Friederike Leibl-Bürger · Florian Asamer
Schnee von gestern
Schlepplift, Strandbad,
Schlüsselkinder -
und was sonst noch war
Cover
Titel Friederike Leibl-Bürger · Florian Asamer Schnee von gestern Schlepplift, Strandbad, Schlüsselkinder - und was sonst noch war
Widmung Für die Buben
Vorwort Vielleicht war nicht alles genau so, wie wir es beschreiben. Aber vieles könnte genau so gewesen sein. Wir wurden beide Anfang der 1970er-Jahre geboren. Der eine wuchs im Westen Österreichs auf, in einer Stadt. Die andere im Osten, am Land. Trotz der Unterschiede hat sich vieles ähnlich angefühlt: Die Gemeinsamkeiten bilden die Basis für dieses Buch. Im Text sind wir nicht immer wir. Und Vater und Mutter sind nicht immer unsere Eltern. Irgendwo zwischen dem Immer und dem Nie dürfte das Lebensgefühl der 1970er- und 1980er-Jahre zu finden sein. Danach haben wir gesucht.
WINTER
Vom ersten Schnee zum letzten Schwung
Holländer und Kinder müssen unten bleiben
Herunter kommt jeder
Ameisen in der Gondelbahn
Erbswurstsuppe und Skiwasser
Schneepflug statt Pizzaschnitte
Aus der Spur ins Gelände
Der Schmerz in den Zehen
Zwiebellook und Heckeinstieg
Hermann Maier statt Wolfgang Schüssel
Unser Feind, der Snowboarder
Völkl fährt man nicht
Aus der Jethose ins Schneehemd
Vorfahren, Frieren, Flaschendrehen
Single am Dreiersessellift
Skifahren, das war auch ein Fernsehsport
Generation Girardelli
Grado oder Obergurgel
FRÜHLING
Frühlingserwachen, bitte warten
Jugend ohne Shoppen
Als der Bäcker nicht bloß auftaute
Da wächst er noch rein
Endlich unter der Trockenhaube
Musik kam aus dem Radio
Hitparade und Bandsalat
Die Bedeutung des Telefons
Wenn der Vater abhebt
Die Leitung muss frei sein
Verliebt am Telefon
Wenn der Anrufbeantworter blinkt
Versetzt am falschen Ort
Geld aus, Abend aus
Cindy in Palmers
Maverick im Cockpit
Petting mit Dr. Sommer
SOMMER
Sprungbrett, Standbad, Sonnenbrand
Das Fahrrad, unser bester Freund
Unter Männern im Stadion
Am Sprungbrett
Ein Tag am See
Echte Brüste wippen
Kirschen, Bauchweh und die falsche Ananas
Wenn Gäste kamen
Der Weg an die Adria
Auf der Rückbank durch die magische Nacht
Cocobello und viele Nullen
Unser Weißer Hai war die Qualle
Bräune schinden als Urlaubsziel
36 Fotos für die Ewigkeit
Die Eroberung der Welt
Schwarze Flecken im Lebenslauf
Es fährt ein Zug nach nirgendwo
HERBST
Vom Jausenbrot zum Brotstudium
Schutzanzüge gegen Scharlach
Die Einsamkeit der Schlüsselkinder
Ein Stamperl mit der Oma
Immer schön aufessen
Vom Verhungern und Verdursten
Die Klassenbucheintragung
Die Welt in Fächer geteilt
Der Geruch nach Schularbeit
Nur keinen Ganztagswandertag
In der Bubenschule
Als der Schulatlas nicht mehr stimmte
Pünktlich oder Hausarrest
TV-Voting per Klospülung
Luftpost, Poesiealben und Tagebuch
Als Brockhaus unser Google war
Mag. rank. xerox
Tausche Sparschwein gegen Werkzeugset
Der Geruch von Feuer
Nebelschwaden und Weltschmerz
Danksagung
Impressum
Für die Buben
Vielleicht war nicht alles genau so, wie wir es beschreiben. Aber vieles könnte genau so gewesen sein. Wir wurden beide Anfang der 1970er-Jahre geboren. Der eine wuchs im Westen Österreichs auf, in einer Stadt. Die andere im Osten, am Land. Trotz der Unterschiede hat sich vieles ähnlich angefühlt: Die Gemeinsamkeiten bilden die Basis für dieses Buch. Im Text sind wir nicht immer wir. Und Vater und Mutter sind nicht immer unsere Eltern. Irgendwo zwischen dem Immer und dem Nie dürfte das Lebensgefühl der 1970er- und 1980er-Jahre zu finden sein. Danach haben wir gesucht.
