"Oh, für mich bitte nicht. Ich werde dann immer so schnell unkonzentriert. Ein Wasser wäre schön."
Karla sagt gar nichts, das kennt Bruno schon und deutet es als Zusage.
Ein paar Minuten später sitzen alle drei um den Couchtisch herum und stoßen an, zweimal Wein, einmal Wasser. Dann beginnt Hanna erst einmal sich zu bedanken. Dabei schaut sie Bruno etwas reserviert an, man könnte meinen, sie geniert sich. Karla antwortet anstelle von Bruno und gibt ihrer Freundin zu verstehen, dass sie sich hier völlig frei und zwanglos fühlen könne. Sie sei in den besten Händen, unter Freunden und könne ganz offen über alles mit ihnen reden. Hanna schaut zu Boden, denkt wohl über das eben Gehörte nach. Wenn es doch nur so offen und vertrauensvoll ginge, gibt leider keinen Knopf dafür und dieser Mann, der ihr da gegenübersitzt, scheint ziemlich arrogant zu sein. Er wirkt auf sie unterkühlt, obwohl er einen freundlichen Blick hat, nur diese heruntergezogenen Mundwinkel wirken melancholisch, pessimistisch und ernst. Naja, soweit der erste Blick, der angeblich immer der wahrhaftigste ist. Damit tut sie Bruno natürlich Unrecht, aber was sie denkt weiß er ja nicht.
"Sagen Sie, Hanna, darf ich Ihnen eine Frage vorab stellen?"
Hanna nickt nur.
"Weshalb kommen Sie zu mir? Warum gehen Sie nicht zur Polizei, wenn Sie Ihren Mann vermissen?"
Hanna schaut Karla an, als würde sie die Frage an ihre Freundin weitergeben wollen.
"Das kann ich dir sagen, Bruno. Sie war ja bei der Polizei, aber da ist bisher nichts herausgekommen. Die ziehen ihr Routineprogramm durch und fordern Geduld. Ja, und deshalb zu dir, da bin ich nicht ganz schuldlos dran. Ich habe dich ihr als erfolgreichen Privatdetektiven beschrieben. Immerhin hast du schon mehrere Kriminalfälle in den letzten Jahren erlebt und gelöst, oder?"
"Also Privatdetektiv ist ja nun wirklich völlig übertrieben. Diese Kriminalfälle, die du da erwähnst, habe ich mir ja nicht ausgesucht. Ich hatte auch keinen Auftraggeber, bin immer durch Zufall hineingeraten. Als Privatdetektiv hätte ich ja wenigstens Geld damit verdient. Ich will eigentlich immer meine Ruhe haben, keine Aufregung. Will mein Leben genießen."
"Also wenn es ums Geld geht, ich kann bezahlen. Was nehmen Sie denn?"
"Gar nichts, ich nehme doch kein Geld! Außerdem sollten wir uns duzen. Ist doch völlig blöd, wenn Karla sich mit uns beiden duzt und wir immer noch Sie sagen, oder? Aber nochmal, ich bin kein Privatdetektiv, da hat Karla dir was vorgemacht. Sie will mich wohl etwas unter Druck setzen. Wäre gar nicht nötig gewesen. Wenn Freunde Hilfe brauchen, helfe ich natürlich gerne. Dann erzähl doch erst mal worum es eigentlich geht. Danach kann ich erst sagen, ob ich dir überhaupt helfen kann."
"Könnte ich vielleicht jetzt doch ein Gläschen Wein haben?"
Bruno steht auf, zieht das bisher unbenutzte Glas etwas heran und schenkt ein. Dann beobachten er und Karla gespannt, wie Hanna vorsichtig an dem Glas nippt. Wirkt fast wie eine Kunstpause, so als ob sie sich die Worte zurechtlegen würde. Dann sprudelt es geradezu aus ihr heraus. Sie beschreibt, wie sie ihren Mann kennengelernt hat, wie aus ihnen beiden sehr schnell ein Paar geworden ist und wie sie in den folgenden Monaten Schritt um Schritt immer mehr über ihren Mann und sein Vorleben erfahren hat. Dabei war es für sie oft schwer zu verkraften, weil immer wieder Zweifel hochkamen, ob das wirklich der Mann ist, in den sie sich verliebt hatte. Sie ist auch bis heute davon überzeugt, dass sie noch lange nicht alles weiß. Es gibt schon öfter Phasen, in denen er völlig abblockt, wenn es um seine Vergangenheit geht. Immerhin hat sie von seinem Schicksal so viel erfahren, dass sie keinen Zweifel hegt, dass ihm etwas zugestoßen ist oder dass er zumindest in Gefahr schwebt. Hanna greift nach dem Glas und trinkt den letzten Rest aus, quasi Signal, dass sie sich trockengeredet hat. Bruno geht in die Küche und holt eine zweite Flasche, natürlich haben Karla und er ihre Gläser auch schon geleert, keine Frage. Nach der willkommenen kleinen Pause sitzen alle drei wieder auf ihrem Platz und es kann weitergehen.
