Was war das gestern bloß für ein Tag? Typisch Sonntag, ich weiß schon warum ich die Sonntage nicht mag. Erst dieses verunglückte Treffen mit dieser Hanna, dann der folgende Disput mit Karla und zur Krönung wegen dieser Idioten unter mir die ganze Nacht kaum geschlafen. Was das wohl für Spiele sind? Also wenn die mir beim nächsten Mal über den Weg läuft …, vielleicht sollte ich darauf gar nicht warten. Ich werde nach dem Frühstück mal unten klingeln, so geht es jedenfalls nicht.
Bruno sinniert so vor sich hin und merkt selber nicht, dass seine Laune langsam den Tiefpunkt erreicht. Zum Glück kommt gerade rechtzeitig eine frisch aufbereitete, scheinbar sehr gut gelaunte Karla ins Schlafzimmer und fängt Bruno auf. Es ist ein schmerzvoller Kraftakt, seine verschränkten Arme unter seinem Kopf wieder hervorzuholen und zu sortieren, seine Gelenke sind eben auch nicht mehr die jüngsten, aber wenn er Karla umarmen, wenn er sie spüren möchte, dann braucht er seine Arme und Hände dazu. Der Tastsinn wird ja leider von den Menschen oft unterschätzt. Also riechen tut er sie natürlich auch und sehen sowieso, obwohl bei der Nähe mehr so Weichzeichner.
"Du könntest jetzt aber auch mal langsam hoch. Ich habe Hunger. Hast du denn inzwischen mal was eingekauft oder gibt's wieder nur Kaffee?"
"Kaffee ist das Wichtigste, meine Liebe, aber keine Sorge, der Kühlschrank ist voll. Kannst ja schon mal anfangen. Ich bin gleich fertig."
Etwas später ist Bruno tatsächlich fertig, also Dusche, Zähne putzen, heute auch Rasur, frische Klamotten, alles in zwanzig Minuten und gut riechen tut er jetzt auch. Das soll ihm mal einer nachmachen. Kleine Einschränkung wäre zu machen, wenn jetzt jemand das Bad inspizieren würde …, aber dafür hat er ja noch den ganzen Vormittag Zeit. Karla hat inzwischen ein leckeres Frühstück zubereitet, für sich ein Müsli mit Joghurt und auf Brunos Platz steht ein kleiner Teller mit Aufschnitt und zwei Scheiben Vollkornbrot und natürlich Kaffee, schwarz und heiß. Seine Stimmung, schon wesentlich besser.
"Und, hast du es dir überlegt, willst du Hanna helfen ihren Mann zu finden?"
"Können wir nicht erst mal in Ruhe frühstücken? Sonst kriegen wir uns gleich wieder in die Haare. Das wäre doch schade, wo du dich jetzt gerade so schön herausgeputzt hast."
"Müssen wir ja nicht, wir können doch so ganz normal darüber reden. Ich denke, du fällst deine Entscheidungen immer so rational? Dann wäge doch einfach ab. Stelle die Punkte Für und Wider neutral gegenüber und schon kommst du zu einem positiven Ergebnis."
"Positiv für wen? Für dich oder mich?"
"Sieh das doch nicht so eng. Du liebst mich doch, oder?"
"Jaja, ich weiß schon, jetzt wird meine Liebe wieder in Zweifel gestellt, wobei sie einer Vergötterung gleich kommt."
"Soso, daher der Name Göttergatte."
"Vorsicht, noch sind wir nur verlobt! Aber mal im Ernst, was soll ich denn nun tun? Nur weil der vermisste Mann deiner Freundin ein Ingenieur ist? Frauenlogik. Weißt du wie viele Ingenieure es in Deutschland gibt, vor allen Dingen wie viele sich gegenseitig noch nie gesehen haben, sich also gar nicht kennen? Wo soll ich denn da anfangen zu suchen?"
"Ach Mensch, Bruno, sei doch nicht so kompliziert. Als es vor ein paar Jahren um deinen Cousin ging, hast du doch auch ohne groß nachzudenken seiner Frau geholfen und sie unterstützt. Die sah natürlich auch bombig aus, ist mir schon klar."
"Ja, das schon, aber ich wäre auch fast draufgegangen, schon vergessen?"