VOM ERSTEN SCHNEE
ZUM LETZTEN SCHWUNG
Mit den Erinnerungen an unsere Kindheit ist es wie mit allen Erinnerungen: Sie halten einer Überprüfung nur selten stand. Es war immer kalt und es lag sehr viel Schnee. Hat man zum Beispiel in einer Stadt in Westösterreich gewohnt, in einem Haus mit Hof, dann kann man sich vielleicht noch daran erinnern, in diesem Hof Schneehöhlen gebaut zu haben. Also Gänge mit Ausgängen oben und seitlich, in denen man herumkriechen und spielen konnte. In der Mitte sogar mit einem Iglu. Müssen also Mordswinter mit wahnsinnig viel Schnee gewesen sein damals, oder? Es existiert sogar ein Foto davon. Allerdings sind Schneehöhlen für einen Sechsjährigen etwas anderes als für einen erwachsenen Beobachter. Betrachtet man das Foto genauer, ist nur ein großer Schneehaufen zu sehen, der durch das Schneeschaufeln entstanden ist.
Es gab sehr schneereiche Winter in den 1970er- und 1980er-Jahren. Es gab aber auch schneearme. Wenn wir uns recht bemühen, so können wir uns vielleicht auch an endlose Spaziergänge erinnern, zu denen uns die Eltern während der wenigen Stunden mit Tageslicht zwangen, um „auszulüften“, wie sie es gern nannten. Dann schleppten wir uns über festgefrorene Ackerfurchen und tote Wiesen und kein Tüpfelchen Schnee war zu sehen. Aber diese Winter sind überdeckt von den glorreichen, schneeweißen Wochen, die für uns die Winter unserer Kindheit sind. So hätte es immer sein können.
Am schönsten war es, wenn der Schnee über Nacht kam. Am schönsten war es, wenn der Schnee über Nacht kam. Wir liefen zum Fenster, und statt dem braun-grünen Gatsch und den traurigen, nackten Baumwedeln, die uns noch ein paar Stunden zuvor eine gute Nacht gewünscht hatten, sagte nun eine dicke Schneetuchent guten Morgen. Alles lief in Zeitlupe. Der Schnee schaltete einen unwirklichen Filter vor unsere Sinne. Die Verlangsamung war nicht nur Einbildung: Auf den nicht geräumten Straßen bewegten sich alle tatsächlich vorsichtiger als sonst.
Winter, das waren Eiszapfen an Dachrinnen, die wir abzubrechen versuchten, um daran zu lutschen. Überhaupt hat man uns erst viel später abgewöhnt, Schnee zu essen. Sich als Kind gut eingepackt ungebremst in den Schnee fallen zu lassen (nach hinten, um dann mit den Armen einen Engelabdruck zu hinterlassen) haben wir bis heute als Zeichen von bedingungslosem Vertrauen abgespeichert. Winter war auch, den Atem vor dem Mund sehen, Eis von Fenstern kratzen oder auf Autoscheiben Namen in die Raureifschicht ritzen. Schneebälle auf Verkehrsschilder werfen oder den Mitschülern in den Nacken stecken. Auch das „Einreiben“ mit Schnee gehörte als fixer Bestandteil zum Winter.
Dass uns ständig kalt war, damals, lag auch daran, dass nicht flächendeckend geheizt wurde. Es war üblich, in einem Haus nicht alle Zimmer gleich warm zu machen, sondern eben nur jene, die ständig benützt wurden. In den öffentlichen Verkehrsmitteln und in der Schule war es auch drinnen kalt, wenn es draußen kalt war. Wollpullover waren, abgesehen davon, dass sie kratzten und gerne dunkelbraun waren, kein modisches Bekenntnis, sondern pure Notwendigkeit. Im Winter mit kurzen Ärmeln im Klassenzimmer sitzen? Undenkbar. Sweatshirts gab es erst später in unserem Leben. Wie erstaunt waren wir, dass Pullover auch weich und angenehm sein konnten! Von „Fruit of the Loom“ waren diese ersten Segensbringer beispielsweise.
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