morde
Und ewig singt die Nachtigall
Unter Dampf
Zurück im Dorf
Impressum neobooks
Spuren von Gestern
30 kurze Erzählungen
Ria saß auf der Bank am Wohnhaus im Vorgarten, der zur schmalen Straße und der Hofeinfahrt von einem Staketenzaun begrenzt war. Vor ihren Füßen lag Rambo, der sehr gern döste. Sie war gelangweilt und hoffte, dass einmal etwas passieren würde. Aber wohin sie ihren Blick auch wendete, ob geradeaus über die weiten Getreidefelder, rechts den geteerten Weg entlang, der zur Landstraße oder in linker Verlängerung als Feldweg bis zu den Fischteichen führte, es tat sich nichts. Bis auf die Lerche, die vor ihr hoch in der Luft stand und ihr Liedchen schmetterte.
Sie hing ihren Gedanken nach, darüber, dass hier draußen nie was los ist und über Sven, der mit ihr etwas losmachen will, aber sie nicht mit ihm. Und sie dachte an Papa, der mit Leib und Leben Bauer war und trotzdem wenigstens einmal am Tag mit seinem Schicksal haderte: „Diese Maloche, diese verdammte Maloche!“
Mama, die arme, immer kranke Mama, die den chronischen Husten nicht loswurde, obwohl die ratlosen Ärzte sogar schon mehrmals dreiwöchiges Reizklima verordnet hatten. Ihre Geburt soll Mama beinahe das Leben gekostet haben, hatte Mama ihr eröffnet und anschließend heftig gehustet. Oma hatte ihre eigene Einstellung zu Mamas Krankheit: „Früher haben die Menschen viel gehustet und sogar öfter Blut gespuckt, aber heutzutage hustet man nicht mehr so viel und Blutspucken ist ganz aus der Mode. Die beste Medizin ist Arbeit, die lenkt vom Husten ab.“
Und Opa, ja, der war cool und immer parteiisch ganz auf Rias Seite. „Nun lasst doch das Mädchen mal in Ruhe!“, forderte er schon präventiv, bevor Ria überhaupt einer Kritik ausgesetzt war.
Rambo hob leicht den Kopf und war urplötzlich hochkonzentriert. Schon klar, dachte Ria, für Rambo ereignet sich mal wieder extrem Wichtiges; aber leider auch nur für ihn. Sie sah trotzdem in seine Blickrichtung, den geteerten Weg entlang. Ja, da kam jemand, aber der war noch schwer zu identifizieren. Rambo blieb hellwach.
Opa hegte und pflegte den uralten Staketenzaun. „Denn hier“, so Opa, „hatte es sich entschieden zwischen mir und Oma. Sie stand im Vorgarten hinter dem Zaum und ich kam vom Feld, hielt auf der anderen Seite an und tat als ob mein alter Fendt zickig wäre. Und weil Oma am Zaun blieb und mir zusah, fragte ich sie, ob sie auf der Kirmes mit mir tanzen wolle. Ja, aber ich solle mir darauf nichts einbilden, hatte sie geantwortet. So einfach war das. Wenn es bloß mit ihr auch so einfach geblieben wäre.“
Rambo knurrte leise. Ria wandte den Kopf in Richtung jemand. Es war ein Mann, der ein Fahrrad schob. Es war ein junger Mann. Rambo wurde unruhig, ihm war ein junger Mann, der ein Fahrrad schob, äußerst verdächtig. „Schhh!“, Ria zog den Laut aus drei Buchstaben beschwichtigen lang. Rambo verstand, behielt aber aufmerksam den jungen Mann im Auge.