Man kann es sich fast denken, das Gespräch entwickelt sich genauso, wie der gestrige Streit. Wie kommt Bruno da nur wieder raus? Ist ja nicht ganz leicht mit einer so schönen und hartnäckigen Frau auf der anderen Seite. Er weiß sich nicht anders zu helfen, er gibt nach, auch wegen der Aussicht einer dankbaren Karla, und mein Gott, was ist dabei? Er wird sich mit Hanna eben kurz zusammensetzen, wird sich ihre Geschichte anhören, schließlich ist sie auch ein Augenschmaus und wer weiß …, dann kann er immer noch entscheiden. So löst eben Bruno Hallstein anstehende Probleme. Karla scheint zufrieden zu sein, redet auch kein Wort mehr über Hanna und ihren verschwundenen Mann. Bruno hingegen versucht sich auf andere Dinge zu konzentrieren, aber irgendwie klappt das nicht so ganz. Auf jeden Fall ist er mit seinem Frühstück fertig und kann nicht mal sagen, wie es ihm geschmeckt hat, ganz schlechtes Zeichen. Karla räumt den Tisch ab und stellt das Geschirr in die Spülmaschine. Dann geht sie hinaus in den Flur und kommt kurz danach mit ihrer Handtasche wieder. Sie fischt ihr Smartphone heraus und legt die Handtasche auf ihren Stuhl.
"Oh, Hanna hat sich schon gemeldet, habe ich nicht gehört. Dann werde ich sie gleich mal anrufen. Wann und wo wollt ihr euch denn treffen? Du kannst es dir aussuchen."
"Oh, vielen Dank für die Großzügigkeit. Ich hätte gerne Heimvorteil. Meinetwegen gleich heute. Dann haben wir es hinter uns."
Irgendwie ist Bruno noch nicht so richtig mit sich im Reinen. Karlas Augenbrauen stehen ziemlich hoch aber ihr Gesichtsausdruck entspannt sich sofort, als sie Hanna am anderen Ende wahrnimmt. Das Gespräch dauert nicht sehr lange und schon ist alles gesagt, typisch Frauen eben, oder?
"Naja, hast ja mitgehört, heute Abend gegen 18:00 Uhr. Ich hole sie ab, und dann kommen wir gemeinsam zu dir."
"Ach, du willst mit dabei sein? Ich hatte auf einen schönen Abend mit deiner Freundin gehofft."
Kommentarlos kommt Karla auf ihn zu, Augenbrauen am Anschlag. Dann umschlingen ihre Arme seinen Hals und sie setzt unwiderstehlich ihre Waffen ein. Bruno ist chancenlos und so kommt es auch, dass seine ursprüngliche Absicht, mit seiner Nachbarin über den Lärm der vergangenen Nacht zu reden, auf der Strecke bleibt, muss der Euphorie über den erlebten Moment weichen.
***
Bruno hat noch etwas Zeit und überlegt, ob er sich irgendwie vorbereiten sollte. Kurz kommt ihm der Gedanke in den Sinn, dass er vielleicht sein Smartphone als Aufnahmegerät mitlaufen lassen sollte. Aber er verstößt diese Idee gleich wieder. Ohne Hannas Wissen wäre es nicht erlaubt, und wenn er sie um Genehmigung bitten würde, bestünde die Gefahr, dass ihr Gespräch völlig anders verlaufen würde, mehr so gesteuert, vorsichtig, zurückhaltend.
Außerdem, so komplex und unüberschaubar wird unser Gespräch ja nun nicht werden. Da kann ich sicher auch hinterher noch einiges protokollieren. Nicht zu vergessen, Karla! Die ist ja auch noch dabei, die wird sicher auch aufpassen.
Bruno geht in die Küche und holt einen Weinkühler aus dem Schrank. Dann stellt er noch drei Weingläser dazu, die er vorher noch gegen das Licht gehalten hat, um deren makellosen Glanz zu überprüfen. Immerhin hat er es in wenigen Minuten gleich mit zwei Frauen zu tun, da kann er sich auf solchem Gebiet keine Blöße erlauben. Glücklicherweise werden in seinem Haushalt die Gläser überdurchschnittlich oft frequentiert und sind immer glänzend sauber. Er ist gerade dabei die Flasche Grüner Veltliner aus dem Kühlschrank zu holen, da klingelt es an der Wohnungstür. Bruno stellt die Flasche schnell zurück und geht in den Flur, um die beiden Frauen in Empfang zu nehmen. Karla küsst ihn zur Begrüßung auf den Mund, ziemlich ausführlich, macht sie bei normalen Begrüßungen eher selten, schon gar nicht wenn sie sich schon zum zweiten Mal am gleichen Tag begrüßen. Hanna lässt derweil ihren Blick kreisen, ist ja zum ersten Mal in Brunos Wohnung. Die Begrüßung mit ihr beschränkt sich auf einen Händedruck und einem Lächeln. Bruno nimmt etwas enttäuscht wahr, dass sie heute Hosen an hat, obwohl, wenn er etwas genauer hinsieht, Hose ist nicht gleich Hose und diese schon gar nicht. Bruno bittet die beiden Frauen schon mal im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
"Ich dachte, bevor wir mit der Arbeit beginnen, trinken wir ein schönes Glas Wein, einverstanden?"
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