"Kannst du mir etwas genauer sagen, was für ein Mensch dein Mann ist? Also jetzt mehr so charakterlich. Ist er feinfühlig oder eher grob, rustikal? Ist er ein ängstlicher Typ oder mehr so der Draufgänger? Würdest du ihm zutrauen, dass er eine andere Frau liebt und dich still und heimlich verlassen hat? Du hast doch bestimmt auch einen Verdacht, was passiert sein könnte, oder?"
Hanna schaut Bruno etwas verdutzt an und Bruno spürt, dass er wohl einen Nerv getroffen hat. Sie wirkt jetzt eher verletzt, gekränkt, weiß nicht, was sie sagen soll. Karla springt ihrer Freundin bei.
"Ihr Männer denkt wohl immer nur an so etwas. Das ist aber zu einfach gedacht. Du hast doch gehört, dass er eine ziemlich krasse Vergangenheit hat. Immerhin hat er zu Unrecht im Knast gesessen. Das holt ihn sicher immer wieder mal ein. Vielleicht hat er sich bei einem Freund zurückgezogen, um wieder zu sich zu finden. Hat er Freunde, Hanna? Also so richtige, weißt du, Freunde, die man besonders in Notzeiten aufsucht."
"Weiß ich nicht, Karla. Ich habe keinen kennengelernt. Er hat immer mal was von einem Werner erzählt. Mit dem hat er mal zusammen gewohnt, im Haus von Werners Eltern. Aber das war noch im Osten, ist Jahrzehnte her. Ich möchte aber noch auf Brunos Frage eingehen, so daneben war die gar nicht. Also André ist ein sehr feinfühliger Mensch, in manchen Phasen wirkt er geradezu zerbrechlich. Dann muss man auch aufpassen, was man sagt. Oft verschließt er sich dann, kann nicht offen über die Gründe seiner Betroffenheit reden. Das kann schon ein paar Tage dauern, danach ist er wieder völlig normal."
"Und wie ist er, wenn er normal erscheint?"
"Selbstbewusst, humorvoll, voller Tatendrang, ganz normal eben."
"Hat er irgendwelche besonderen Vorlieben?"
"Mensch, Bruno, was ist das denn für eine Frage? Wir machen doch hier keine Eheberatung."
"Nein, Karla, lass mal. Ich verstehe die Frage anders. Also mein Mann hat schon bestimmte Vorlieben. Aber ich glaube, die hat er erst entwickelt, nachdem wir uns kennenglernt haben. Er hat so einen kleinen Faible für Luxus entwickelt, vielleicht kein Wunder, wenn man in der DDR aufgewachsen ist. Also jetzt nicht mit Riesenvilla oder goldenen Armbanduhren, so nicht. Das könnten wir uns auch gar nicht leisten. Aber er achtet schon auf ein bestimmtes Niveau, insbesondere beim Essen und Trinken, auch bei Kleidung, eigentlich bei allen Dingen des täglichen Lebens. Auf keinen Fall findet er Geiz geil."
"Hm, kann es sein, dass er in Geldschwierigkeiten steckt? Hat er Schulden? Spielt er womöglich?"
"Nein, also da lege ich meine Hand für ins Feuer. André ist ein ganz seriöser Mann, der würde niemals sein Geld verspielen. Den widert schon die Atmosphäre an. Wir hatten mal in einem Urlaub ein Hotel, in dem sich auch ein Spielcasino befand. Ich wollte da mal rein, einfach nur so zum Spaß, vielleicht mal zehn Euro riskieren, oder meinetwegen zwanzig. Keine Chance, André wollte nicht, fing an mir Vorträge zu halten. Die Argumente hatte er wohl noch aus seiner sozialistischen Grunderziehung herübergerettet."
"Naja, könnte aber auch gerade dafür sprechen. Er wollte kein Risiko eingehen. Vielleicht hatte er Angst du würdest etwas von seiner Spielsucht erkennen. Weißt du, es gibt so Anzeichen. Man sagt ja auch, dass Alkoholiker in einem öffentlichen Restaurant immer nur Wasser bestellen."
"Nein, Bruno, auf keinen Fall, wirklich. André ist so nicht. Er ist ein ganz normaler, ganz unauffälliger Mensch. Wie gesagt, seine Vergangenheit, die ist nicht so ganz normal. Aber da kann ich allein nicht viel mehr dazu sagen. Da müsste er schon selber …, aber das geht ja nun nicht."
Bruno schaut in die Runde, erst zu Karla, dann wieder zu Hanna. Er ist unsicher, wie er sich jetzt entscheiden soll.
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