„Deine Mutter“, hatte Opa gesagt, „das arme Mensch, war schon krank, als sie hier ankam. Ich sagte noch zu deinem Vater: Junge, sagte ich, das Mensch ist nicht gesund und eine Bauersfrau wird die nie. Man gut, dass dein Vater so ein Eigenbrötler, so ein Sturkopf ist, denn sonst hätten wir dich nicht, mein Kind.“
Ria erinnerte sich plötzlich an ihre Konfirmation im diesjährigen April. Mama hatte verzückt geschwärmt: „Wie hübsch sie aussieht. So hübsch!“
Und Opa hatte bestätigt: „Ja, meine Kleine hat sich ganz schön rausgemacht und wenn sie erst das Brautkleid anhat, dann werde ich auch noch mal jung.“
Oma konterte darauf: „Wozu das denn?“
„Damit ich noch einmal mit der schönsten Braut tanzen kann“, hatte Opa stolz und überzeugt geantwortet.
Rambo knurrte und brachte Ria in die Jetztzeit zurück. Er war aufgestanden und angriffslustig. „Schhh“, beruhigte ihn Ria. Der junge Mann, der ein Fahrrad schob, war nur noch wenige Meter von ihnen entfernt und als er ihre Höhe erreicht hatte, blieb er hinter Opas Staketenzaun stehen.
„Guten Tag“, sagte er, „hier geht’s doch zum Landgasthaus Schöne Aussicht.“
Ria erhob sich, Rambo machte neben ihr Sitz. „Nein“, bedauerte Ria, „hier geht’s zu den Fischteichen und danach ist Schluss“. Sie dachte, was er doch für schöne weiße Zähne hat, eine gesunde braune Haut und diese Augen, die sie so ansahen.
„Au Mann“, sagte er, „heute ist nicht mein Tag!“
Ihr war nicht richtig bewusst, dass sie auf den kleinen Steinplatten direkt auf ihn zuging. Rambo, ganz Herr der Lage, schritt dicht an ihrer Seite. Zwischen ihnen der Zaun. Sie musste ein wenig zu ihm aufsehen, als sie erklärte: „Nach der Ortsausfahrt hättest du – ich meine Sie – gleich die erste Abfahrt nehmen müssen, dort ... und dann bergauf im Wald ... ich meine da drüben ... das ist die Schöne Aussicht.“
Er sah in die Richtung, entdeckte sein entferntes, verfehltes Ziel und stellte trocken fest: „Na, dann habe ich ja noch was vor mir.“
Rambo machte Sitz und verfolgte das Geschehen aufmerksam.
Ria hatte die Augen gesenkt und ging mit sich selbst ins Gericht. Was stammelte sie nur für ein wirres Durcheinander? Warum stand sie hier am Zaun? Was war los mit ihr? Und was er für schöne, gepflegte Hände hatte. Diese tiefe Stimme, die stoisch feststellte: „Na, dann habe ich ja noch was vor mir.“ War ihr heiß oder kalt? Sie wollte ruhiger atmen als ihr Herz schlug. Das gelang ihr nur, weil das Herz zu rasen begann.
Als sie ihn reden hörte, hob sie wieder ihre Augen. Sie hörte wohl, aber verstand ihn nicht. Er musste sie für blöd halten. Sie stellte fest, dass sie bejahend mit dem Kopf nickte. Oh, wie peinlich! Das Fahrrad, was war mit dem Fahrrad? Ach, er hatte einen Platten. Dieses uralte Fahrrad hatte mit Sicherheit nicht den ersten Platten. Sie musste ihm helfen. Er durfte unter keinen Umständen mit einem platten Reifen wieder davon schieben.
„Ja, ja. Natürlich, ich hole Ihnen Wasser“, brachte Ria immer noch ganz neben sich heraus.
Aber er hielt sie zurück: „Wir waren doch eben schon beim Du.“
Beim Du? Ja, sie hatte öfter zustimmend mit dem Kopf genickt. Ja, ja, sagte sie sich, tausendmal Ja! Und sie stammelte: „Oh ja“.
„Übrigens, ich heiße Jonas“, sagte er und sah sie dabei mehr lieb als nur freundlich an.
Er heißt Jonas, schoss es ihr durch den Kopf. Und innerlich flehte sie: Bleib hier, ich hole dir Wasser. Aber er ließ sie nicht gehen. „Und? Und wie heißt du?“, wollte er wissen.
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